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10/09/2001 15:33

Orientalische Architektur im Mittelalter

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Im mittelalterlichen Vorderen Orient, in Ägypten und Syrien, herrschte die Dynastie der Ayyubiden. Ihre politische Ordnung, eine Familienkonföderation aus großen und kleinen Fürstentümern, wurde durch schriftliche Quellen überliefert. Die Herrscher-Dynastie setzte auch starke architektonische Akzente. Der Islamwissenschaftler Dr. Lorenz Korn ist den heute teilweise noch sichtbaren Spuren der mittelalterlichen Bautätigkeit nachgegangen.

    Tübinger Islamwissenschaftler hat Städte in Syrien und Ägypten untersucht

    Im heutigen Syrien und Ägypten, der Landschaft vom Taurus bis zum Golf von Akaba, gab es auch im Mittelalter, im 12. und 13. Jahrhundert, große blühende Städte wie Aleppo, Damaskus und Kairo. Der Islamwissenschaftler Dr. Lorenz Korn vom Orientalischen Seminar der Universität Tübingen hat die Entwicklungslinien dieser Großstädte architekturgeschichtlich untersucht. Die Städte sind seit dem Mittelalter stark gewachsen, die Grundlinien wurden jedoch schon damals gezogen, sagt Korn. Der Wissenschaftler hat sich bei seinen Nachforschungen in schriftlichen, meist arabischen Quellen aus Chroniken und geographischen Beschreibungen ein umfassendes Bild von der mittelalterlichen Bautätigkeit zu Zeiten der Ayyubiden-Dynastie gemacht. Vor Ort hat er zum Teil auch ayyubidische Bauten entdeckt, die nicht als solche bekannt waren. Wichtige Quellen waren vielfach die Inschriften an den noch existierenden Gebäuden selbst. "Sie sind, zumal in der islamischen Kunst, wichtiger Teil des Dekors. Sie ziehen sich manchmal fast wie eine Werbetafel quer über die Fassade", erklärt Korn. Zwar seien die Inschriften früher nur für Gebildete zu entziffern gewesen, doch war die Alphabetisierung im Orient weiter vorangeschritten als in Europa.

    "Auf den ersten Blick unterscheiden sich mittelalterliche orientalische Städte nicht so sehr von Städten in Europa", sagt Korn. Die Struktur mit Stadtmauer, zentralen öffentlichen Gebäuden und dezentralem Wohnen war hier wie dort verwirklicht. Schon wegen des Klimas waren die Häuser jedoch unterschiedlich konstruiert. Außerdem waren die Stadtviertel im Orient autonomer, zum Teil sogar mit Toren gegeneinander abgeschlossen. In Europa bestand in mittelalterlichen Gebäuden meistens Nähe von Wohnen und Wirtschaften. "Typisch war etwa der Handwerker, der oben im Haus seine Wohnung hatte und unten seinen Laden", sagt Korn. Im Orient dagegen waren Märkte und Basare streng von den Wohnvierteln getrennt. "Außerdem waren die Städte dort damals moderner, mit besserer Infrastruktur. Frisches Wasser gab es zum Beispiel in beinahe jeder Straße. In Aleppo und Damaskus existierte sogar vielfach auch eine Kanalisation", beschreibt der Islamwissenschaftler. Im mittelalterlichen Europa sei Paris die einzige Stadt mit über 100 000 Einwohnern gewesen. "Im Vorderen Orient erreichten Kairo, Aleppo und Damaskus diese Größe, Irak und Iran noch nicht mitgerechnet", so Korn.

    In der mittelalterlichen politischen Ordnung Ägyptens war der Sultan Oberhaupt über das Gesamtreich. Das große und wirtschaftlich mächtige Land war stark zentralisiert. Syrien war dagegen in mittlere und kleinere Herrschaften eingeteilt, die zum Teil zu größeren Fürstentümern zusammengefasst waren. Der Fürst von Damaskus hatte kleinere Fürsten als Vasallen. Die Kleinfürsten wiederum vergaben Land an Offiziere und andere Militärs im Austausch gegen Dienstleistungen. Ähnlich wie in Europa mussten Anteile der Ernte als Steuern abgeführt werden. "Gut informiert sind wir über die Bauten der Oberschicht, öffentliche Einrichtungen, religiöse Bauten wie Moscheen. Wenig wissen wir dagegen über die normale Wohnbevölkerung. Eine Ausnahme bildet Kairo, wo auch mittelalterliche Wohnbebauung frei gelegt wurde", erklärt Korn. Das Baumaterial war regional verschieden. In Syrien wurde viel Stein verwendet, zum Teil in Damaskus auch Holz und Fachwerk, in Ägypten dagegen Backsteine und ungebrannte Lehmziegel.

    Mit prächtigen Moscheen für die Stadtteile seien die Städte im 12. und 13. Jahrhundert bereits gut versorgt gewesen. "In dieser Periode entstanden vor allem andere religiöse Bauten, etwa theologisch und juristisch ausgerichtete Schulen für Erwachsene, eine Art Hochschule, die so genannte Madrasa", erklärt Korn. Diese Schulen wurden häufig als Stiftungen gegründet. Die Stiftungsmittel stammten meistens aus dem Grundbesitz der Stifter, die sich mit einem Grabmal neben der Madrasa selbst ein Denkmal setzten. Unter den Stiftern gab es auch Bauherrinnen aus Herrscherfamilien, hochgestellten Militärs oder Gelehrtenfamilien. "Das passt vielleicht nicht zum heutigen Bild des Islam, das korrigiert werden muss", so Korn. Eine Madrasa wurde auch gegründet, um der herrschenden Dynastie juristisch gut ausgebildete Leute für das Gerichtswesen und den Kanzleidienst zur Verfügung zu stellen. Die Leute zeigten sich loyal, da ihnen die Ausbildung finanziert wurde.

    Wichtige Bauwerke aus dieser Zeit der Kreuzzüge sind auch die Befestigungen der Städte. "Das war damals kein permanenter Krieg, aber es gab immer wieder Phasen mit Kämpfen", beschreibt der Islamwissenschaftler. Die Befestigungen wurden als staatliche Aufgabe gesehen und finanziert, organisiert über das Militär. Häufig waren die Kommandeure jeweils für einen Bauabschnitt der Stadtbefestigung oder eine Zitadelle verantwortlich. "Über den genauen Ablauf sind wir nicht informiert", so Korn. Dagegen ist die Arbeit der Steinmetze gut zu verfolgen. Eine Zitadelle in Damaskus vom Anfang des 13. Jahrhunderts ist durch Inschriften an den Türmen datiert. Zwischen den Bauabschnitten gab es auch Phasen der Ruhe. "Dann wurde im gleichen Baustil und mit dem gleichen Bautrupp 130 Kilometer weiter südlich gebaut", erläutert der Forscher, "es gab auch Zwangsarbeit, vor allem in Ägypten. Die Bevölkerung beklagt sich in christlichen Quellen über Erd- und Steintransporte zum Beispiel in Kairo." Zahlreiche Befestigungen entstanden nicht an der Frontlinie zu den Kreuzfahrern, sondern im Landesinnern: Das eigene Territorium wurde wegen zahlreicher innermuslimischer Konflikte in der Familienkonföderation der Ayyubiden-Dynastie gesichert.

    Ähnlich wie in Europa wurden in den Feldschlachten Hieb- und Stichwaffen, Pfeil und Bogen eingesetzt, Helme und Schilde. Allerdings waren im Orient die Krieger etwas leichter bewaffnet als die europäischen Ritter. "Es war schwierig, die Befestigungen zu knacken: Leitern anlegen, Tore einrammen, Mauern unterminieren, das waren relativ simple und nicht immer erfolgreiche Techniken", sagt Korn. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts gab es eine technische Revolution: eine Steinschleuder mit Gegengewicht. Wurfgeschosse konnten vorher nur von Menschenhand benutzt werden, jetzt brachten die Krieger auch Mauern zum Einstürzen. In der Befestigungstechnik wurde mit Gegenmaßnahmen reagiert. Riesige massive Türme entstanden und Mauern mit enormen Stärken. "Diese Bauten gehören heute noch teilweise zum Stadtgebiet. In Aleppo ist der Torturm der Zitadelle das Wahrzeichen der Stadt", sagt der Islamwissenschaftler. Erhalten wurde in Damaskus noch eine mittelalterliche Madrasa. Andere Bauten aus dem Mittelalter sind weiterhin öffentliche Gebäude, andere Wohnhäuser oder längst Ruinen. "In Kairo folgten auf die Ayyubidenzeit für 250 Jahre andere baufreudige Herrscher, so dass viele Bauten verschwunden sind", sagt Korn. Dass es sich bei den erhaltenen mittelalterlichen Bauten um Schätze handelt, sei vielen Menschen bewusst. Um die Gebäude zu erhalten, fehle jedoch häufig das Geld.
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    Nähere Informationen:

    Dr. Lorenz Korn
    Biesingerstr. 14
    72070 Tübingen
    Tel. 0 70 71/4 43 95
    e-mail: lorenz.korn@uni-tuebingen.de

    Der Pressedienst im Internet: http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pd/pd.html


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    Criteria of this press release:
    Construction / architecture, History / archaeology, Social studies
    transregional, national
    Research results
    German


     

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