Wuppertaler Modell des Bürgergutachtens zu Verbraucherschutzthemen
450 bayerische Bürgerinnen und Bürger werden bis Mai 2002 im Wuppertaler Modell der sogenannten Planungszellen ein Bürgergutachten zum Verbraucherschutz in Bayern erarbeiten. Auftraggeber ist das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit, Ernährung und Verbraucherschutz, organisiert werden die Planungszellen von der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und Planungsverfahren der Bergischen Universität Wuppertal. Die Planungszelle wurde bereits in den 70er Jahren von dem Wuppertaler Soziologen Professor Dr. Peter C. Dienel entwickelt, dessen Standardwerk ("Die Planungszelle", Westdeutscher Verlag, Opladen) soeben in die vierte Auflage geht. Ziel der Planungszelle ist die Verbesserung von Planungsverfahren durch die Einbeziehung direkt betroffener Bürgerinnen und Bürger. Die bayerische Landesregierung lässt sich die in 18 Städten, Gemeinden und Landkreisen, darunter der Landeshauptstadt München, laufenden Planungszellen 850 000 Mark kosten.
Eine Planungszelle besteht aus 25 zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern, die sich in einer viertägigen Klausur ganz der Lösung eines vorgegebenen Problems widmen. Prof. Dr. Dienel: "Langjährige Forschungsarbeit an der Bergischen Universität belegt, dass dieser Zeitraum ausreichend ist. Trotzdem fordert es den teilnehmenden Bürgerinnen und Bürgern eine hochkonzentrierte Arbeitsweise ab." Um ihnen das nötige Fachwissen zu vermitteln, hören sie Referate kompetenter Experten, die so ausgewählt werden, dass zu allen Sachgebieten kontrovers informiert wird. Jede Planungszelle wird in ihrem organisatorischen Ablauf vorher präzise strukturiert. Zentral ist die Kleingruppe, in der jeweils fünf Teilnehmer Lösungsvorschläge erarbeiten, die dann im Plenum vorgestellt werden. Die Kleingruppen tagen in wechselnder Zusammensetzung, um die Dominanz von Meinungsführern zu verhindern. Koordiniert wird die Planungszelle von zwei Prozessbegleitern.
Planungszellen wurden in den letzten Jahren in zahlreichen Kommunen durchgeführt und befassten sich meist mit Fragen der Stadt- und Verkehrsplanung, zuletzt noch im niederrheinischen Neuss. Der "Vater" der Planungszelle, der inzwischen 78jährige Soziologe Prof. Dr. Dienel, erlebte den ganz großen Durchbruch seines Modells der Bürgerbeteiligung erst viele Jahren nach der Erstveröffentlichung seines Buches. Die Planungszelle geht davon aus, dass jeder Bürger an der Lösung eines Problems mitarbeiten kann, wenn ihm nur genügend Informationen zur Verfügung gestellt werden. Prof. Dienel: "Nach aller Erfahrung finden sich die Bürger schon nach wenigen Tagen auch in komplexer Materie zurecht und erarbeiten sich ein Fachwissen, das zu einem grundlegenden Urteil befähigt."
Die Bürger werden an der Lösung von Problemen beteiligt, wodurch sich die Legitimation der auf Grund ihrer Vorschläge getroffenen Entscheidungen erhöht. Die Bürger fühlen sich durch ihre direkte Beteiligung ernst genommen. Prof. Dr. Dienel: "Das stärkt das Vertrauen in die Demokratie und deren Institutionen." Die Transparenz des gesamten Verfahrens durch umfassende Dokumentation ist ein weiteres Plus der Wuppertaler Planungszelle.
Bei Umfragen sei die Fragestellung vorgegeben. Auf die Planungszelle treffe das eben nicht zu, weil dort auch völlig neue Ideen zur Lösung von Problemen zur Sprache kämen. Durch die heterogene und im wesentlichen repräsentative Zusammensetzung flössen verschiedenste Perspektiven in die Entscheidungsfindung mit ein, die reine Expertenperspektive werde überwunden. Das sei ein Vorteil der Planungszelle gegenüber dem klassischen Expertengutachten: Es würden Bürgerinnen und Bürger beteiligt, die sich sonst nie engagieren oder zu Wort meldeten. Prof. Dr. Dienel: "Erfahrungsgemäß setzen sich in Planungszellen keine Einzelinteressen durch."
Auch in Bayern wurden die Teilnehmer (ab 16 Jahren) durch Zufallsverfahren aus den Melderegistern der betroffenen Gemeinden ausgewählt. So wird sichergestellt, dass ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung in der Planungszelle vertreten ist. Jeder Teilnehmer bekommt eine Aufwandsentschädigung und Erstattung des Verdienstausfalls. Außerdem wird das Arbeitsmaterial zur Verfügung gestellt. Die Ergebnisse der Planungszelle werden zu einem sogenannten Bürgergutachten zusammengefasst.
"Wir haben zwar die wesentlichen Programmpunkte vorbereitet, halten uns ansonsten aber zurück", erklärt Dipl.-Soz.Wiss. Beatrice Hungerland von der Uni Wuppertal. Von den Projektleitern werden die Ergebnisse der einzelnen Planungszellen dann in den Computer übertragen, ausgewertet und in dem Bürgergutachten zusammengefasst. Beatrice Hungerland: "Drei Teilnehmer jeder Planungszelle werden dieses noch einmal Korrektur lesen, bevor es dem Auftraggeber übergeben wird". Das Gutachten soll bis Ende Mai 2002 vorliegen. Bayerns Verbraucherschutzminister Eberhard Sinner hatte die Parole ausgegeben, Verbraucherschutzpolitik nicht über die Köpfe der Bürger hinweg zu gestalten, sondern ihre Erfahrungen und Vorstellungen als Verbraucher mit einzubeziehen und mit Fragen wie Gesundheit, Ernährung, Arbeits- und Produktsicherheit, Werbung, Mobilfunk und Verbraucherberatung auseinander zusetzen.
Criteria of this press release:
Biology, Construction / architecture, Environment / ecology, Law, Oceanology / climate, Politics, Social studies, Traffic / transport
transregional, national
Miscellaneous scientific news/publications, Research projects
German
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