Mit dem Auto die Kurven kratzen, ohne rauszufliegen
Dies versuchen zur Zeit Mathematiker um Prof. Dr. Hans Josef Pesch von der Technischen Universität Clausthal. In einem Forschungsprojekt, das seit kurzem vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) gefördert und von der Volkswagen AG, Wolfsburg, mit Know-how unterstützt wird, sollen Testfahrten eines Kraftfahrzeugs im fahrdynamischen Grenzbereich simuliert werden. Ziel des Projektes ist es, mit "virtuellen Kraftfahrzeugen", die alleine durch mathematische Gleichungen und Daten im Computer existieren, Testfahrten auf "virtuellen Teststrecken" zu absolvieren, die ebenfalls nur durch Gleichungen und Daten im Rechner repräsentiert werden. Mit solchen "virtuellen Testfahrten" möchte man bereits in der Frühphase der Entwicklung eines neuen Automobils Erkenntnisse über dessen mögliches Fahrverhalten gewinnen. In drei Jahre sollen die mathematischen Methoden so weit entwickelt sein, daß sie eingesetzen werden können. Der teure Bau von Prototypen kann dann auf das unbedingt nötige Maß reduziert werden, wenn die berechneten Resultate aus mathematischer Simulation und Optimierung den Messungen aus realen Testfahrten gleichwertig sind.
Wie lassen sich aber mit Mathematik diese Erkenntnisse gewinnen? Zunächst einmal kann man heute das Fahrverhalten eines Automobils näherungsweise, aber auch hoch genau mit Hilfe mathematischer Gleichungen, hier sind es Systeme von differential-algebraischen Gleichungen, beschreiben. Der Genauigkeitsgrad hängt dabei vom Detaillierungsgrad der mathematischen Modelle ab. Kurz gesagt: Je mehr Gleichungen, desto genauer repräsentieren die Lösungen der Gleichungen die Wirklichkeit.
Sowohl die komplizierten Gleichungen, als auch deren Lösung können nur noch mit Hilfe von komplizierten Computerprogrammen aufgestellt bzw. berechnet werden. Dennoch lassen sich heute, in der Regel ohne Probleme, selbst für viele solcher Gleichungen Lösungen numerisch berechnen, die, ausgehend von einem Anfangszustand, die Fahrt und das Fahrverhalten des Kraftfahrzeugs beschreiben. Schwierig ist aber in der Tat die Wahl der Steuerungen, also von Lenkradeinschlag, Gas- und Bremspedalstellung und Gang, so daß das Fahrzeug nicht von der Straße abkommt, so daß Beschleunigungen nicht zu groß werden, aber so, daß die Steuerungen das Fahrzeug in denfahrdynamischen Grenzbereich bringen. Nur dort erhält man die Ergebnisse, welche man auch aus realen Testfahrten gewinnt. Jedoch ist der Bau von eventuell mehreren Prototypen extrem teuer; numerische Simulation ist hier allemal billiger.
Voruntersuchungen haben gezeigt, daß man bereits mit einfachen Fahrzeugmodellen bei einfachen Testmanövern, wie schnellen Spurwechseln, aus den Lösungen der Gleichungen Daten berechnen kann, die denen aus teuren Messungen sehr nahe kommen. Dabei kommt man in den fahrdynamischen Grenzbereich, indem man die Teststrecke möglichst schnell, aber mit noch handhabbarenLenkradeinschlägen durchfährt. Mathematisch führt dies auf ein Problem der Optimalen Steuerungen.
Was versteht man nun unter der mathematischen Theorie der Optimalen Steuerungen? Treten in dynamischen Gleichungen, z.B. Differentialgleichungen, freie Funktionen auf, die nicht bereits schon durch diese Gleichungen und die Anfangsbedingungen bestimmt sind, so kann man diese so wählen, daß bestimmte Optimierungsziele bestmöglich erreicht werden. In realitätsnahen Modellen müssen dabei immer auch zahlreiche Nebenbedingungen in Form von weiteren Gleichungen oder Ungleichungen berücksichtigt werden. Bei den virtuellen Testfahrten dürfen, wie bei den realen Testfahrten, z.B. Querbeschleunigungen nicht zu groß werden, und natürlich darf man nicht von der Straße abkommen. Die Lösung dieses Optimalsteuerungsproblems liefert ein mathematisches Modell für einen idealen Testfahrer.
Zu Beginn der fünfziger Jahre wurde die Theorie der OptimalenSteuerungen aus einer der klassischen mathematischen Disziplinen, der Variationsrechnung, geboren, die mit den Namen so berühmter Mathematiker wie den Gebrüdern Bernoulli, Euler, Lagrange, Legendre, Jacobi, Weierstraß, Hilbert und Carathéodory verbunden ist. Nach Ende des zweiten Weltkrieges, zu Beginn des kalten Krieges zwischen Ost und West, wurden militärische Fragestellungen, die die Steuerung von Militärflugzeugen betrafen, an Mathematiker herangetragen .Basierend auf den Forschungen dieser Wissenschaftler erlebte diesejunge Disziplin der Mathematik mit der beginnenden Raumfahrt einen ungeheuren Aufschwung. Raumfahrzeuge, aber auch Roboter, verfahrenstechnische Anlagen oder wirtschaftswissenschaftliche Prozesse lassen sich mit Hilfe dieser Theorie und den Verfahren der Numerischen Mathematik optimal steuern. Doch zurück zu den Testfahrten eines Automobils im fahrdynamischen Grenzbereich! Um nun noch genauere Resultate erzielen zu können, müssen mehr Gleichungen in die mathematischen Modelle einbezogen werden. Und dies bedeutet für die Entwicklung mathematischer Berechnungsverfahren eine große Herausforderung. Die zu lösenden Gleichungen werden diskretisert, das heißt, alle Variablen werden nur zu diskreten Zeitpunkten berechnet. Je mehr Gleichungen, aber auch je länger der zu fahrende Testkurs ist, um so mehr diskrete Variablen müssen durch das Optimierungsproblem bestimmmt werden. Die Lösung solch großer Optimierungsprobleme läßt sich aber nur durch neue Verfahren und den Einsatz von parallelen Höchstleistungsrechnern bewerkstelligen.
Criteria of this press release:
Mathematics, Physics / astronomy
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German
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