Von der Luisen-Heilanstalt zur Angelika Lautenschläger Kinderklinik / Jubiläums-Festschrift „Entwicklungen und Perspektiven der Kinder- und Jugendmedizin“ / Festveranstaltung am 7. und 8. Mai 2010
Mit sechs Betten in einer gemieteten Zwei-Zimmer-Wohnung in Bergheim gründete der Heidelberger Mediziner Dr. Theodor von Dusch (1824 – 1890) 1860 die „Kinder-Heilanstalt zu Heidelberg“. 2010 feiert die Heidelberger Kinderklinik ihr 150. Jubiläum. Am 7. und 8. Mai 2010 wird das Jubiläum mit einer zweitägigen Festveranstaltung in Anwesenheit der Gattin des Bundespräsidenten, Eva Luise Köhler, begangen.
Anlässlich dieses runden Geburtstages gibt das Universitätsklinikum Heidelberg die Festschrift „Entwicklungen und Perspektiven der Kinder- und Jugendmedizin“ heraus. Das 400 Seiten starke Werk lädt ein zu einem Streifzug durch die
wechselvolle Geschichte der Kinderheilkunde in Heidelberg. Dabei stehen prägende Persönlichkeiten der Heidelberger Kinderklinik wie Ernst Moro, Philipp Bamberger oder Horst Bickel im Mittelpunkt. Der zweite Teil gewährt Ausblicke auf Zukunft, Ziele und Herausforderungen der Kinderheilkunde in der heutigen Zeit. Das Buch wird am 7. und 8. Mai 2010 im Rahmen eines Jubiläums-Symposiums des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin offiziell vorgestellt.
Waren die Anfänge der Heidelberger Kinderklinik im Vergleich zu anderen deutschen Universitäten mit 33 aufgenommenen Kindern im ersten Jahr eher bescheiden, so ist ihre Entwicklung umso beachtlicher: Mit 150 stationären Betten sowie 6.300 vollstationären und 36.000 ambulanten Fällen pro Jahr ist das Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin heute eine der größten Universitäts-Kinderkliniken in Deutschland. „Diese Entwicklung ist wirklich ein Grund, das 150-jährige Jubiläum gebührend zu feiern“, so Professor Dr. J. Rüdiger Siewert, Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg, in seinem Vorwort. Mit dem Dekan der Medizinischen Fakultät, Professor Dr. Claus Bartram, ist er sich einig: „Wir sind stolz auf unsere Kinderklinik!“
Ministerpräsident Stefan Mappus schreibt: „Die Universität und das Universitätsklinikum Heidelberg zählen zu den führenden wissenschaftlichen und medizinischen Einrichtungen der Welt und stehen für eine hervorragende Ausbildung. Sie tragen damit zum Erfolg, zur Attraktivität und zum Ansehen unseres Landes bei.“
Heidelberger spendeten für kostenlose Behandlung armer Kinder
Von Anfang an fühlten sich die Heidelberger Bürger mit ihrer neuen Kinder-Heilanstalt, der ersten im Großherzogtum Baden, eng verbunden: Bereits im ersten Jahresbericht findet sich eine beachtliche Liste mit 234 Dauerspendern sowie zahlreichen „Ausserordentlichen Beiträgen und Geschenken“. Kranke Kinder fanden hier unabhängig von Konfession oder Herkunft ärztliche Hilfe. Konnten sich die Eltern ein mäßiges Kostgeld nicht leisten, wurden die Kinder unentgeltlich behandelt, was in der ersten Zeit bei mehr als 90 Prozent der Patienten der Fall war. 1864 übernahm Großherzogin Luise von Baden die Schirmherrschaft der Einrichtung, die seitdem den Namen „Luisen-Heilanstalt“ trug.
Den ersten klinischen Unterricht in Kinderheilkunde erhielten Studierende der Heidelberger Universität 1868, nachdem die Anstalt ein Jahr zuvor in die Bunsenstraße 4, ein Gebäude mit Garten, umgezogen und die Bettenzahl auf 21 erhöht worden war. Auch diese Räumlichkeiten genügten bald nicht mehr – die Heidelberger spendeten erneut. So wurde 1885 der erste Neubau der Luisen-Heilanstalt in der Luisenstr. 5 in Bergheim eingeweiht.
Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts trat die Heidelberger Kinderklinik erstmals aus dem Schatten anderer deutscher Kinderkliniken heraus: 1902 nahmen von Duschs Nachfolger Oswald Vierordt (1856 – 1906) und Hermann Lossen (1842 – 1909) eine Säuglingsstation mit Brutkasten und Milchküche in Betrieb. Damit war die Luisen-Heilanstalt die erste Unterrichtsanstalt in Europa, die eine vollständig ausgestattete Säuglingsstation besaß.
Mit Ernst Moro begann eine Blütezeit der Heidelberger Pädiatrie
Erster außerordentlicher Professor für Kinderheilkunde in Heidelberg wurde 1907 Emil Feer (1864–1955). Ihm folgte 1911 Ernst Moro (1874–1951), der sich bereits in jungen Jahren internationales Ansehen erarbeitet hatte – insbesondere durch den später nach ihm benannten Tuberkulosetest. Er ließ, wieder mit Hilfe der spendenbereiten Heidelberger, die Klinik um eine Etage aufstocken und eine Dachterrasse zur Freilufttherapie bei Tuberkulose anlegen. Mit dem Amtsantritt des begnadeten und begeisterten Klinikers, Wissenschaftlers und akademischen Lehrers begann eine Blütezeit der klinischen Pädiatrie in Heidelberg, die sich trotz schwerster Bedingungen auch nach dem Ersten Weltkrieg fortsetzte.
Im Jahre 1919 wurde Moro der erste Ordinarius für Kinderheilkunde in Heidelberg. Die Luisenheilanstalt war inzwischen mit etwa 200 Betten die größte Kinderklinik im Deutschen Kaiserreich und erreichte daneben beachtliche wissenschaftliche Produktivität.
Die Blütezeit der 1920er Jahre endete abrupt mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933. Zahlreiche Mitarbeiter der Luisenheilanstalt
emigrierten und auch Moro selbst, verheiratet mit einer Jüdin, hatte unter Drangsalierungen zu leiden. 1936 ließ er sich vorzeitig emeritieren und betrat die Klinik nie wieder.
Dunkles Kapitel in der NS-Zeit
Als sein Nachfolger wurde 1937 Hajo Wilhelm Johann Duken (1889 – 1954) berufen, seit 1934 Mitglied der SS, Vertrauter Heinrich Himmlers und ein Verfechter der „Rassenhygiene“. 1941 warnten britische Propagandaflugblätter Eltern in Heidelberg davor, ihre Kinder in der Universitäts-Kinderklinik behandeln zu lassen: Nach der NS-Ideologie als „minderwertig“ eingeschätzte Kinder hatten in der Heidelberger Kinderklinik nur eine geringe Überlebenschance. Dokumentiert sind Behandlungsverzicht, Nahrungsentzug und wahrscheinlich auch Maßnahmen aktiver Tötung. Die Zahl der Opfer lässt sich noch nicht abschließend benennen. Johann Duken wurde am 4. April 1945 von den Amerikanern verhaftet.
Nach dem Krieg galt es, einen unbelasteten Direktor für die Luisenklinik zu berufen. Fündig wurde man in dem früheren Königsberger Kinderarzt Philipp Bamberger (1898 – 1983), der, bekannt für seine anti-nationalsozialistische Haltung, zuvor durch Intrigen der NSDAP für kurze Zeit den Sowjets in die Hände gefallen war. Ihm war es mit großem Engagement gelungen, ein Netz von kinderärztlichen Betreuungsstellen einzurichten und die hohe Säuglingssterblichkeit Ostpreußens während des Krieges auf die Hälfte zu reduzieren.
Wegweisende Therapie erblicher Stoffwechselerkrankung
Als neu berufener Direktor der Heidelberger Kinderklinik traf Bamberger 1946 chaotische Zustände mit überbelegten Stationen, Ambulanzen und Hörsälen an. Mitten in der mühsamen Reorganisation kam es zu einem folgenschweren Unglück: Ein Blutspender, der schon zu Zeiten Dukens der Klinik sein Blut zur Verfügung gestellt hatte und mehrfach als gesund befunden worden war, infizierte im April mehrere Kinder mit Syphilis. Bamberger wurde vor Gericht gestellt. Obwohl früh offensichtlich wurde, dass den neuen Leiter der Kinderklinik keine Schuld traf, zog sich der Prozess bis zu Bambergers Freispruch über fünf Jahre hin.
Vor allem die unsachliche Berichterstattung in einer sensationslüsternen Presse schädigten während des langen Prozesses das Ansehen der Klinik und ihres beurlaubten Ordinarius schwer.
Nach seiner juristischen Rehabilitierung war Bamberger eine glänzende Karriere an der Heidelberger Kinderklinik vergönnt. 1951 wurde der erste Klinikneubau abgeschlossen, 1954 das Moro-Haus, 1956 das Infektionsgebäude und 1965 schließlich das Klinikhochhaus eröffnet.
1967 trat Horst Bickel (1918 – 2000) seine Nachfolge an, der bereits als junger Arzt von sich reden gemacht hatte: Er hatte eine spezielle Diät zur Behandlung der erblichen Stoffwechselerkrankung Phenylketonurie (PKU) entwickelt und mit seinen bahnbrechenden Forschungen maßgeblich zur Frühdiagnose der Erkrankung im Säuglingsalter beigetragen. Die Losung ?PKU – Horst hilft im Nu!? zierte einen Straßenbahnwagen, der zu Bickels Zeiten von einem Selbsthilfeverband gestiftet auf dem Gelände der Heidelberger Kinderklinik stand.
Sein Behandlungskonzept eröffnete einen grundsätzlich neuen Weg zur Behandlung vieler weiterer Stoffwechselerkrankungen. Darüber hinaus engagierte sich Horst Bickel für ein Früherkennungsprogramm der PKU, das in Form eines
Neugeborenenscreenings 1963 eingeführt und seit 1971 in der gesamten Bundesrepublik üblich ist.
Herausgeber von „Entwicklungen und Perspektiven der Kinder- und Jugendmedizin – 150 Jahre Pädiatrie in Heidelberg“ sind Professor Dr. Georg F. Hoffmann, Ärztlicher Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin, Professor Dr. Wolfgang U. Eckart, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin, und Dr. Philipp Osten, Institut für Geschichte und Ethik der Medizin. Das Buch erscheint am 6. Mai 2010 im Kirchheim-Verlag (ISBN: 978-3-87409-489-4).
Zur zweitägigen Festveranstaltung „Entwicklungen und Perspektiven der Kinder- und Jugendmedizin“ am 7. und 8. Mai 2010 sind Journalisten herzlich eingeladen.
Programm:
www.klinikum.uni-heidelberg.de/fileadmin/kinderklinik/Aktuelles/100308KIN_FL_SF__150JahreKlinik_klein_ID5407.pdf
Ansprechpartner für medizin-historische Fragen:
Dr. Philipp Osten
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 327
69120 Heidelberg
E-Mail: osten@uni-heidelberg.de
Tel.: 06221 / 54 89 58
Professor Dr. Wolfgang U. Eckart
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin
Ruprecht-Karls Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 327
69120 Heidelberg
E-Mail: wolfgang.eckart@histmed.uni-heidelberg.de
Tel.: 06221 / 54 82 12
Ansprechpartner für pädiatrische Fragen:
Professor Dr. Georg F. Hoffmann
Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin
Universitätsklinikum Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 430
69120 Heidelberg
Tel.: 06221 / 56 23 02
Fax: 06221 / 56 43 39
Weitere Informationen und Programm des wissenschaftlichen Symposiums:
http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/Aktuelles.112515.0.html?&FS=0&L
Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg
Krankenversorgung, Forschung und Lehre von internationalem Rang
Das Universitätsklinikum Heidelberg ist eines der größten und renommiertesten medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg zählt zu den international bedeutsamen biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung neuer Therapien und ihre rasche Umsetzung für den Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund 7.600 Mitarbeiter und sind aktiv in Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 40 Kliniken und Fachabteilungen mit ca. 2.000 Betten werden jährlich rund 550.000 Patienten ambulant und stationär behandelt. Derzeit studieren ca. 3.400 angehende Ärzte in Heidelberg; das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland.
www.klinikum.uni-heidelberg.de
Bei Rückfragen von Journalisten:
Dr. Annette Tuffs
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Universitätsklinikums Heidelberg
und der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 672
69120 Heidelberg
Tel.: 06221 / 56 45 36
Fax: 06221 / 56 45 44
E-Mail: annette.tuffs(at)med.uni-heidelberg.de
Diese Pressemitteilung ist auch online verfügbar unter
www.klinikum.uni-heidelberg.de/presse
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Seit 2008 befindet sich das Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin in der Angelika Lautenschläger
Quelle: Universitätsarchiv Heidelberg.
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Criteria of this press release:
Medicine
transregional, national
Miscellaneous scientific news/publications, Scientific conferences
German
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