Ein gesellschaftliches Virus geht um
Von schwierigen Beziehungen und Wegen aus der sozialen Falle
Sie sind aufgeschlossen, durchsetzungsstark und leistungsorientiert. Für Narzissten scheint die berufliche Karriere vorprogrammiert. Das Problem: Sie steigern ihren Selbstwert gern auf Kosten anderer. Narzissmus breitet sich aus wie eine Epidemie, konstatieren Prof. Dr. Hans-Werner Bierhoff (Sozialpsychologie, Fakultät für Psychologie der RUB) und Dipl.-Psych. Michael Jürgen Herner, Düsseldorf. In ihrem soeben erschienenen Buch "Narzissmus - die Wiederkehr" geht es vor allem um den "normalen" Narzissmus,
um das Verhalten von narzisstischen Persönlichkeiten im täglichen Leben etwa hinsichtlich Freundschaft, Liebe und Partnerschaft sowie um deren Einbettung in soziale Zusammenhänge. Das Buch verbindet den aktuellen Forschungsstand mit praktischen Fallbeispielen - auch ein Fragebogen zur Selbstbeurteilung ist beigefügt - und schließt damit eine Lücke in der Narzissmus-Literatur.
Narzisstisch sozialisiert
In den Medien wimmelt es von narzisstischen Promis, und einen Narzissten zu treffen ist alltäglich geworden. Kinder werden heute in einer narzisstischen Gesellschaft sozialisiert. Wen wundern da die Ergebnisse einer Studie unter Studierenden in den USA, die von 1985 bis 2006 kontinuierlich höhere Durchschnittswerte für Narzissmus ergab, wobei schon 1986 jeder siebente Studierende erhöhte Werte erreichte. Als besonders anfällig erscheinen den Autoren privilegierte Kinder der oberen Mittelschicht. Weil deren Eltern häufig fest von "ihrem besonderen Kind" überzeugt sind, bleibt diesen fast nichts anders übrig, als sich selbst auch grandios zu finden. Dabei ist Narzissmus ist keine angeborene Disposition, sondern eher Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Es sind nicht nur die Männer
Männer sind eindeutig das narzisstische Geschlecht. Doch der Boom der letzten Jahre geht auch auf die Frauen zurück. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern hat kontinuierlich abgenommen. Narzissmus-Forscher vermuten, dass Mütter ihre Söhne anders als ihre Töchter behandeln. Während Töchter als erweitertes Selbst betrachtet werden, wird die Individualität der Jungen betont. Zudem fördern gesellschaftliche Rollenerwartungen Egoismus und Dominanzverhalten bei Männern - und nicht Empathie und Fürsorge, wie bei den Frauen. Das wirkt selbst noch bei narzisstischen Frauen nach, die ihre Ziele auf subtilere, indirektere und beziehungsorientiertere Weise verfolgen.
Nichts für Partnerschaft und Liebe
Partnerschaften werden von Narzissten eher unter praktischen Gesichtspunkten gesehen. Sie sind weniger an Intimität interessiert, gehen eher auf Distanz, möchten von ihrem Partner bewundert werden (denn Selbstwertsteigerung ist oberstes Ziel) und sind dabei eifersüchtig, besitzergreifend bis ausbeuterisch. Die Autoren raten von narzisstischen Partnern ab, da in der Regel kaum Hoffnung auf Besserung besteht. Dennoch werden für den Einzelfall auch Bedingungen und Wege aufgezeigt, unter denen eine Beziehung mit einem Narzissten erträglich werden kann. Vieles in ihnen selbst und in der Beziehung zum anderen liegt brach und kann möglicherweise doch noch erschlossen werden.
Wege aus der sozialen Falle
Narzissten übernehmen wesentlich leichter Eigenverantwortung als soziale Verantwortung. Eigenverantwortung hängt eng mit Kompetenz und Leistungsstreben, Durchsetzungsfähigkeit und Offenheit für Ideen zusammen - Eigenschaften, die für das Arbeitsleben förderlich sind. Dem gegenüber steht das fehlende soziale Verantwortungsgefühl, was zu interpersonellen Konflikten führen kann und damit zur sozialen Falle für den Narzissten wird. Ein Ausweg ist nur möglich, wenn sich narzisstische Selbstliebe in eine positive Selbstidentität wandeln kann. Beispiele prominenter Persönlichkeiten werden angeführt und auch die Politik kommt zu Wort: Die "generation me" kann ihren Erfolg steigern und ihr persönliches Glück vergrößern, wenn sie menschliche Pflichten in ihren Lebensplan einbezieht (Barack Obama, Rede zur Amtseinführung).
Von Freud bis Kohut usw.
Die Autoren geben auch einen Überblick über die wissenschaftliche Diskussion der Ursachen narzisstischer Störungen ausgehend von Sigmund Freud und seinem Weggefährten Wilhelm Reich über Alfred Adler (Individualpsychologie), der die narzisstische Fehlentwicklung als "Überlegenheits-Komplex" beschrieb, Helen Tartakoffs "Nobelpreis-Komplex" der Narzissten und ihre sensiblen Phantasien von Großartgkeit und Omnipotenz, bis hin zu heutigen Narzissmusansätzen von Otto Kernberg, Michael Ermann oder Heinz Kohut. Kernberg und Kohut postulierten zwei Formen des Narzissmus: den offenen, arroganten, selbstsicheren und den verdeckten nach außen hin unsicheren und ängstlichen, der Phantasien von Großartigkeit entwickelt. Diese Unterscheidung beeinflusst die aktuelle Narzissmus-Forschung.
Titelaufnahme
Narzissmus - die Wiederkehrt, Hans-Werner Bierhoff, Michael Jürgen Herner, Verlag Hans Huber, 2009, ISBN 978-3-456-84751-1
Weitere Informationen
Prof. Dr. Hans-Werner Bierhoff, Arbeitseinheit Sozialpsychologie, Fakultät für Psychologie der Ruhr-Universität, Tel.: 0234/32-23170, E-Mail: Hans-Werner.Bierhoff@rub.de
Redaktion: Dr. Barbara Kruse
Criteria of this press release:
Psychology, Social studies
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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