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10/02/2001 15:08

"Türen öffnen zum Menschen mit Demenz"

Klaus Großjohann Fachbereich Öffentlichkeitsarbeit
Kuratorium Deutsche Altershilfe - Wilhelmine Lübke Stiftung e. V.

    KDA-Fachtagung in Bonn:

    "Türen öffnen zum Menschen mit Demenz":
    Zahlreiche Ideen und Möglichkeiten sollen Mut machen

    KDA-Fachtagung in Bonn:

    "Türen öffnen zum Menschen mit Demenz":
    Zahlreiche Ideen und Möglichkeiten sollen Mut machen

    (KDA) Bonn 2. Oktober 2001 - Demenzielle Erkrankungen, wie zum Beispiel die bisher nicht heilbare Alzheimersche Krankheit, lösen bei den Betroffenen und ihren Angehörigen Angst, Verzweiflung und nicht selten Resignation aus. Viele betroffene Familien sehen darin das "größte Unglück, das sie treffen konnte". Dabei wird oft übersehen, wie viele Möglichkeiten es gibt, die Lebensqualität der Erkrankten und der Menschen, die sich um sie kümmern, zu verbessern. Entsprechende Wege und Möglichkeiten einer "türöffnenden" Pflege und Begleitung von Menschen mit Demenz, stellte das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) gestern und heute im Rahmen der Fachtagung "Zugänge zur Welt demenziell und psychisch erkrankter älterer Menschen" vor, zu der 250 Experten ins Bonner Wissenschaftszentrum kamen.
    "Es geht darum, die richtigen 'Schlüssel' zu finden, um in Kontakt mit der scheinbar verschlossenen und versunkenen Welt von Menschen mit Demenz zu gelangen", sagte die KDA-Pflegeexpertin Christine Sowinski. "Je mehr 'Schlüssel' und damit 'Türöffner' man findet, desto besser."
    Wie viele solcher "Türöffner" es bereits gibt, zeigen die Ergebnisse einer zweijährigen, bundesweiten Recherche. Im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hatte das KDA nach bekannten und bislang unbekannten "kleinen" und "großen" Ideen und Möglichkeiten gesucht, die den Alltag von Menschen mit Demenz erleichtern. Bestehende Konzepte wurden analysiert und zu zentralen Handlungsempfehlungen in dem 600-seitigen "Qualitätshandbuch Leben mit Demenz" zusammengefasst, das auf der Bonner Fachtagung vorgestellt wurde.

    Neues Qualitätshandbuch soll Mut machen
    "In Zusammenhang mit der medikamentösen Behandlung demenzieller Erkrankungen wird den betroffenen Menschen oft Hoffnung auf neue Wirkstoffe gemacht. Es gibt zwar Medikamente, die den Krankheitsverlauf verzögern, die Krankheit aber letztendlich nicht heilen können", erläuterte Dr. Willi Rückert, Leiter der KDA-Abteilung Sozialwirtschaft und "Handbuch"-Mitautor. "Das KDA plädiert deshalb dafür, dass Demenz als Behinderung begriffen wird und dass versucht wird, die Schwierigkeiten im Alltag, die durch diese Behinderung entstehen, durch eine 'türöffnende' Begleitung zu verringern."
    Britta Maciejewski, KDA-Referentin und ebenfalls "Handbuch"-Autorin, verwies auf Untersuchungen des britischen Psychologen Tom Kitwood. Sie hätten ergeben, dass der Verlauf einer Demenzerkrankung nicht nur von organischen, sondern auch von psychischen und sozialen Faktoren abhängig ist. "Das macht Mut, denn es bedeutet, dass man einiges dafür tun kann, um den Alltag, der von diesen Krankheitsbildern bestimmt wird, nicht nur erträglich zu machen, sondern für alle Beteiligten auch die Lebensqualität zu verbessern", so Maciejewski. Statt zu resignieren und demenzkranke Menschen als "menschliche Hüllen" anzusehen, sollte man ihre Persönlichkeit und damit auch ihr Recht auf Lebensqualität in den Mittelpunkt des pflegerischen Handelns stellen.

    Feste Bezugspersonen auch in stationären Einrichtungen notwendig
    Ein unverzichtbarer "Türöffner" ist für die Experten des Kuratoriums Deutsche Altershilfe die so genannte "Bezugspersonenpflege". "Für Menschen mit Demenz ist es von elementarer Bedeutung, dass sie feste und vertraute Bezugspersonen haben", so Christine Sowinski, die auch zu den Autoren des "Qualitätshandbuchs" gehört. Wird die Begleitung aber - wie in vielen Einrichtungen der Altenhilfe noch Gang und Gäbe - mit ständig wechselnden Mitarbeitern aus Pflege und Hauswirtschaft organisiert, würde das gerade desorientierten alten Menschen, die sich nur schwer auf veränderte Situationen einstellen können, viel Stress und Angst bereiten. Ohne feste Bezugspersonen sei es zudem nicht möglich, einen stabilen Kontakt zu einem Menschen mit Demenz herzustellen und seine Biografie, seine Vorlieben sowie Abneigungen kennen zu lernen. "Es gibt zwar eine Vielzahl biografieorientierter und damit ebenfalls 'türöffnender' Techniken, die einen Zugang zum Menschen mit Demenz ermöglichen", betonte Britta Maciejewski, die bei ihren Recherchen auf sehr originelle Ideen gestoßen ist, wie Biografiearbeit aussehen kann. "Aber nur eine vertraute Bezugsperson ist mit diesem Wissen in der Lage, sich auf einen Menschen mit Demenz, seine Stimmungsschwankungen, seine Unruhe und auch auf seine Angst verstehend einzulassen." Und nur sie könne auch richtig beurteilen, welche der zahlreichen im Handbuch vorgestellten biografischen Ansätze und Ideen für den betroffenen Menschen sinnvoll und gut sind.

    Motorräder und Mostpressen
    So werden nicht alle Heimbewohner etwas damit anfangen können, wenn man ihnen zum Beispiel ein Motorrad ins Zimmer stellt. Auf diese Idee, die auch im Handbuch beschrieben ist, waren Mitarbeiter einer Duisburger Pflegeeinrichtung gekommen, nachdem sie erfahren hatten, dass ein bestimmter Bewohner früher ein begeisterter Motorradfahrer und -bastler gewesen war. Und so lautet eine "Qualitätshandbuch"- Anregung für Einrichtungen, die über einen großen Garten oder Schuppen verfügen, sich ein altes Auto oder Motorrad anzuschaffen. "Denn neben der Gartenarbeit ist das samstägliche Ritual der Autopflege bei vielen - auch desorientierten - alten Männern noch bekannt und knüpft an ihr Leben an", erläuterte Britta Maciejewski.
    An die bäuerliche Herkunft der Bewohner knüpft man in dem Caritas-Altenheim "St. Gisela" im bayerischen Waldkirchen an. Hier schälen und schnibbeln die alten Menschen alljährlich im Herbst Äpfel, die in einer alten Mostpresse verarbeitet werden. "Diese können auch viele desorientierte Bewohner noch gut bedienen, da sie jahrzehntelang damit umgegangen sind", berichtete Peter Stöckle, Wohngruppenleiter in "St. Gisela".
    Dass auch Tiere "Türöffner" sein können, zeigt ein weiteres Beispiel im "Qualitätshandbuch": In "Haus Bickenalb" fällt Besuchshündin Senta der Zugang zu den demenziell erkrankten Bewohnern besonders leicht. Denn viele der älteren Menschen dort hatten früher selbst Hunde oder sind den Umgang mit ihnen gewohnt. Aber auch Bewohner, die dem Hund anfangs skeptisch gegenüber standen, haben mittlerweile Gefallen an Senta gefunden. "Meinen Kollegen und mir gelingt es nur selten und eher zufällig, den Durchbruch zu den an Demenz Erkrankten zu schaffen und in ihre Welt zu gelangen. Der Hund schafft es viel eher und gezielter, eine Brücke zu ihnen zu bauen", erfuhren die "Handbuch"-Autoren vom Pflegedienstleiter der Einrichtung. "Solche Praxis-Beispiele, von denen es zahlreiche in dem Buch gibt, machen deutlich, wie viele Möglichkeiten existieren, auf die spezifischen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz einzugehen. Auch, wenn das manchmal unkonventionelle Maßnahmen erfordert. Aber gerade diese 'kleinen' Maßnahmen können häufig eine große Wirkung haben", so Klaus Besselmann, KDA-Referent und Mitautor.
    "Wenn Menschen mit Demenz vertrauten Beschäftigungen nachgehen und damit ihr Leben so normal wie möglich gestalten, können sie sich dabei auch als kompetent erleben", erklärt Dr. Willi Rückert. "Vertraute Situationen und Tätigkeiten haben einen erheblichen Einfluss auf die Lebensqualität."

    Vertrautheit und Normalität durch kleine Wohneinheiten
    Ein normales Leben in einer vertrauten Umgebung wird wesentlich leichter realisierbar, wenn die älteren Menschen in kleinen Wohneinheiten leben. Auch darin sieht das KDA einen "Türöffner" und initiierte deshalb so genannte familienähnliche Hausgemeinschaften, in denen sechs bis acht Personen zusammen leben.
    Um sie kümmern sich rund um die Uhr feste Bezugspersonen. Zentraler Bereich dieser Hausgemeinschaften sind die Wohnküchen, in denen die Bewohner das Gemeinschaftsleben nach ihren Bedürfnissen gestalten oder zumindest daran teilnehmen können.
    Über 40 dieser Einrichtungen hat das KDA mittlerweile geplant und begleitet. "Dieses System ist auch in herkömmlichen Einrichtungen möglich, indem große Wohnbereiche in kleinere Organisationseinheiten aufgeteilt werden", erklärte Christine Sowinski. Denn gerade Menschen mit Demenz seien sehr auf vertraute Tagesabläufe, Geräusche und Gerüche sowie ein überschaubares Umfeld angewiesen, wie es nur in solchen Wohngruppen möglich ist.

    KDA gegen Sonderwohnformen
    Das KDA wendet sich in diesem Zusammenhang gegen Sonderwohn- und Lebensformen von Menschen mit Demenz sowie gegen jegliche Form des Wegsperrens und Ausgrenzens. Trotzdem plädiert das KDA damit nicht für ein Zusammenleben zwischen Demenz- und Nicht-Demenzkranken um jeden Preis. Wenn bestehende Wohnbereiche in Heimen aufgeteilt werden oder Hausgemeinschaften neu bezogen werden, plädiert das KDA vielmehr dafür, darauf zu achten, ob die zukünftigen Bewohner zueinander passen. Dabei sollten sich die Mitarbeiter und verantwortlichen Planer immer an den individuellen Gewohnheiten und Bedürfnissen sowie Eigenschaften dieser Menschen orientieren. Dies sei eine viel wichtigere Voraussetzung für ein Zusammenleben, in dem sich die Bewohner gegenseitig stützen, als ein gemeinsames Krankheitsbild.

    Maciejewski, Britta; Sowinski, Christine; Besselmann, Klaus; Rückert, Willi (2001): Qualitätshandbuch Leben mit Demenz. Zugänge finden und erhalten in der Förderung, Pflege und Begleitung von Menschen mit Demenz und psychischen Veränderungen. Köln: Kuratorium Deutsche Altershilfe. Ringbuch im Schuber, 600 Seiten mit zahlreichen Abbildungen. ISBN: 3-935299-19-2, DM 192,-/ Euro 98,-

    Mehrere Praxis-Beispiele aus dem Qualitätshandbuch Leben mit Demenz wurden auch in der gerade erschienenen Ausgabe 3/2001 von Pro ALTER, dem Magazin des Kuratoriums Deutsche Altershilfe, vorgestellt. Die Ausgabe befasst sich im Titelthema ausführlich mit "Zugängen zur verschlossenen Welt demenzkranker Menschen".
    Weitere Themen des 64-seitigen Heftes sind unter anderem:

    * Ermittlung des Pflege- und Personalbedarfs in Bremer Heimen
    * Auf dem Prüfstand: Gütesiegel bei technischen Hilfsmitteln
    * Hotelketten erobern US-amerikanischen Markt für Seniorenwohnen
    * Was bringt das neue Heimgesetz für die Heimbeiräte?
    * Sich kleiden - (k)ein Thema für die Pflege?

    Pro ALTER ist zu beziehen beim Kuratorium Deutsche Altershilfe, An der Pauluskirche 3, 50677 Köln, Fax 0221/93 18 47-6, E-Mail: versand@kda.de. Das Magazin erscheint viermal im Jahr. Das Einzelheft kostet 8,50 DM (zuzüglich Versandkosten), das Jahresabonnement
    29 DM (einschließlich Versandkosten).

    Ansprechpartnerinnen im KDA für weitere Informationen: Britta Maciejewski und Ines Jonas


    More information:

    http://www.kda.de


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    Criteria of this press release:
    Construction / architecture, Media and communication sciences, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Social studies, Teaching / education
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Scientific conferences, Scientific Publications
    German


     

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