Die Praxis des Strafvollzugs hat sich in den vergangenen Jahren in Europa differenziert entwickelt: Während in Ländern wie England/Wales, Spanien oder zeitweise auch den Niederlande die Gefangenenzahlen rapide anstiegen, sind manche zentral- und osteuropäischen Staaten dabei, ihre ehemals sehr hohen Belegungszahlen zu reduzieren. Für beide Entwicklungen spielen vor allem kriminalpolitische Entscheidungen eine bedeutende Rolle.
Das ist das Ergebnis eines Projektes, das die maßgeblichen Faktoren für die Entwicklung der Gefangenenzahlen im Rechts- und Rechtstatsachenvergleich untersuchte. Die Publikation Kriminalität, Kriminalpolitik, strafrechtliche Sanktionspraxis und Gefangenenraten im europäischen Vergleich gibt detailliert Auskunft über die Situation in verschiedenen europäischen Staaten.
Die zweibändige Publikation beleuchtet kriminologische und strafrechtliche Aspekte des Sanktionsrechts und der Sanktionspraxis und ihre Auswirkungen auf das Gefängnissystem in quantitativer und qualitativer Hinsicht vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Wandlungsprozesse im europäischen Vergleich. Hohe Gefangenenraten und die Überbelegung im Strafvollzug stellen aus menschenrechtlicher Sicht ein besonderes Problem in zahlreichen Ländern dar. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist anerkannt, dass die Überbelegung in Gefängnissen eine Verletzung des Verbots unmenschlicher und erniedrigender Behandlung (Art. 3 EMRK, Folterverbot) darstellen kann. Daher und auch, um die Verschleuderung von Steuergeldern zu vermeiden, liegt es im Interesse einer jeden Gesellschaft, den Gebrauch von Freiheitsentzug jeder Art auf den geringstmöglichen Umfang zu begrenzen. Das vorliegende Forschungsprojekt zeigt, dass bei Gefangenenraten von ca. 60 pro 100.000 in den skandinavischen Ländern und mehr als 600 in Russland sehr unterschiedliche Problemlösungen existieren.
Nach einer Betrachtung des aktuellen Forschungsstandes folgen 17 Landesberichte von Belgien bis Ungarn. Der deutsche Landesbericht (Frieder Dünkel, Christine Morgenstern) wird durch eine Analyse der spezifischen Situation in Hamburg (das jüngst einen Rückgang der Gefangenenzahlen um 40 % zu verzeichnen hatte) ergänzt.
In Kapitel 21 vergleicht Christine Morgenstern soziale Indikatoren, insbesondere zur sozialen Exklusion (Daten zur Arbeitslosigkeit; Armut, Einkommensungleichheit), die immer wieder im Zusammenhang mit Bestrafungstendenzen und Gefangenenraten diskutiert werden, anhand des Materials europäischer Datenbanken. Die anschließenden Kapitel von Susanne Karstedt und Tapio Lappi-Seppälä behandeln politikwissenschaftliche, soziologische und kriminologische Fragestellungen. Abschließend fassen die Herausgeber, den „Ertrag“ des Projekts nochmals umfassend zusammen und stellen die neuesten Entwicklungen und Erklärungen hierfür in den untersuchten Staaten dar.
Frieder Dünkel, Tapio Lappi-Seppäla, Christine Morgenstern, Dirk van Zyl Smit (Hrsg.): Kriminalität, Kriminalpolitik, strafrechtliche Sanktionspraxis und Gefangenenraten im europäischen Vergleich. In: Schriften zum Strafvollzug, Jugendstrafrecht und zur Kriminologie, hg. Prof. Dr. Frieder Dünkel, Lehrstuhl für Kriminologie an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Band 37/2, Forum Verlag Godesberg, Mönchengladbach 2010. ISSN 0949-8354
Ansprechpartner an der Universität Greifswald
Prof. Dr. Frieder Dünkel
Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät
Lehrstuhl für Kriminologie
Domstraße 20, 17487 Greifswald
Telefon 03834 86-2138
duenkel@uni-greifswald.de
http://jura.uni-greifswald.de/duenkel - Lehrstuhl für Kriminologie
Criteria of this press release:
Law
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Scientific Publications
German
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