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10/06/1997 00:00

Was Adenauer falsch machte und wir daraus lernen können

Dipl.-Ing. Mario Steinebach Pressestelle und Crossmedia-Redaktion
Technische Universität Chemnitz

    Was Adenauer falsch machte - und wir daraus lernen können Neues Chemnitzer Zertifikat macht Studierende fit fürs Ausland

    Konrad Adenauer, erster Kanzler der noch jungen Bundesrepublik Deutschland, hatte sich sein Geschenk wohl überlegt. Schließlich war sein Staatsgast kein Geringerer als Reza Pahlewi, der Schah von Persien. Und der Iran war damals noch mehr als heute wegen seines Ölreichtums ein überaus wichtiger Wirtschaftspartner. Also erkundigte sich der Kanzler bei seinen Diplomaten nach den Vorlieben und Hobbys des Herrschers aus dem Morgenland. Ergebnis: Reza Pahlewi war ein Pferdenarr. Was lag also näher, als dem orientalischen Potentaten zwei edle Rösser zu schenken, eine Stute und einen Wallach.

    Das gutgemeinte Geschenk hätte fast zum Abbruch der deutsch-iranischen Beziehungen geführt. Wäre Adenauer Iraner gewesen, wäre er wohl auf Nimmerwiedersehn in den Kerkern der Schah-Geheimpolizei verschwunden. Denn der Kanzler hatte, wenn auch ungewollt, den "König aller Arier" (so einer der Titel des Mannes auf dem Pfauenthron) tödlich beleidigt - er hatte ihn als impotenten Schwächling hingestellt. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als sich der stolze Herrscher ebenso fieberhaft wie erfolglos bemühte, mit seiner Frau, der Prinzessin Soraya, einen Thronfolger zu zeugen. Denn ein Wallach ist ein kastrierter Hengst, und einen solchen oder auch nur ein weibliches Pferd würde ein islamischer Herrscher nie und nimmer auch nur anrühren, geschweige denn reiten.

    Peinliche Mißverständnisse zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen lauern allerdings auch anderwärts. So mußte kürzlich etwa ein deutscher Geschäftsmann in Tokio irritiert erleben, wie die Gäste eines Restaurants aufstanden und das Lokal angewidert verließen - aus dem von ihm angepeilten Vertragsabschluß wurde nichts. Dabei hatte der Fremde aus Deutschland lediglich geräuschvoll in sein Taschentuch geschneuzt. Doch das gilt in Japan als ein unverzeihlicher Fauxpas, etwa so, als würde bei uns jemand in die Suppe des Nachbarn spucken.

    Wieviel Aufträge deutschen Firmen schon auf diese Weise durch die Lappen gingen, wieviel Arbeitsplätze das kostete, wieviele aufkeimende Freundschaften gefährdet wurden - man kann es nur ahnen. Und häufig merken die Manager noch nicht einmal, warum aus einer hoffungsvollen Wirtschaftsbeziehung dann doch nichts wurde. Denn über Tabuverletzungen wird meist nicht geredet. Mittlerweile haben freilich die meisten deutschen Firmen erkannt: Sprachkenntnisse allein reichen nicht aus, um auf fremden Märkten Erfolg zu haben. Die Fähigkeit, sich in fremden Kulturen sicher und ohne anzuecken zu bewegen, muß hinzukommen. Solche "soft skills", weichen Fertigkeiten, werden auf dem Arbeitsmarkt immer mehr zu einem Prüfstein bei der Stellenvergabe - bei Betriebswirten schon seit längerem, jetzt auch bei Ingenieuren und Naturwissenschaftlern.

    Um ihre Absolventen für solche Anforderungen fit zu machen, hat sich die Chemnitzer Uni etwas Neues einfallen lassen: Ab diesem Wintersemester können alle Studenten ein Basis-Zertifikat Interkulturelle Kommunikation (BaZiK) erwerben. Das international bisher einmalige Zertifikat bescheinigt den Studenten, daß sie wichtige Fertigkeiten und Fähigkeiten im Umgang mit Personen aus fremden Kulturen beherrschen.

    Initiator des Zertifikats ist Bernd Müller-Jacquier, erster deutscher Professor für Interkulturelle Kommunikation. Bereits vor einigen Jahren wurde dieses Fach an der Chemnitzer Uni als erster deutscher Hochschule eingeführt. Mittlerweile haben andere Unis nachgezogen, doch noch immer wird dieses Gebiet - so es überhaupt angeboten wird - meist von Professoren verwandter Fächer, etwa aus der Völkerkunde, mitbetreut. Prof. Müller-Jacquier sitzt auch im Vorstand von SIETAR (Society for Intercultural Education Training and Research, etwa: Gesellschaft für Interkulturelle Erziehung, Weiterbildung und Forschung), einer internationalen Organisation, die sich um das Verständnis zwischen unterschiedlichen Mentalitäten und Völkern bemüht.

    Das BaZiK freilich richtet sich an Studenten aller Fächer. Mindestens 18 Semesterwochenstunden - halb soviel wie für ein Magisterstudium im Nebenfach - müssen die Studenten für diese zusätzliche Qualifikation aufwenden. In Seminaren, Vorlesungen und Übungen geht es um so unterschiedliche Dinge wie die Gesprächs- und Verhaltensanalysen, auswärtige Kulturpolitik, vergleichende Landeskunde, interkulturelle Erziehung und kulturelle Anpassung. Auch der vielbeschworene Kulturschock, der viele Menschen befällt, wenn sie in einem fremden Land zurechtkommen müssen, wird ausführlich behandelt. Daneben wird das Verhalten in Verkehrssprachen- Situationen eingeübt, die ebenfalls viele Fallstricke bereithalten. (Beispiel: Ein Deutscher und ein Inder unterhalten sich auf Englisch, weil beide die Sprache des jeweils anderen nicht sprechen.) Und nicht zuletzt zählen auch ein Auslandssemester und zusätzlich ein mindestens sechswöchiges Auslandspraktikum zu den Leistungen, die erbracht werden müssen. Sie werden mit je zwei Semesterwochenstunden angerechnet. Dafür können beide aber auch in jedem beliebigen Fach absolviert werden, wo die erworbenen Scheine nochmals zählen.

    Ab dem Wintersemester 1998 will Prof. Müller-Jacquier eine einführende Vorlesung zudem auch im Internet anbieten. Ohnehin ist bereits eine europäische Variante des Basiszertifikats geplant, das "European Certificate in Intercultural Communication" (EuCiC). Bereits jetzt haben sich einige ausländische Universitäten bei dem Chemnitzer Wissenschaftler nach den Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit erkundigt. Denn ähnliche Probleme wie wir sie kennen, hat man auch in anderen Ländern. Auf die Dauer könnte so ein europäisches Netzwerk entstehen, das uns hilft, andere besser zu verstehen. Doch wie schon so oft - Beispiele: Das immer noch einzige vollständig über Internet laufende Studium, die ersten Doktorarbeiten im Internet - ist die Chemnitzer Uni einmal mehr der Vorreiter. Nicht nur den selbst stark interkulturell geprägten Prof. Müller-Jacquier wird's freuen: Der Wissenschaftler hat einen Magistertitel aus den USA, die Doktorarbeit schrieb er in Deutschland, seine Habilitationsschrift (die ihn berechtigt, als Professor an einer Uni zu lehren) fertigte er in Frankreich an, und dort sowie in Portugal hat er auch schon an verschiedenen Unis gelehrt.

    (Autor: Hubert J. Gieß)

    Weitere Informationen: Technische Universität Chemnitz, Philosophische Fakultät, Thüringer Weg 11, 09107 Chemnitz, Prof. Dr. Bernd Müller-Jacquier, Tel. 0371/531-3966, Fax 0371/531-2933, e-mail: mue-jac@phil.tu-chemnitz.de, Internet: http://www.tu-chemnitz.de/phil.ikk


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    Social studies
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