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05/12/1998 00:00

Therapienotstand absehbar in der Veterinärmedizin

Ulrich Thimm Presse, Kommunikation und Marketing
Justus-Liebig-Universität Gießen

    12. Mai 1998, Nr. 41

    Therapienotstand absehbar in der Tiermedizin

    Tierärzte vermissen zunehmend bewährte Arzneimittel

    Beim Blick in den Arzneimittelschrank vermissen Tierärzte zunehmend altbewährte Arzneimittel, die nicht explizit für lebensmittelliefernde Tiere - wie Schweine, Rinder, Geflügel, Fische und Pferde - zugelassen sind. Die Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinien-Novellierung des Arzneimittelgesetzes verbietet heute, andere Arzneimittel, die für nichtlebensmittelliefernde Tiere zugelassen sind, für diese Tiere umzuwidmen. Diese Novellierung hat auch dazu geführt, daß für lebensmittelliefernde Tiere viele Altpräparate wegfallen sind. In einzelnen Fällen kommt es deswegen heute schon zu einem Therapienotstand, der endgültig akut wird, wenn bis zum 1. Januar 2000 für weitere Altpräparate keine Rückstandshöchstmengen festgelegt werden können und damit auch deren Zulassung erlischt.

    Die Verordnungen und Gesetzesnovellen verfolgen eigentlich ein vernünftiges Ziel: Verbraucher sollen beim Fleischverzehr vor bedenklichen Rückständen von Arzneimitteln geschützt werden. Für jeden pharmakologisch wirksamen Stoff, der bei lebensmittelliefernden Tieren angewendet wird, sollen deshalb Rückstandshöchstmengen festgesetzt werden, die keine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen. Für die pharmazeutische Industrie besteht allerdings kein ökonomischer Anreiz, das aufwendige Nachzulassungsverfahren auf sich zu nehmen. Es kostet pro Substanz wegen der notwendigen pharmakologisch-toxikologischen Prüfung mehrere Millionen Mark. Da es sich um Altpräparate handelt, erhält eine Firma, die diese Kosten auf sich genommen hat, allerdings keinen Schutz auf den Wirkstoff, so daß Konkurrenten denselben Stoff vermarkten dürfen. Inzwischen veröffentlicht das Deutsche Tierärzteblatt beinahe monatlich Listen von Präparaten, deren Zulassung erloschen ist.

    So vernünftig das angestrebte Ziel ist, so sind doch im Einzelfall die Folgen absurd: So müssen zum Beispiel Eber in Deutschland einige Monate vor der Schlachtung kastriert werden, um aus ihrem Fleisch unerwünschte Geruchsstoffe zu entfernen. Kastriert wird unter Narkose; dabei hatte sich besonders eine Kombination aus den Arzneimitteln Stresnil und Hypnodil bewährt. Da Hypnodil nicht mehr zugelassen ist, müssen Tierärzte auf die erheblich schlechter geeigneten Barbiturate zurückgreifen - oder die Eber direkt in die Tierkörperbeseitigungsanstalt liefern. Pferde gelten nach deutschem Recht durchweg als lebensmittelliefernde Tiere. Für die Zulassung von Arzneimitteln für Tiere gelten daher die strengen Kriterien der EU-Richtlinien. Andererseits ist Pferdechirurgie ohne Halothan und analoge Anästhesiemittel so gut wie undenkbar, obgleich sie für Pferde nicht zugelassen sind. Hier hilft nur, sich vom Halter schriftlich versichern zu lassen, daß das Pferd nicht als Lebensmittel dienen soll. Inwieweit diese Erklärung nach einem eventuellen Weiterverkauf noch eingehalten wird, ist nicht zu überprüfen.

    Ein anderes Beispiel für ein Anwendungsverbot betrifft den Wirkstoff Phenylbutazon, der seit Jahrzehnten als Schmerzmittel genutzt wurde. Während es gegebenenfalls noch verständlich ist, daß die Anwendung von Phenylbutazon bei landwirtschaftlichen Nutztieren wegen der mangelnden Datenlage untersagt wird, ist das Anwendungsverbot bei Sportpferden nicht nachzuvollziehen. Einzelne Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wollen deswegen die Zulassung von Phenylbutazon bei Sportpferden nicht widerrufen. In Deutschland wird dieser Weg wahrscheinlich nicht gegangen werden.

    Bei dem Wirkstoff Metamizol ist derzeit noch umstritten, ob er unter die EU-Verordnung fällt. Das schmerzstillende Mittel (Novalgin ®) wird zum Beispiel bei Koliken als Notfallmedikament eingesetzt. Da Metamizol nur in Einzelfällen und nicht bestandsweise verwendet wird und auch nicht im Zusammenhang mit der Schlachtung steht, ist ein Anwendungsverbot nicht nur bei Sportpferden, sondern auch bei landwirtschaftlichen Nutztieren unverständlich. Für diesen Wirkstoff sind Wartezeiten mit großen Sicherheitsspannen vor der Schlachtung einzuhalten, und es gab bisher auch keine Hinweise auf eine Verbrauchergefährdung.

    Eine weitere Frist läuft am 1. Januar 2000 ab, bis zu der für weitere Altpräparate Rückstandshöchstmengen festgelegt werden müssen. Es ist abzusehen, daß in den meisten Fällen damit ihre Zulassung erlöschen wird. Den Tierärzten werden viele bewährte Arzneimittel zur Therapie fehlen, was letzten Endes auch nicht im Sinne der Verbraucher oder Tierhalter sein kann.

    Kontaktadresse (nicht zur Veröffentlichung bestimmt):

    Prof. Dr. Ernst Petzinger, Institut für Pharmakologie und Toxikologie, Fachbereich Veterinärmedizin, Frankfurter Straße 107, 35392 Gießen, Telefon (0641) 99-38400 oder -38401, Fax (0641) 99-38389, ernst.petzinger@vetmed.uni-giessen.de

    Prof. Dr. Frieder Lutz, Institut für Pharmakologie und Toxikologie, Fachbereich Veterinärmedizin, Frankfurter Straße 107, 35392 Gießen, Telefon (0641) 99-38402, Fax (0641) 99-38389, frieder.lutz@vetmed.uni-giessen. de


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    Criteria of this press release:
    Biology, Information technology, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
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