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05/06/2002 11:37

Zur rechten Zeit das rechte Wort

Dr. Christian Jung Stabsreferat Kommunikation
VolkswagenStiftung

    "Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums" - Präsentation am 21. Mai in der Universität Breslau

    Man kennt die Gedichte, die der Großmutter zum Geburtstag, dem Kollegen zum Dienstjubiläum, der Mutter zur Niederkunft, dem jungen Wissenschaftler zur Promotion oder - sachlich meist besonders ergiebig - dem Brautpaar dediziert werden. Was dem Laien als literarisches Sammelsurium erscheint, ist eine definierte Gattung: das so genannte Gelegenheitsschrifttum. Es sind die Schriften des Alltags: für jedermann und jeden Anlass, und inzwischen von jedem problemlos zu verfassen. Denn wer nicht selbst von der Muse geküsst wurde, für den hält heute das Internet fertige oder auch zu variierende Gedichte zu den verschiedenen Gelegenheiten bereit.

    Den Rang einer eigenen Literaturgattung hatten die Gelegenheitsgedichte (selten waren es Prosatexte) zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert. Von den Humanisten gepflegt, stand die Gelegenheitsdichtung von der Renaissance bis zur Aufklärung in schönster Blüte - ganz besonders zur Zeit des Barock. Den Löwenanteil machten Hochzeits- und Trauergedichte aus, aber auch Geburt und Taufe, Ankunft und Abreise, akademische Auftritte und Ehrungen waren Anlässe Gedichte "anzufertigen". Diese handwerklich klingende Bezeichnung passt genau: Die Autoren verließen sich eben weniger auf den Kuss der Muse als vielmehr auf die Regeln und Muster, die die Lehrbücher für Rhetorik und Poetik bereithielten - oder sie nutzten Vers- und Reimlexika.

    Die meist nicht sehr umfangreichen Werke wurden allenfalls in kleinen Auflagen gedruckt. Viele überdauerten dennoch, da sie das Interesse von Sammlern erregten. Im Laufe der Zeit fanden sie, in großen Mengen zusammengebunden, den Weg in kleine und in große Bibliotheken oder Archive. Dort lagerten die Schriften seither, soweit sie nicht zwischenzeitlich Verwaltungsakten, staatlicher Neuordnung oder kriegerischen Ereignissen zum Opfer fielen. Und sie lagen dort nicht erfasst und ungenutzt.

    Mit Hilfe der VolkswagenStiftung - sie hat die Entstehung des Handbuchs über viele Jahre mit rund 2,6 Millionen Euro gefördert - wird nun eine neue Epoche für das personale Gelegenheitsschrifttum und dessen wissenschaftliche Nutzung eingeläutet: Am Dienstag, dem 21. Mai 2002, 10 Uhr, werden im historischen Senatssaal der Universität Wroclaw (Breslau) die ersten beiden Bände präsentiert des "Handbuchs des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven". Wir würden uns freuen, interessierte Journalisten zu diesem Anlass begrüßen zu können. Als Gesprächspartner stehen dort unter anderem zur Verfügung: der Herausgeber des Gesamtwerkes, Professor Dr. Klaus Garber, Interdisziplinäres Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Osnabrück, der Direktor der Universitätsbibliothek Wroclaw, Dr. Andrzej Ladomirski sowie Dr. Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung.
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    Kontakt Universität Osnabrück: Prof. Dr. Klaus Garber, Tel.: 0541/969-4167, e-mail: ikfn@uni-osnabrueck.de
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    Veranstaltung: 21. Mai 2002, 10 Uhr im historischen Senatssaal der Universität Breslau
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    Das Ereignis hat weit reichende Folgen für die geisteswissenschaftliche Forschung - etwa im Hinblick auf literatur-, kultur- und mentalitätsgeschichtliche Untersuchungen. Zwar wird Gelegenheitsschrifttum in allen großen und vielen kleinen Bibliotheken Europas verwahrt, geisteswissenschaftliches Arbeiten mit diesem Material ist aber erst möglich, wenn die Quellen in aufwändigen Verfahren erfasst und erschlossen sind. Das "Handbuch" tut dies für den alten deutschen Sprachraum im Osten. Dazu wurden seit Jahren und werden weiterhin die Bestände großer Bibliotheken und Archive in Polen, Russland und den baltischen Staaten gesichtet, wo Drucke aus Schlesien und Pommern, West- und Ostpreußen, aus Lettland und Estland in großer Dichte vorhanden sind.

    Der Katalog im Handbuch verzeichnet zu jedem Einzelwerk nicht nur das Incipit (die ersten sechs Buchstaben des Titels), den Autor (und die davon zu unterscheidenden Beiträger, oft eine ganze Reihe in einer einzigen Schrift) sowie Anlass und Datum, sondern es finden sich darüber hinaus weitere Angaben wie etwa buchkundlich-bibliographische oder solche zu poetischen Merkmalen des Textes. Umfangreiche Register leiten gezielt zu Einträgen; die Texte selbst werden später auch in einer Microfiche-Edition zur Verfügung stehen.

    Die zahllosen Einzelangaben lassen sich künftig als Ausgangspunkt für viele aufregende Themen nutzen, zum Beispiel für eine Literaturgeschichte nach Städten und Regionen. Bisher unbekannte Personen (mehrere Hunderttausend) tauchen aus der Vergessenheit auf ins Licht der Geschichte. Man wird beobachten können, wie eine weitgehend durch die Normen von Rhetorik und Poetik regulierte Sprache durch schreibende Individuen aufgebrochen werden konnte, wie sich um 1650 die Ablösung des Lateinischen durch die deutsche Volkssprache vollzog. Insgesamt, sagt Klaus Garber, werde ein "neuartiger Blick freigegeben auf die entscheidende Achsenzeit zwischen Renaissance und Aufklärung in den Städten und Regionen des Ostens zwischen 1560/70 und 1730/40". Nun ist es an den Forschern, die Gelegenheit beim Schopfe zu fassen und die Gelegenheitsschriften zum Sprechen zu bringen.
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    Kontakt VolkswagenStiftung: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Dr. Christian Jung, Tel.: 0511/8381-380, e-mail: jung@volkswagenstiftung.de
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    Kontakt VolkswagenStiftung: Dr. Vera Szöllösi-Brenig, Tel.: 0511/8381-218, e-mail: szoelloesi@volkswagenstiftung.de
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    More information:

    http://www.volkswagenstiftung.de/presse-news/presse02/06052002.htm


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    Criteria of this press release:
    Art / design, History / archaeology, Language / literature, Media and communication sciences, Music / theatre, Social studies
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Scientific Publications
    German


     

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