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05/02/2002 15:02

Keine Hexenjagd auf Medien!

Klaus P. Prem Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Augsburg

Augsburger Medienethiker Hausmanninger besorgt über die Zensurforderungen in der Debatte über den Erfurter Amoklauf -

Der Amoklauf in Erfurt entsetzt zu Recht die Öffentlichkeit. Er ist jedoch ein extremes psychisches Ausnahmephänomen, dem nicht mit einfachen kausalmechanischen Erklärungen beizukommen ist. Ausnahmephänomene erlauben zudem keine Ableitung genereller Regeln für den Normalzustand. Prof. Dr. Thomas Hausmanninger, Sozial- und Medienethiker an der Universität Augsburg, sieht mit Besorgnis jedoch eben dies gegenwärtig stattfinden. Er äußert sich im nachfolgenden Statement kritisch zur momentanen Debatte:

Mit Rekurs auf überholte Wirkungsvorstellungen fordern Politiker, Eltern und Lehrkräfte nach dem Erfurter Amoklauf Zensurmaßnahmen gegen Mediengewalt. Sie bekämpfen damit aber letztlich nur ihre eigene Hilflosigkeit mit gefährlichen Konsequenzen für das hohe demokratische Gut der Medienfreiheit: Für eine unbeschädigte Psyche lässt sich die Befindlichkeit eines Amokläufers kaum im ideal role taking - durch "Hineinversetzen" in den Anderen - verstehen (wie wir das normalerweise tun, wenn wir "Gründe" und "Motive" fremden Handelns uns einsichtig machen). Entsprechend stark ist der Wunsch danach, das Außergewöhnliche wieder in die eigenen Verstehensmuster einordnen zu können. Zu diesen zählt die populäre These der direkten "Verursachung" oder "Auslösung" von realer Gewalt durch Gewaltinszenierungen in den Medien. Diese These ist alt: Sie geht zurück auf die Kinoreformbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts. Doch hat sie Tradition: Wieder aufgenommen von der Filmerziehung der 1950er und 1960er Jahre ist sie von dort ausgehend bis zur Stunde auch durch die Medien selbst popularisiert worden. Sie gehört deshalb zum vertrauten Erklärungsrepertoire der "normalen Leute".

Innerhalb der Medienwissenschaften jedoch ist diese These inzwischen randständig. Film- und fernsehwissenschaftlich beispielsweise ist längst deutlich, dass Gewalt außerhalb des dokumentarischen Feldes, also im fiktionalen Bereich, inszenierte Gewalt mit vielfältigen Funktionen und Bedeutungen ist: Sie kann dramaturgisch den Stand einer Erzählung angeben, als bildhaftes Zeichen für schlecht visualisierbare komplexe Zusammenhänge (wie strukturelle Gewalt) eingesetzt werden, Element eines Action-Environments sein, das einen außeralltäglichen, künstlichen optisch-akustischen Erlebnisraum anbieten will und dergleichen mehr. Die Rede von der Gewalt-"Darstellung" weist daher in die Irre - inszenierte Gewalt steht oft keineswegs für das reale Gewaltphänomen und ist auch dort, wo sie reale Gewalt thematisiert, phänomenal nicht identisch mit dieser.

Damit hängt zusammen, dass das Publikum inszenierte Gewalt anders rezipiert und bewertet, als reale Gewalt. So wird beispielsweise der außeralltägliche Raum des Action- oder des Horrorfilms auch zu außeralltäglichen Erlebnissen aufgesucht und von den realen Lebenszusammenhängen und den dort geltenden Normen sorgfältig unterschieden. Je größer die Vertrautheit mit einem Genre, desto stärker sucht das Publikum zudem nach einem "metatextuellen" Vergnügen: Im Zentrum steht dann weniger das emotionale Erlebnisangebot, sondern mehr das kognitive und ästhetische Vergnügen an den Variationen typischer Dramaturgien, filmhistorischen Zitaten, neuen Techniken der special effects etc. Von der populären Interpretation als "Abstumpfung" missverstanden, differenzieren die Nutzer bestimmter Genres so vielmehr ihre Wahrnehmungs- und Erlebniskompetenzen.

Alltagsnah oder mit der Absicht einer realweltlichen Aussage inszenierte Gewalt wiederum wird vom Publikum primär aus der Opferperspektive wahrgenommen. Die Parteinahme für den Gewalttäter muss deshalb stets durch entsprechende dramaturgische Mittel ermöglicht werden - am gebräuchlichsten, indem etwa der Held zunächst selbst als Gewaltopfer und seine Gewaltübung als reaktive Überwindung des Bösen erscheint. Auch hier aber unterscheidet das Publikum zwischen Film und Realität und weiß darum, dass es den Bezug zwischen beiden als Bezug zwischen Verschiedenem herstellt. Den Vorrang für die Bewertung realweltlich bezogener fiktionaler Gewalt haben, das zeigen Untersuchungen, zudem stets die Standards für die Bewertung realer Gewalt.

Vor diesem Hintergrund wird einsichtig, weshalb die Masse derjenigen, die gewalthaltige Filme rezipieren, nicht zu Gewalttätern oder gar Amokläufern wird. Um zu verstehen, wie in Randbereichen der Gesellschaft Gewaltbereitschaft und Gewalt entstehen, müssen andere Tatbestände in Blick genommen werden. Diese sind wissenschaftlich durchaus bekannt: Es sind in erster Linie psychische Versehrungen, massive Demütigungen und Deklassierungen von Personen und Gruppen im Verbund mit real vorgelebten, gewalttätigen "Lösungsstrategien" und gewaltbefürwortenden Ideologien. Medien spielen dort allenfalls die Rolle sekundär - und oft gegen die Intention des entsprechenden Werks - genutzter Unterstützungselemente für schon vorgefasste Einstellungen.

Der Versuch, Gewaltprävention zu betreiben, indem mit Rekurs auf die populäre These zur Gewaltwirkung der Medien neue Zensurmaßnahmen empfohlen werden, geht entsprechend doppelt in die Irre: Die zugrundeliegende These ist medienwissenschaftlich nicht haltbar und die empfohlene Therapie verfehlt die eigentlichen Ursachen der Krankheit. Sie dient so nur der eigenen Beruhigung, ohne eine Lösung zu bringen. Für die Politik mag sie zwar als probates Mittel im Wahlkampf erscheinen - positive öffentliche Resonanz steht wegen der Popularität der genannten These zu erwarten. Forderungen, "Gewaltfilme" generell - also auch für Erwachsene - zu verbieten, Aufrufe zu "Razzien und Durchsuchungen", um "gewaltverherrlichende" Videos etc. in großem Stil beschlagnahmen zu lassen, oder gar das verbale, vom Grundgesetz nicht getragene, Bekenntnis zu einer Produktionszensur - "Gewaltfilme" sollen gar nicht erst entstehen - werden entsprechend Anklang finden, vor allem bei jenen, die nicht zum Publikum der entsprechenden Genres zählen. Medienethisch erscheinen alle diese in den letzten Tagen vorgebrachten Äußerungen jedoch erschreckend. Sie revitalisieren eine falsche These, gefährden das hohe Gut der Medienfreiheit und ersetzen Gewaltprävention durch eine Hexenjagd.
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PROF. DR. THOMAS HASUMANNINGER ist Professor für Christliche Sozialethik an der Universität Augsburg. Er betreut dort das Modul Medienethik im Studiengang "Medien und Kommunikation" und ist seit 1995 regelmäßiger Gastdozent für Medienethik an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) München. Mit dem Thema hat er sich zuletzt befasst in dem Buch "Mediale Gewalt. Interdisziplinäre und ethische Perspektiven", das Mitte Mai in der Reihe UTB bei W. Fink erscheint.

KONTAKT:
Professur für christliche Sozialethik, Universität Augsburg, 86135 Augsburg, Telefon 0821/598-5827 oder -5828, thomas.hausmanninger@kthf.uni-augsburg.de


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Addendum from 05/02/2002

Der letzte Absatz im Statement von Professor Hausmanninger (Der Versuch, Gewaltprävention ... durch eine Hexenjagd) ist durch den folgenden erweiterten Text zu ersetzen:

"Diese Tatbestände bedeuten freilich nicht, dass mediale Gewaltpräsentation nicht ethischer und rechtlicher Regulierung bedürfte. Gewalt ist kein ethisch legitimes Phänomen und in der Realität daher nur in eng umgrenzten Ausnahmesituationen zugelassen, wenn einzig durch sie größere Gewalt verhindert werden kann. Entsprechend bedarf auch die Inszenierung fiktionaler Gewalt einer Normierung, die sie in den Rahmen eines allgemeinen Gebots der gesellschaftlichen Gewaltdomestikation einordnet. Diese Normierung muss sachgerecht sein, also z.B. die skizzierten Tatbestände berücksichtigen. Normen für fiktionale Gewaltpräsentation sind dabei zudem gegenstandsgemäß andere, als für reale Gewalt.

Der Versuch hingegen, Gewaltprävention zu betreiben, indem mit Rekurs auf die populäre These zur Gewaltwirkung der Medien neue Zensurmaßnahmen empfohlen werden, geht doppelt in die Irre: Die zugrundeliegende These ist medienwissenschaftlich nicht haltbar und die empfohlene Therapie verfehlt die eigentlichen Ursachen der Krankheit. Sie dient so nur der eigenen Beruhigung, ohne eine Lösung zu bringen. Für die Politik mag sie zwar als probates Mittel im Wahlkampf erscheinen - positive öffentliche Resonanz steht wegen der Popularität der genannten These zu erwarten. Forderungen, "Gewaltfilme" generell - also auch für Erwachsene - zu verbieten, Aufrufe zu "Razzien und Durchsuchungen", um "gewaltverherrlichende" Videos etc. in großem Stil beschlagnahmen zu lassen, oder gar das verbale, vom Grundgesetz nicht getragene, Bekenntnis zu einer Produktionszensur - "Gewaltfilme" sollen gar nicht erst entstehen - werden entsprechend Anklang finden, vor allem bei jenen, die nicht zum Publikum der entsprechenden Genres zählen.

Medienethisch erscheinen alle diese in den letzten Tagen vorgebrachten Äußerungen jedoch erschreckend. Sie revitalisieren eine falsche These, gefährden das hohe Gut der Medienfreiheit und ersetzen Gewaltprävention durch eine Hexenjagd."


Criteria of this press release:
Law, Media and communication sciences, Politics, Psychology, Social studies, Teaching / education
transregional, national
Research results
German


 

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