idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
07/14/2011 17:15

Schonend zurück in den Takt: Innovatives Verfahren zur Niedrig-Energie-Defibrillation

Stefan Weller Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universitätsmedizin Göttingen - Georg-August-Universität

    Gemeinsame Presseinformation von Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation und Universitätsmedizin Göttingen

    Eine neue Methode, Herzflimmern schonend und schmerzfrei zu behandeln, hat ein Forscherteam unter Leitung von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen und der Cornell University in Ithaca (Bundesstaat New York, USA) entwickelt.

    Erstmals konnten die Forscher in vivo (am Tiermodell) zeigen, dass eine Abfolge niedrig-energetischer elektrischer Pulse Vorhofflimmern erfolgreich beenden kann. Dabei kommt die so genannte Niedrig-Energie-Defibrillation mit etwa 84 Prozent weniger Energie aus als die herkömmliche Defibrillation. An der neuen Studie waren auch Wissenschaftler der Universitätsmedizin Göttingen, des Rochester Institute of Technology, der Ecole Normale Supérieure de Lyon und des Laboratoire Non-Linéaire de Nice maßgeblich beteiligt. Von ihren Ergebnissen berichten die Forscher in der Fachzeitschrift Nature. (Nature, veröffentlicht am 14. Juli 2011)

    In einem gesunden Herzen steuern elektrische Impulse, die sich geordnet entlang des Herzmuskels ausbreiten, die mechanische Pump-Aktivität des Organs: In regelmäßigem Takt ziehen sich Herzkammern und Vorhöfe zusammen und erschlaffen danach wieder. Bei Menschen, die unter Herzrhythmusstörungen leiden, funktioniert dies nicht zuverlässig. Die elektrischen Signale breiten sich chaotisch in spiralförmigen Wellen im Herzen aus, unterbinden den regelmäßigen Herzschlag und verhindern so, dass der Körper adäquat mit Blut versorgt wird. Etwa 1-2 Millionen Menschen in Deutschland sind vom so genannten Vorhofflimmern betroffen.

    Für Patienten, bei denen Vorhofflimmern auftritt, gibt es die Möglichkeit der Defibrillation, auch Kardioversion genannt. Ein starker elektrischer Puls, den die Betroffenen als schmerzhaft empfinden und der das umliegende Gewebe schädigen kann, bringt das Herz zurück in den gewohnten Takt. Aufgrund der Schmerzhaftigkeit wird die Defibrillation in der Regel während einer kurzen Narkose durchgeführt. Die Forscher um Prof. Dr. Stefan Luther vom Max-Planck-Institut und Dr. Flavio H. Fenton von der Cornell University setzen nun auf eine andere Methode: die Niedrig-Energie-Defibrillation. Mit Hilfe eines Herzkatheters erzeugen die Forscher eine Abfolge von fünf vergleichsweise schwachen elektrischen Pulsen im Herzen. Wenige Sekunden später schlägt das Herz wieder regelmäßig. „Die Energiemenge, die dem Herzen in Form von elektrischen Pulsen zugeführt wird, lässt sich im Vergleich mit der herkömmlichen Methode so um 84 Prozent verringern“, beschreibt Luther die jüngsten Ergebnisse.

    Obwohl beide Verfahren auf den ersten Blick ähnlich funktionieren, lösen sie innerhalb des Herzens völlig verschiedene Prozesse aus. „Der klassische Defibrillator legt auf einen Schlag alle Zellen des Organs gleichzeitig lahm“, erklärt Prof. Dr. Robert F. Gilmour von der Cornell University. Für einen kurzen Moment können sie keinerlei elektrische Signale weiterleiten; die lebensbedrohlichen, chaotischen Wellen werden unterbunden. Danach kehrt das Herz in seinen gewohnten, gesunden Takt zurück – wie ein Computer, den man kurz aus- und wieder einschaltet.

    Das neue Verfahren beendet die chaotischen Wellen im Herzen hingegen Schritt für Schritt. „Unsere wichtigsten Helfer dabei sind natürliche Inhomogenitäten im Herzen wie etwa Fettgewebe, Blutgefäße oder Bindegewebe“, erklärt Prof. Dr. Eberhard Bodenschatz, Direktor am Max-Planck-Institut. In Experimenten und Simulationen konnten die Forscher zeigen, dass diese Inhomogenitäten Ausgangspunkte für geordnete Wellen sein können. „Recht schwache elektrische Signale reichen aus, um die Zellen an diesen Stellen anzuregen, wieder „normale“ Wellen auszusenden“, erklärt Fenton. Mit jedem Puls werden mehr Inhomogenitäten aktiviert, so dass sie die chaotischen Wellen nach und nach verdrängen und das gesamte Organ wieder in den richtigen Takt versetzen.

    Grundsätzlich lassen sich die Ergebnisse auch auf die Defibrillation von Kammerflimmern übertragen, eine lebensbedrohliche Rhythmusstörung, die durch einen internen oder externen Defibrillator beendet werden kann. Für viele Patienten mit implantiertem Cardioverter-Defibrillator (ICD) könnte die neue Technik Schmerzen vermindern, die Erfolgsrate der Behandlung erhöhen und die Batterielebensdauer verlängern und damit die Häufigkeit des chirurgischen Geräteaustausches reduzieren.

    „Die Niedrig-Energie-Defibrillation (LEAP: Low-Energy Antifibrillation Pacing) ist eine bahnbrechende Entwicklung und ein hervorragendes Beispiel einer erfolgreichen Kooperation zwischen Grundlagenwissenschaftlern und Klinikern mit unmittelbarer Bedeutung für die Entwicklung neuer Therapieverfahren“, sagt Prof. Dr. Markus Zabel, Leiter der Klinischen Elektrophysiologie der Abteilung Kardiologie und Pneumologie der Universitätsmedizin Göttingen, und „wir arbeiten intensiv daran, diese neue Technik so schnell wie möglich zur Behandlung unserer Patienten einsetzen zu können“, ergänzt Prof. Dr. Gerd Hasenfuss, Vorsitzender des Herzzentrums der Universitätsmedizin Göttingen.

    Diese Forschung wurde finanziert durch die Max Planck Gesellschaft, durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (FKZ 01EZ0905/6) und im Rahmen des European Community's Seventh Framework Programme FP7/2007–2013, HEALTH-F2-2009-241526 (EUTrigTreat).

    Originalveröffentlichung:
    Stefan Luther*), Flavio H. Fenton*), Bruce G. Kornreich, Amgad Squires, Philip Bittihn, Daniel Hornung, Markus Zabel, James Flanders, Andrea Gladuli, Luis Campoy, Elizabeth M. Cherry, Gisa Luther, Gerd Hasenfuss, Valentin I. Krinsky, Alain Pumir, Robert F. Gilmour Jr., Eberhard Bodenschatz:
    Low-energy Control of Electrical Turbulence in the Heart
    Nature, Vol. 475, Issue 7355, 235-239 (2011)

    *) Authors contributed equally.

    Weitere Informationen:
    www.bmp.ds.mpg.de
    www.thevirtualheart.org

    Kontakt:
    Dr. Birgit Krummheuer
    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation
    Tel.: +49 551 5176 668
    mobil: +49 173 3958625
    E-Mail: birgit.krummheuer@ds.mpg.de

    Prof. Stefan Luther
    Max Planck Institut für Dynamik und Selbstorganisation
    Tel.: +49 551 5176 370
    E-Mail: stefan.luther@ds.mpg.de

    Dr. Flavio Fenton
    Department of Biomedical Sciences
    Cornell University
    Tel.: +1 516 672 6003
    E-Mail: flavio.h.fenton@cornell.edu

    Prof. Dr. Markus Zabel
    Abteilung Kardiologie und Pneumologie - Herzzentrum Göttingen
    Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
    Tel.: +49 551 39-10265
    E-Mail: markus.zabel@med.uni-goettingen.de


    Images

    Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation
    Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation
    Grafik: mMPIDS
    None

    Herzflimmern. Drei mit kurzem zeitlichem Abstand aufeinanderfolgende Momentaufnahmen von raum-zeitlich chaotischer Erregung des Herzens. Dieser Zustand ungeordneter, elektrischer Erregung kann zum Erliegen der Pumpfunktion des Herzens und zum plötzlichen Herztod führen. LEAP erlaubt die schonende und schmerzfreie Beendigung dieses lebensgefährlichen Zustandes. Bildausschnitt: 6 x 6 cm2. Bedeutung der Farben: schwarz = ruhend, gelb = erregt.
    Herzflimmern. Drei mit kurzem zeitlichem Abstand aufeinanderfolgende Momentaufnahmen von raum-zeitli ...
    Bild: MPIDS
    None


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Medicine
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

    Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation


    For download

    x

    Herzflimmern. Drei mit kurzem zeitlichem Abstand aufeinanderfolgende Momentaufnahmen von raum-zeitlich chaotischer Erregung des Herzens. Dieser Zustand ungeordneter, elektrischer Erregung kann zum Erliegen der Pumpfunktion des Herzens und zum plötzlichen Herztod führen. LEAP erlaubt die schonende und schmerzfreie Beendigung dieses lebensgefährlichen Zustandes. Bildausschnitt: 6 x 6 cm2. Bedeutung der Farben: schwarz = ruhend, gelb = erregt.


    For download

    x

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).