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08/30/2001 10:44

Qualitätsverbesserung statt Strukturverschlechterung!

Kordula Lindner-Jarchow M. A. Stabsstelle für Presse, Kommunikation und Marketing
Universität Siegen

    Eine Resolution zur geplanten Umstrukturierung der Lehrerausbildung in Nordrhein-Westfalen haben Professoren aus Bielefeld, Bochum, Dortmund, Essen, Paderborn und Siegen verfasst. Darin werden die Bedenken gegen die geplante Abschaffung der stufenbezogenen Lehrämter und die Einführung eines konsekutiven (B.A./M.A.) Studiengangsmodells in der Lehrerausbildung formuliert. Der Resolution haben sich bereits 140 Kolleginnen/Kollegen aus allen an der Lehrerausbildung beteiligten Institutionen in NRW angeschlossen, täglich wächst die Zahl der Unterstützerinnen/Unterstützer. Die Resolution ist jetzt der nordrhein-westfälischen Schulministerin Gabriele Behler und den Rektorinnen/Rektoren der NRW-Universitäten im Rahmen eines offenen Briefes zugeleitet worden mit der Aufforderung, die geplanten Maßnahmen nochmals zu überdenken.

    In den letzten Jahren wurde an den Universitäten des Landes NRW eine Reihe von Verbesserungen der Lehramts-Ausbildung in Gang gesetzt. Dieser Prozess bewegte sich innerhalb eines breiten Konsenses, der u.a. durch die Empfehlungen einer NRW-Expertenkommission zur Neuordnung des erziehungswissenschaftlichen Studiums in der Lehrerbildung (1997), durch Reforminitiativen von Lehrerverbänden sowie Fachgesellschaften der Erziehungswissenschaft und der Fachdidaktiken, durch Vorschläge der KMK-Komission zu den "Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland" (2000) sowie durch Landtagsbeschlüsse definiert war. Zur Unterstützung warteten die Universitäten lediglich noch auf die schon lange angekündigte und immer wieder verschobene Neufassung der Lehramtsprüfungsordnung, um diese Reformaktivitäten im Sinne einer professionsbezogenen universitären Ausbildung und Bildung absichern zu können.
    Leider steht dem Lehramts-Studium nun in NRW eine radikale Umwälzung ins Haus, die bewährte, pädagogisch abgesicherte Prinzipien und darauf fußende Weiterentwicklungen über den Haufen wirft und zu einer erheblichen Verschlechterung zu führen droht. In der Tat sind uns keine gesicherten Anhaltspunkte dafür bekannt, dass die Lehramts-Ausbildung durch diese Umwälzungen besser würde. Die Motive, wie sie durch die gelieferten Begründungen deutlich werden, sind vielmehr exogen: Internationalisierung (obwohl z.B. die immer wieder zitierten Beschlüsse von Bologna nichts für diese Umwälzungen hergeben), Öffnung des Arbeitsmarkts, flexible Einsetzbarkeit u.ä.
    Die Umwälzung bezieht sich in paralleler Weise auf
    1. die Abschaffung der stufenbezogenen Lehrämter und die Restauration einer Art Lehramt für "Höhere Schulen" und einer Art Lehramt für "Volksschulen" (nach wie vor mit einer um zwei Semester kürzeren Regel-Studienzeit),
    2. die verstärkte Einstellung von Personen ohne Lehramts-Studium in den Schuldienst sowie
    3. den Modellversuch zur Entwicklung konsekutiver Studiengänge für die Lehramts-Ausbildung (d.h. in der Tendenz: zunächst ein 6-semestriges lehramts-unabhängiges Bachelor-Studium und danach ein 2- bis 4-semestriges, dezidiert lehramts-bezogenes Master-Studium).
    Zu 1.: Natürlich schadet es angehenden Grundschul-Lehrerinnen und -Lehrern (LP) nichts, wenn sie auch etwas über die Sekundarstufe I erfahren (und umgekehrt). Aber wenn die "Reform" zu einer Beseitigung des Drei-Fach-Prinzips und der Orientierung an der Altergruppe der 6- bis 10-Jährigen für den LP-Studiengang (wo NRW z.Z. vorbildlich ist) sowie zu einer Verringerung des einschlägigen Studienvolumens führt, dann stellt sie einen Rückschritt dar. Dieser würde noch verstärkt, wenn der Umfang des Pflichtstudiums der Fächer Deutsch und Mathematik (und das angesichts der TIMSS-Ergebnisse!) im Rahmen der LP-Ausbildung deutlich unter die derzeitig geltenden 21 SWS abgesenkt und der Sachunterricht nicht mehr integriert, sondern nur noch partiell in maximal zwei Fächern, studiert würde. Die behauptete Stärkung der Fach-Inhalte in der LP-Ausbildung würde in wesentlichen Teilen gerade nicht erreicht: Sehr bald würden nämlich in den fundamentalen Fächern hinreichend ausgebildete Grundschul-Lehrkräfte fehlen.
    Es fragt sich auch, wie in derselben Zeit, in der bisher das Lehramt Primarstufe studiert wurde, nun noch zusätzlich angemessen das Studium etwa eines Lehramts für die Hauptschule (und/oder eventuell Realschule!) absolviert werden soll - und umgekehrt.
    Zu 2.: Das sog. Konzept zur Sicherung der Unterrichtsversorgung in Mangelfächern (vor allem der Sekundarstufe I und der berufsbildenden Schulen) durch die Einstellung von Personen ohne einschlägiges Studium in den Schuldienst birgt die Gefahr, das Lehramts-Studium insgesamt abzuwerten und der Beliebigkeit auszusetzen sowie die Qualität von Schule zu senken (ungenügende Ausbildung, enger Horizont wegen des Ein-Fach-Lehramts, nicht unbedingt die Besten werden aus dem außerschulischen Arbeitsmarkt in die Schule wechseln).
    Zu 3.: Auch nachdem das MSWF mit der Beschreibung des Modellversuchs zur konsekutiven Lehramts-Ausbildung von der Reinform abgerückt ist (und sich dabei in eigentlich unlösbare Widersprüche verwickelt hat, deren Lösung es nun den Hochschulen überlässt), stellt die Verfolgung dieses Konzepts ein Signal in die falsche Richtung dar, weil es im Prinzip den Erkenntnissen und einem breiten Konsens der meisten Fachleute und vieler Institutionen über die Professionalisierung der Lehramts-Ausbildung und einer frühe Verzahnung von Fach-Inhalten, Fach-Didaktik, Erziehungswissenschaft und Schul-Praxis zuwiderläuft.
    Die meisten Expertinnen und Experten lehnen eine konsekutive Lehramts-Ausbildung ab. Zwar ist die Teilnahme an dem Modell-Versuch "freiwillig"; aber an den Universitäten Bochum, Bonn und Düsseldorf wird derzeit demonstriert, dass manche Hochschulen ohne diese Teilnahme die Lehramts-Ausbildung entzogen bekommen; und so setzt sich in den Köpfen Vieler der Glaube fest, auf diesen "unaufhaltsamen" Zug aufspringen zu müssen, damit man nicht irgendwann einmal irgendwelche Modelle oktroyiert bekommt oder gar der Lehramts-Ausbildung partiell oder ganz verlustig geht.
    Die Universitäten in Nordrhein-Westfalen mit ihren knappen Personal-Ressourcen können sich - bei ihren Ansprüchen an die Qualität der Lehramts-Ausbildung - die gleichzeitige Verfolgung zweier konträrer Modelle ('früher' vs. 'später Professionsbezug') für die Lehramts-Ausbildung nicht leisten. Außerdem liefert für viele Fächer eine Zwei-Fach-Ausbildung mit "vermittlungs-wissenschaftlichen" Anteilen (was immer das sein soll) nicht genügend Substanz für einen Bachelor-Abschluss in dem jeweiligen Fach. Im Zuge der Propagierung von Bachelor-Master-Abschlüssen wird auch über einen solchen in "Teaching Expertise" ("Vermittlungskompetenz") nachgedacht. Wenn an der Substanz der herkömmlichen Lehramts-Ausbildung nichts weggenommen würde und diese weiter in Richtung 'Professionalisierung' entwickelt werden könnte, dann ließe sich mit dieser Etikettierung u.U. leben. In der Natur der Sache liegt es allerdings, dass ein solcher Bachelor-Abschluss ohne ein intensives Master-Studium noch nicht für den Lehrerinnen- und Lehrer-Beruf inklusive dem Referendariat qualifizieren würde. Darüber hinaus ist die Frage sonstiger (außerschulischer) Berufsbilder für einen solchen Bachelor-Abschluss (in "Teaching Expertise" o.ä.) bisher völlig unklar.
    Die Diskussion um eine Verbesserung der Lehrerbildung sollte sich nicht zuallererst an externen, formalen und institutionellen Fragen festmachen, sondern am inhaltlichen Auftrag von Lehrerbildung: gut qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer auszubilden, die den Anforderungen von Unterricht, Erziehung und Bildung in der Schule gewachsen sind und die bei der Bewältigung dieser Aufgabe sowohl ihre eigenen beruflichen Kompetenzen wie auch die institutionellen Kompetenzen ihrer Schule weiterentwickeln. Um dies zu erreichen, sollten sich die begrenzten Reformkapazitäten in den Universitäten nicht auf eine fragwürdige äußere Strukturreform, sondern auf eine schrittweise Verbesserung des Alltags konzentrieren. Wir fordern unsere Kolleginnen und Kollegen dazu auf, sich engagiert an dieser Kärrnerarbeit zu beteiligen. Und wir erwarten von dem nordrhein-westfälischen Schul- und Wissenschaftsministerium, dass es alle diejenigen nachhaltig unterstützt, die sich dieser anspruchsvollen Aufgabe stellen - unabhängig von der äußeren Struktur des Ansatzes.
    Bielefeld, Bochum, Dortmund, Essen, Paderborn, Siegen: im Juli 2001
    Erstunterzeichner:
    Prof. Dr. Peter Bender, Paderborn; Prof. Dr. Hans Brügelmann, Siegen; Prof. Dr. Hans E. Fischer, Dortmund; Prof. Dr. Hans-Werner Heymann, Siegen; Prof. Dr. Eiko Jürgens, Bielefeld, Prof. Dr. Klaus Klemm, Essen; Prof. Dr. Ewald Terhart, Bochum; Prof. Dr. Klaus-Jürgen Tillmann, Bielefeld; Prof. Dr. Gerhard Tulodziecki, Paderborn

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    Vornamen und Dienststellung per e-Mail mit
    an Prof. Dr. Hans Brügelmann: oase@paedagogik.uni-siegen.de


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    Criteria of this press release:
    interdisciplinary
    transregional, national
    Organisational matters, Science policy
    German


     

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