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03/28/2002 09:07

Werkstatt für gestresste Proteine

Eva-Maria Diehl Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Biochemie

    Max-Planck-Wissenschaftler entschlüsseln molekulare Maschine, die in allen Zellen wahlweise als Faltungshelfer oder als Zerkleinerungsmaschine für Proteine arbeitet

    Geraten Proteine unter Stress, verlieren sie ihre Fassung und können ihre Aufgaben nicht mehr richtig wahrnehmen. Glücklicherweise besitzt jede Zelle eine Maschinerie, die in solchen Situationen hilft. Dazu gehört auch das Protein DegP, das über die Fähigkeit verfügt, gestresste Proteine wieder in Form zu bringen. Gelingt ihm das jedoch nicht, ändert DegP seine Einstellung und - statt zu reparieren - liquidiert es die beschädigten Proteine, bevor sie der Zelle gefährlich werden können. Wissenschaftler vom Max-Plank-Institut für Biochemie (Martinsried) in der von Nobelpreisträger Prof. Robert Huber geleiteten Abteilung "Strukturforschung" ist es jetzt gelungen, die dreidimensionalen Struktur von DegP aufzuklären und wichtige Einsichten zu liefern, wie diese molekulare Maschine über "Reparatur oder Verschrottung" anderer Proteine entscheidet (nature, 28. März 2002). Dieses Wissen hat auch Bedeutung für ein besseres Verständnis der zellulären Vorgänge bei neurodegenerativen Erkrankungen.

    Der reibungslose Ablauf der lebenserhaltenden Maschinerie in Zellen ist nur dann gewährleistet, wenn alle daran beteiligten Komponenten - zumeist Proteine - wie ein Zahnrad in das andere greifen. Hierzu müssen sie eine definierte dreidimensionale Struktur besitzen, denn nur korrekt gefaltete Proteine sind in der Lage, zelluläre Bausteine spezifisch zu erkennen. Bei extern verursachten Stresssituationen, die auftreten, wenn es zum Beispiel zu heiß wird, kann es sehr schnell dazu kommen, dass die Proteine ihre charakteristische Form verlieren und deshalb ihre vielfältigen Aufgaben nicht mehr erfüllen können. Die defekten Proteine stellen nun selbst eine tödliche Gefahr für die Zelle dar: Sie tendieren dazu, sich mit anderen deformierten Eiweißen zusammenzulagern und zu riesigen Aggregaten zu verklumpen. Extreme Beispiele für die negativen Auswirkungen solcher Protein-Verklumpung sind das Creutzfeldt-Jakob Syndrom und die Alzheimersche Krankheit, bei denen es zu bestimmten Proteinablagerungen in den Nervenzellen des Gehirns kommt.

    Um dieses negative Szenario zu verhindern, produziert die Zelle in extremen Situationen eine Reihe sogenannter "Hitzeschockproteine". Diese sorgen dafür, dass der Anteil an Proteinen, die nicht in Form sind, möglichst niedrig gehalten wird. Hitzeschockproteine lassen sich in zwei Kategorien einteilen: Zum einen gibt es die Gruppe der Chaperone, der heilenden "Anstandsdamen", die versuchen, entfaltete Proteine wieder in ihren funktionellen Zustand zurückzuführen. Ist diese Reparatur nicht möglich, wird eine andere Gruppe von Hitzeschockproteinen aktiv, die sogenannten Proteasen. Diese gehen weniger zimperlich mit den gestressten Proteinen um und sorgen dafür, dass hoffnungslos defekte Fälle in ihre molekularen Bruchstücke zerlegt und so unschädlich gemacht werden. Dabei ist noch völlig unklar, welche "technischen Befunde" ausschlaggebend sind, dass ein Protein von einem Chaperon oder einer Protease bearbeitet wird, oder anders formuliert, was einen "Totalschaden" bei einem Protein-Kandidaten ausmacht.

    Das Martinsrieder Forschungsteam hat sich bei der Untersuchung dieser fundamentalen biologischen Fragestellung auf das Hitzeschockprotein DegP konzentriert. Interessanterweise vereinigt DegP die gegensätzlichen Eigenschaften von Protease und Chaperon in sich. Bereits vor drei Jahren hatte die Arbeitsgruppe um Michael Ehrmann (Cardiff University) für das bakterielle Protein gezeigt, dass das Umschalten zwischen den beiden konträren Aktivitäten in Abhängigkeit von der Temperatur erfolgt. Bei Temperaturen unter 30° C ist DegP vorwiegend als "fleissig reparierendes" Chaperon aktiv, und verwandelt sich bei höheren Temperaturen zu einer "konsequent verschrottenden" Protease. Diese Arbeitsaufteilung ist äußerst einleuchtend: Bei hohen Temperaturen ist der strukturelle Schaden an den Proteinen größer als bei niedrigen Temperaturen. Von daher scheint es für die Zelle einfacher zu sein, stark deformierte Proteine zu liquidieren, als Energie in ihre Reparatur zu stecken. Bei niedrigen Temperaturen dagegen halten sich die strukturellen Schäden der Proteine in Grenzen, so dass eine Rückfaltung in den funktionellen Zustand ohne großen Aufwand erfolgen kann.

    Die entscheidende Voraussetzung zur Bestimmung der Röntgenstruktur von Proteinen ist das Vorhandensein hochqualitativer Proteinkristalle. Im Fall von DegP konnten nur Kristalle minderer Qualität gezüchtet werden, die kaum in der Lage waren, Röntgenstrahlen zu beugen. Eine Verbesserung der Streueigenschaften wurde durch die längerfristige Lagerung der Kristalle bei 4°C erzielt. Zudem wurde durch diese Kühlung der kälteliebende Chaperon-Zustand von DegP im Kristall eingefangen.

    Die Struktur des DegP Moleküls besteht aus vier Komponenten: ein N-terminaler Haken, der vom Rest des Proteins absteht, eine Protease-Domäne und zwei PDZ-Domänen (typische Protein-Protein Interaktionsmodule). Die DegP Moleküle lagern sich zu großen Komplexen zusammen, die eine Art molekularen Käfig bilden. Der Innenraum dieses Käfigs entspricht der "Werkstatt" des Proteins, in der sich die proteinspaltenden Arbeitsstätten befinden. Der Komplex konnte im Proteinkristall in zwei Zuständen beobachtet werden: in einer geschlossenen Form, bei der die Eingänge zur Werkstatt verschlossen sind, und in einer offenen Form, in der die PDZ-Domänen - ähnlich wie die Flügeltüren eines Rennwagens - nach oben schwingen und das Partikel öffnen (Abb. 1). Offensichtlich sind die PDZ-Domänen die "Türsteher" dieses Systems, da sie auch als erste Anlaufstelle für die zu reparierenden Proteine dienen. Dank ihrer bemerkenswerten Beweglichkeit arbeiten diese Domänen wie molekulare Tentakel, die umherschwingen, gestresste Proteine einfangen und diese anschließend in den DegP Käfig abliefern. Einmal im Käfig eingesperrt, hängt das Schicksal der Proteine von einem fein abgestimmten Zusammenspiel verschiedener molekularer Schalter ab. Diese Schalter funktionieren wie Temperaturfühler, die den Zugang zum Ort der Proteindemontage regeln. Ist der Zugang verwehrt, können sich die eingefangen Proteine über eine recht "angenehme" Umgebung im Innern des DegP Käfigs erfreuen.

    In der von den Wissenschaftlern im Kristall eingefrorenen Struktur konnte der "heilende2 Chaperon-Zustand beobachtet werden. Chaperone besitzen einige typische Eigenschaften, die mit ihrer Funktion zusammenhängen, ungefaltete, meist hydrophobe, also wasserabweisende, Segmente von Proteinen zu erkennen. Diese charakteristischen Merkmale lassen sich auch in der DegP Struktur erkennen (Abb. 2). Die Innenwände des DegP-Käfigs entsprechen flexiblen, hydrophoben Bindungsplattformen, die ähnlich wie Kondensatorplatten angeordnet sind. Der Abstand zwischen diesen Platten schränkt die Größe der gebundenen Substrate stark ein und verhindert, dass korrekt gefaltete Proteine in die Werkstatt von DegP gelangen.

    Tim Clausen, Leiter des Martinsrieder Forschungsteams, bemerkt: "Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass es sich bei dem Proteinkomplex DegP um ein völlig neuartiges Chaperone-Protease-System handelt, das universell verbreitet ist." Von besonderem Interesse sind die menschlichen DegP (HtrA) Proteine, die sich ebenfalls um die Beseitigung gestresster Proteine kümmern. Diese Aufräumkommandos spielen bei einer Vielzahl neurodegenerativer Krankheiten, wie z.B. der Alzheimerschen Krankheit, eine entscheidende Rolle. Die bakterielle Proteinstruktur liefert Hinweise, wie diese Aufräumkommandos gesteuert werden, und eröffnet damit neue Ansätze, solche Krankheiten zu therapieren. Clausen weiter: "Daneben kann die 3D-Struktur auch als Schablone zum 'Designen' bestimmter Pharmaka benutzt werden. Solche Pharmaka könnten gezielt die heilende oder verschrottende Funktion von DegP beeinflussen und so unkontrolliertem Proteinabbau oder -aggregation entgegenwirken."

    Abb.Text 1
    Darstellung der molekularen Oberfläche von DegP im offenen (links) und im geschlossenen Zustand (Mitte). Der N-terminale Bereich ist in blau wiedergegeben, die Protease in grün, die PDZ1-Domäne in orange und PDZ2-Domäne in rot. Das Bild auf der rechten Seite zeigt die Überlagerung der beiden Einzelmoleküle, die den beiden Formen zugrunde liegen. Während die Protease-Domäne fixiert ist, kommt es zu einer Umlagerung der PDZ1-Domäne.

    Abb.Text 2:
    Drei Halbschnitte von DegP zur Veranschaulichung der Eigenschaften seines inneren Käfigs: Die Schnitte links und in der Mitte zeigen eine Aufsicht, der rechte Schnitt eine Seitenansicht des DegP-Proteins. Die schwarz gezeichneten Bereiche entsprechen den Schnittflächen. Die linke Abbildung zeigt die Flexibilität der einzelnen Bereiche: Rot sind sehr bewegliche Regionen, starre Regionen sind blau gezeichnet. Im mittleren Bild sind die hydrophoben Flächen im Innern von DegP grün hervorgehoben. Im rechten Bild wurde - zur Veranschaulichung der Größe von DegP - eine einfache a-Helix, in gelb, in den Käfig des Proteins modelliert.
    Fotos: Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried

    Weitere Informationen erhalten Sie von:
    Dr. Tim Clausen
    Max-Planck-Institut für Biochemie, Abt. Strukturforschung,
    Tel.: ++49 (89)8578 2680
    Fax: ++49 (89) 8578 3516
    Email: clausen@biochem.mpg.de

    oder

    Eva-Maria Diehl
    Öffentlichkeitsarbeit
    Tel.: ++49 (89)8578 2824
    Fax: ++49 (89) 8578 2943
    Email:diehl@biochem.mpg.de

    Am Klopferspitz 18A
    D-82152 Martinsried, Germany


    More information:

    http://www.biochem.mpg.de/xray/


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    Darstellung der molekularen Oberfläche von DegP im offenen (links) und im geschlossenen Zustand (Mitte). (mehr Information im Abb.Text1)
    Darstellung der molekularen Oberfläche von DegP im offenen (links) und im geschlossenen Zustand (Mit ...

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    Drei Halbschnitte von DegP zur Veranschaulichung der Eigenschaften seines inneren Käfigs (mehr Information im Text unter Abb.Text 2)
    Drei Halbschnitte von DegP zur Veranschaulichung der Eigenschaften seines inneren Käfigs (mehr Infor ...

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    Criteria of this press release:
    Biology, Chemistry, Information technology, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

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