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10/11/2001 11:12

Beim Gestalten des Alters der zugewanderten Bewohner kann Dortmund von Leeds lernen

Ole Lünnemann Referat Hochschulkommunikation
Universität Dortmund

    Altern in der Migration - diese zentrale Begleiterscheinung des demographischen und sozialen Wandels ist in der Bundesrepublik mittlerweile sowohl zu einem gewichtigen sozialgerontologisch und sozialpolitischem Thema geworden. Zugleich hat sich aus dem Älterwerden der Zugewanderten auch einer bedeutsamen Herausforderung für die bestehenden Strukturen der Altenhilfe entwickelt. Auf Erfahrungen anderer Länder wurde jedoch in Deutschland bislang kaum zurückgegriffen - weder in der wissenschaftlichen noch in der praktischen Arbeit. Dieser Lücke widmet sich die Dissertation von Dr. Vera Gerling, die beim Institut für Gerontologie an der Universität Dortmund abgeschlossen wurde.

    Vera Gerling hat die in einem länderübergreifenden Systemvergleich die in Deutschland und Großbritannien gemachten Erfahrungen in der Entwicklung und Bereitstellung sozialer Dienste für zugewanderte Seniorinnen und Senioren im offenen Bereich der Altenhilfe analysiert und auf die Entwicklungspotentiale verwiesen. Die darauf aufbauende empirische Untersuchung befasst sich mit den auf kommunaler Ebene in Dortmund und Leeds eingesetzten Strategien, Potentialen und 'Models of Good Practice' sozialer Dienste für zugewanderte Seniorinnen und Senioren.

    Zahl der Zugewanderten unter den Älteren steigt

    Für beide Länder bestehen grundlegend vergleichbare Hintergründe und Handlungsanforderungen, obwohl sich die Kontexte der Arbeitsmigration unterschieden (koloniale Vergangenheit Großbritanniens und Zuwanderung aus dem New Commonwealth auf der einen und gezielte staatliche Arbeitskräfteanwerbung Deutschlands auf der anderen Seite).

    Die Anteile der nicht einheimischen Älteren an der Gesamtgruppe der älteren Bevölkerung sind in beiden Ländern mit ca. 2,5% zur Zeit zwar noch relativ gering, werden aber zukünftig stark anwachsen.

    Die größten Gruppen nicht einheimischer Älterer umfassen in der Bundesrepublik Ältere aus dem ehemaligen Jugoslawien, der Türkei, Italien, Griechenland und den Niederlanden und in Großbritannien Ältere aus Indien, der Karibik und Pakistan.

    Die regionale Verteilung folgt in beiden Ländern ähnlichen Mustern: Die höchsten Konzentrationen sind in den (alt)-industriellen Ballungsgebieten und dort in den nördlichen Innenstadtbezirken anzutreffen.

    Auf kommunaler Ebene variiert die Zusammensetzung der nicht einheimischen Bevölkerung erheblich. Dortmund hat einen Anteil ausländischer Wohnbevölkerung von ca. 13%. In Leeds beträgt der Anteil ethnischer Minderheiten ca. 6%. In Dortmund leben gut 9.200 ausländische Senioren/innen in der Altersklasse 55 Jahre und älter, wobei die größte Gruppe türkischer Herkunft ist; in Leeds leben (nach allerdings veralteten Daten) ca. 3.600 ältere Angehörige ethnischer Minderheiten, von denen die größte Gruppe aus der Karibik stammt.

    Stärkere Sorge um nicht einheimische Ältere

    In beiden Ländern sind die Lebenslagen der nicht einheimischen Senioren/innen im Vergleich zu denen der einheimischen als wesentlich schlechter einzuschätzen, was insbesondere die Bereiche Einkommen, Wohnen, Gesundheit und den Zugang zu öffentlichen Diensten und Einrichtungen betrifft.

    Für Großbritannien ist ein ca. 10-Jahres-Vorsprung der praktischen und inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Handlungsfeld 'Soziale Dienste für nicht einheimische Ältere' zu konstatieren.

    In beiden Ländern ist die Entwicklung sozialer Dienste für zugewanderte Seniorinnen und Senioren noch nicht in ausreichendem Ausmaß, das heißt nicht flächendeckend erfolgt. Es existieren große regionale Unterschiede. Das quantitative Ausmaß solcher Dienste ist in Großbritannien jedoch größer.

    Aufgrund der unterschiedlichen altenpolitischen Systeme ergeben sich bezogen auf die Träger dieser Dienste erhebliche Unterschiede: Im Gegensatz zur Bundesrepublik spielt in Großbritannien der öffentliche Sektor als Träger nach wie vor die größte Rolle, auch wenn seit etlichen Jahren versucht wird, die Erbringung sozialer Dienste in den privaten und freiwilligen Sektor zu delegieren.

    Das Handlungsfeld 'Soziale Dienste für zugewanderte Ältere' ist in Großbritannien durch im Vergleich zur Bundesrepublik positivere rechtliche Rahmenbedingungen gekennzeichnet: Zum einen verfügt der überwiegende Teil der ethnischen Minderheiten in Großbritannien über die britische Staatsangehörigkeit, womit sie politisch in einer stärkeren Position sind. Und zum anderen wirkt sich die staatliche Anti-Diskriminierungspolitik zum Teil positiv auf das Erbringen sozialer Dienste für ältere Angehörige ethnischer Minderheiten aus, was in besonderem Maße für Leeds gilt. Gesetzlich sind die Erbringer sozialer Dienste dazu verpflichtet, die spezifischen Bedürfnisse ethnischer Minderheiten zu berücksichtigen.

    Rücksicht auf Ethnien hilft bei Integration

    Soziale Dienste für zugewanderte Seniorinnen und Senioren sind in Großbritannien stärker ethnienspezifisch ausgerichtet, was grundsätzlich nicht als Integrationshindernis angesehen wird. Dementsprechend sind in die Sprachen der ethnischen Minderheiten übersetzte Informationsmaterialien sowie öffentlich bereit gestellte Dolmetscherdienste relativ weit verbreitet.

    Die Selbstorganisationen ethnischer Minderheiten stellen in beiden Ländern besondere Ressourcen für ältere Immigrantinnen und Immigranten dar, was auch für die Erbringung von sozialen Diensten gilt (man denke beispielsweise an türkische Moscheevereine, die für viele ältere türkische Männer die Funktion von Altentagesstätten haben). In der Bundesrepublik treten ihre Potentiale in letzter Zeit verstärkt in den Vordergrund; in Großbritannien werden sie seit jeher wesentlich stärker in die Entwicklung sozialer Dienste mit einbezogen, was für Leeds wiederum in besonderem Maße gilt.

    Beim Erbringen sozialer Dienste für zugewanderte Seniorinnen und Senioren kommt in Großbritannien dem 'black voluntary sector' (also den Organisationen ethnischer Minderheiten) eine besondere Rolle zu. In Leeds ist dieser wiederum besonders stark entwickelt; er wird politisch und finanziell unterstützt. Die große Bedeutung des 'black voluntary sector' ist jedoch auch kritisch zu sehen: Viele Angebote leiden unter großen Finanzierungsschwierigkeiten und sind nur entstanden, weil der öffentliche Sektor seiner Verantwortung nicht in ausreichendem Maße nachgekommen ist.

    Die Angebote der ethnischen Selbstorganisationen sind in beiden Ländern von einer 'modernen' produktiven Multifunktionalität gekennzeichnet und meistens generationenübergreifend ausgerichtet.

    Erfahrungsaustausch empfehlenswert

    Die Kenntnis und Inanspruchnahme sozialer Dienste durch zugewanderte Seniorinnen und Senioren ist in beiden Ländern eher unterdurchschnittlich, wobei es deutliche Unterschiede zwischen den Ethnien gibt. Als Gründe sind jedoch nicht mangelnde Bedarfe, sondern erhebliche Zugangsbarrieren verantwortlich zu machen. Auf Seiten der Dienstleister sind dies unter anderem die mangelnde Ausrichtung der Dienste auf die spezifischen sprachlichen, religiösen und ernährungsbedingten Bedürfnisse, fehlende Kenntnisse über die Lebenssituation der älteren Immigrantinnen und Immigranten sowie die Komm-Struktur der Altenhilfe.

    Auf Seiten der älteren Immigrantinnen und Immigranten sind insbesondere Unkenntnis, falsche Vorstellungen über Angebot, Struktur und Inhalte der Dienste, bestimmte kulturelle und religiöse Konzepte, Sprachschwierigkeiten und schlechte Erfahrungen als größte Barrieren zu nennen.

    Bezogen auf die zielgruppengerechte Entwicklung sozialer Dienste für zugewanderte Seniorinnen und Senioren kommen in Dortmund und Leeds zum großen Teil ähnliche Strategien zum Tragen, die in Leeds jedoch wesentlich intensiver und ausgeprägter angewendet werden. Insofern wäre ein Austausch zwischen den beiden Partnerstädten auf Arbeitsebene durchaus empfehlenswert.

    Zahlreiche Anregungen

    Als besonders erfolgreiche Strategien sind zu nennen:
    - Zugehende Sozialarbeit,
    - zielgruppengerechte Informations- und Öffentlichkeitsarbeit,
    der Einsatz von Dolmetschern,
    - die Durchführung von Untersuchungen und kleinräumige Bedarfsanalysen,
    - die Evaluation bestehender Dienste und Einrichtungen,
    - Ethnic Monitoring (Ermittlung der Inanspruchnahme bestehender Dienste durch ethnische Minderheitengruppen),
    - Beschäftigung, Rekrutierung und Ethnic Monitoring von Personal der passenden ethnischen Herkunft,
    - Konsultation und Kooperation mit den Organisationen und Angehörigen ethnischer Minderheiten,
    - Development Work der Organisationen ethnischer Minderheiten sowie
    - gezielte Fort- und Weiterbildungsangebote für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechender Dienste zu nennen.

    Weitere Information:
    Vera Gerling, Institut für Gerontologie an der Universität Dortmund, Ruf: 0209/1707-344, E-mail: gerling@iatge.de


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    Criteria of this press release:
    Law, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Politics, Social studies
    regional
    Research projects
    German


     

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