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05/06/2002 17:09

Studierende zeichneten Zeche, Kokerei und Hafen

Ole Lünnemann Referat Hochschulkommunikation
Universität Dortmund

    Zeche, Kokerei, Industriehafen - das sind in Dortmund Orte, die vielen jungen Leuten bereits fremd sind. Dennoch haben sie den Raum an Ruhr und Emscher geprägt. Rund 30 Studierende des Fachs "Kunst und ihre Didaktik" haben sich mit Stift und Block vor Ort begeben. Was sie sahen und zeichneten vermittelt jetzt eine Ausstellung, die unter dem Titel "Verorten" am kommenden Sonntag, 12. Mai 2002, um 11 Uhr im Westfälischen Industriemuseum Zeche Zollern II/IV eröffnet wird.

    Die etwa 100 Bilder sind täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr in der ehemaligen Zeche zu betrachten. Bei der Eröffnung sprechen die Museumsleiterin Dr. Ulrike Gilhaus, Prorektorin Prof. Dr. Uta Quasthoff sowie die Leiterin des kunstdidaktischen Projekts, Prof. Bettina van Haaren. Die Ausstellung wird bis zum 23. Juni gezeigt.

    Die Ergebnisse der zeichnerischen Auseinandersetzung mit der Zeche Zollern, der Kokerei Hansa und dem Hafen in Dortmund sind auch in einem Katalog zu erwerben und heim zu tragen.
    Wir laden ein, die Ausstellung am Eröffnungsmorgen oder später zu besuchen und journalistisch zu begleiten. Ein Exemplar des Katalogs kann in der Ausstellung gegen Presseausweis kostenfrei entgegengenommen werden und auch bei Professorin van Haaren sowie in der Pressestelle angefordert werden.
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    Who is who

    Bettina van Haaren, die Leiterin des Projekts, ist 1961 in Krefeld geboren. 1981 - 1987 Studium der Bildenden Kunst an der Johannes-Gutenberg-Universität, Mainz. Malerin, Zeichnerin, Druckgraphikerin. Seit 1987 Einzelausstellungen sowie Beteiligungen im In- und Ausland. Zahlreiche Kunstpreise. Seit 2000 Professur an der Universität Dortmund für Zeichnung und Druckgraphik.

    Nachfolgend eine eingehende Darstellung des Projekts.
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    Orientierung an fremden Orten

    Vor allem ging es um das Zeichnen. Soziale, historische, wirtschaftliche oder raumplanerische Problemstellungen blieben weitgehend ausgeklammert, als für ein Semester Industrieräume zum Thema zeichnerischer Auseinandersetzung wurden. Knappe sachliche Informationen ohne wissenschaftliche Vertiefung halfen zur Orientierung an den fremden Orten. Die Entwicklung einer Philosophie wurde vermieden. Dagegen sollten die ungewöhnliche Zeichensituation und Orte, die neugierig machen, zu neuen Wegen in der Zeichnung führen.

    Dieses Ziel scheint erreicht, denn viele Studierende veränderten im Verlauf des Projektes ihre Strichführung, die Raumordnung, die Blattorganisation und die Auswahl der Bildgegenstände. Die Zeichensprachen wurden eigener und Industrieräume eher zu Projektionsflächen innerer Befindlichkeiten.

    Über dreißig Kunststudenten und -studentinnen zeichneten im Sommersemester 2001 im Rahmen einer Lehrveranstaltung mit dem Titel "Verorten". Sie zeichneten industrielle Räume, meist gemeinsam wöchentlich oder auch alleine und in kleinen Gruppen an weiteren Tagen. Die zeichnerische Auseinandersetzung fand überwiegend vor Ort statt; wenige arbeiteten mit Fotos oder aus der erinnernden Vorstellung. Zeichnen hieß also, sich des Gesehenen vergewissern, das eigene Erkenntnisinteresse klären und Bildfindungen einer subjektiven Topografie entwickeln.

    Drei Dortmunder Standorte boten sich besonders an, wobei folgende Abfolge Sinn machte: nach der weit gehend "musealen" Zeche Zollern erschien die von der Natur teilweise zurückeroberte, verfallende Kokerei Hansa ausgesprochen rau. Und am Ende war der Dortmunder Hafen, der größte Kanalhafen Europas, auf Grund des starken Verkehrs, der Schutzbestimmungen und der Unübersichtlichkeit schwer zu erkunden. An allen drei Orten waren die offen liegenden Maschinen und Prozesse hoch spannend. Im Verlauf des Seminars erschlossen sich die Studierenden ein Stück ihres bis dahin meist unbekannten Wohnumfeldes und wurden über das Zeichnen vertraut mit dieser ihrer Umgebung
    Selten war das Interesse beim Zeichnen ein dokumentarisches. Es entstanden kaum topografisch genaue Studien. Vielmehr suchten die ZeichnerInnen nach künstlerischen Lösungen über abstrahierende Umsetzungen, Reduktionen auf Details, spielerische Zusammensetzungen, Verformungen, Umdeutungen. Die Arbeit wurde zur künstlerischen Recherche, zum Nachdenken und Fabulieren auf dem Papier, wobei viel über Linie, Komposition, zeichnerische Mittel reflektiert wurde.
    Die Studierenden eigneten sich die Orte an, indem sie - oft nach langer, zäher Suche - aus den komplexen und gigantischen Formzusammenhängen, der Überfülle des Sichtbaren, Teilbereiche auswählten, sich ungewöhnliche Betrachterstandpunkte suchten und Räume neu konstruierten. Damit wurden innere Bilder sichtbar, die allerdings nicht ohne die optischen Herausforderungen denkbar gewesen wären.
    Nur die intensive Beschäftigung mit den Bildgegenständen wirkte Schematismen und Klischees entgegen, führte zu differenzierten Formen, zu einer stimmigen Bildlogik und neuen, nicht sprachlich fassbaren Einsichten.
    Auffällig bei der Gesamtschau der Ergebnisse des Projektes ist, dass lineare Positionen unter den Studierenden stark vertreten sind. Dies hat sicher mit der Situation außerhalb von Arbeitsräumen zu tun, die komplexe Mischtechniken und großformatige, durchgezeichnete Flächigkeit nicht zulässt. Ganz wichtig war allerdings auch die Erkenntnis, dass Linien stark über die Innenwelt des Zeichners Auskunft geben, indem sie Zögern, Zweifeln und gestische Kraft spüren lassen.
    Dieses Seismographische ist in seiner Direktheit voller Risiken, aber auch von besonderer Unmittelbarkeit im Weg vom Kopf zur Hand auf das Papier. Nichts Handwerkliches schaltet sich dazwischen.

    Gerade diese Reduzierung auf Linien und (Frei-)Flächen macht die Zeichnungen mitunter schwer zugänglich für eine breite Öffentlichkeit, denn sie verlangen dem Betrachter viel Einfühlungsvermögen ab. In der Natur gibt es keine Linien. Ihre Lesbarkeit beruht auf Konventionen, die sich ein jeder "erarbeiten" muss. Keine Farbe, kaum Illusionismus, nichts Atmosphärisches lädt ein. Die manchmal kargen,
    pointierten Blätter müssen langsam gelesen, "abgegangen" werden. Der Reiz liegt vor allem in der Art, wie Linien ansetzen, Kraft entwickeln, abschwellen, wieder weiter wissen. Die Gebilde entfalten viel Rhythmisches. Raum entsteht häufig über zeichnerische Ebenen. Spielerisch werden Strukturen, Muster, Gliederungen von einem Ding auf ein nächstes übertragen. Alles formale Problemstellungen, die sich dem Zeichnungsfernen, der allein das Motiv zu identifizieren versucht, nicht erschließen.

    Industrieräume also als Zeichnungs-Anlass. An ungewohnten Orten wurde exemplarisch Allgemeingültiges für die Zeichnung klar. Die Studierenden waren gezwungen, bewusst zu sehen, ihr Interesse an dem Sichtbaren für sich zu formulieren und nicht gedankenlos abzuzeichnen. Zeichnen kommt vom Zeichnen her. Was wie eine Binsenweisheit klingt, will und muss erst in intensiver Arbeit erfahren werden.
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    Nähere Information:
    Prof. Bettina van Haaren, Ruf 0231 7552977
    Mail bettina.van-Haaren@uni-dortmund.de


    Images

    Criteria of this press release:
    Art / design, Media and communication sciences, Music / theatre
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Studies and teaching
    German


     

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