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05/16/2002 13:29

Wandel einer Krankheit

S. Nicole Bongard Kommunikation und Medien
Klinikum der Universität München

    15 Jahre Psychosoziale AIDS-Beratungsstelle am Klinikum der Universität München

    Mit AIDS ist im Jahre 1981 eine meist tödlich endende und bislang unheilbare Infektionskrankheit in einer Zeit virulent geworden, in der man zumindest für die westlichen Industrienationen glauben konnte, dass Infektionskrankheiten kein medizinisches Problem mehr darstellen. AIDS hat alte Ängste wiederbelebt.

    Am 21. Januar 1987 eröffnete Staatsminister Dr. Karl Hillermeier die erste psychosoziale AIDS-Beratungsstelle in Anbindung an die Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie. Er betonte die Wichtigkeit von Hilfen im psychosozialen Bereich und forderte die Isolation und Ausgrenzung aufzubrechen, zu der die Gesellschaft HIV-Infizierte verurteilt. Zu dem 15-jährigen Bestehen findet am heutigen Donnerstag ein wissenschaftliches Symposium statt.

    Wandel der Krankheit AIDS

    Die Dimensionen der HIV-Infektion und der Krankheit AIDS haben sich dramatisch gewandelt. Dies ist möglich geworden durch die Behandlung der Patienten mit antiretroviralen Kombinationstherapien (HAART). Die immer bessere medikamentöse Versorgung hat in den letzten Jahren die durchschnittliche Lebenserwartung deutlich ansteigen lassen. Die Entwicklung der Lebensqualität der Betroffenen hat damit jedoch nicht Schritt halten können. Zwar überleben jetzt Menschen mit zum Teil mehreren chronischen Erkrankungen wie HIV-Infektion, Hepatitis-C-Infektion, Lymphome oder andere Karzinome, von denen jede einzelne vor Jahren noch zum Tode geführt hätte. Die Bewältigungskompetenz der Einzelnen und der Familien wird dadurch jedoch mehr denn je gefordert und stößt häufig an Grenzen.

    Das niederschwellige Angebot der Beratungsstelle

    Durch den vorangegangenen Arztbesuch im selben Haus fällt es vielen Patienten mit den unterschiedlichsten und ausgefallensten Lebensweisen leichter als üblich, sich der Beratungssituation zu stellen. Die Möglichkeit der anschließenden Beratung unter dem Dach der Dermatologischen Klinik ist ein so niederschwelliges Angebot, dass sogar versteckt lebende HIV-Infizierte dies annehmen können. Dies führte dazu, dass auch HIV-infizierte Frauen leichter ein Beratungsangebot wahrnehmen konnten. So nahm die Zahl der Beratungskontakte kontinuierlich zu. Unter dem Gesichtspunkt, dass viele Frauen häufig überhaupt keine Gruppenangebote oder Spezialangebote erhalten oder wahrnehmen, sowie der Tatsache, dass viele Frauen außerhalb von München auf dem Land leben und sich nur für Arzttermine Zeit für sich selbst zugestehen, erhält die psychosoziale Beratung an einer Klinik besondere Bedeutung. Gerade bei den besonders gefährdeten bisexuell oder versteckt homosexuell lebenden Männern, die ihre sexuelle Orientierung leugnen, aber dennoch Sexualität ausleben, ist die Bereitschaft, sich mit HIV und AIDS auseinander zu setzen, in vielen Fällen nicht vorhanden. Bei ihnen führen häufig Hauterkrankungen (zum Beispiel eine ungewöhnliche Gürtelrose) zum Verdacht einer HIV-Infektion. Bei einem positiven Testergebnis ergibt sich eine vollkommen andere Problemlage als bei offen homosexuell lebenden Männern. Neben der Verarbeitung der HIV-Infektion oder bereits einer AIDS-Erkrankung, muss auch die Lebensplanung überdacht und revidiert werden. Unter Umständen müssen die Ehepartnerin und eventuell auch die Kinder in die Beratung mit einbezogen werden. Diese Patienten sehen in vielen Fällen keine Notwendigkeit für ein Beratungsgespräch. Anlass für einen ersten Kontakt ist ein aktueller Leidensdruck, der von ärztlichen oder pflegerischen Kolleginnen und Kollegen wahrgenommen wird. Zusätzlich können jene Männer unser niedrigschwelliges Beratungsangebot nutzen, die es aufgrund ihrer Sozialisation nie gelernt haben, Hilfen anzunehmen. Das verinnerlichte Bild stark sein zu müssen verhindert es, eine Beratungsstelle aufzusuchen. Nur bei direkter zeitlicher wie örtlicher Vermittlung in die Beratung lassen sich manche auf ein derartiges Angebot ein.
    Ausländische HIV-Infizierte und AIDS-Kranke werden von den Ärzten in die AIDS-Beratungsstelle der Klinik vermittelt. Bedingt durch mangelnde Sprachkenntnisse und fehlende Informationen über psychosoziale Angebote, vor allem aber durch große Zurückhaltung in der Inanspruchnahme entsprechender Einrichtungen, ist für sie eine angegliederte Beratungsmöglichkeit am wirkungsvollsten.

    Compliance heute und morgen

    Unter dem Eindruck der verheerenden Folgen, die AIDS hatte, ist heute die Einnahme der antiretroviralen Medikamente noch mit einer relativ hohen Compliance gekoppelt. Je mehr AIDS den Charakter einer behandelbaren chronischen Erkrankung annimmt, desto schwerer wird es den Patienten fallen, die ihnen verordneten Medikamente in der vorgeschriebenen Form einzunehmen. Wird mit den Patienten nicht an einer Stärkung der Compliance gearbeitet, drohen unregelmäßige Tabletteneinnahme bis zu Therapieabbrüchen. Das Resultat wären resistente HI-Virenstämme.

    Bedeutung von Prävention

    Die Erfolge der Prävention haben auch ihre Schattenseiten. Das Ausbleiben der befürchteten großen Epidemie lässt nicht nur das allgemeine öffentliche Interesse am Thema AIDS zurückgehen, sondern auch das Interesse der Politik. Die veränderte Wahrnehmung von AIDS unter dem Eindruck verbesserter Therapiemöglichkeiten führt zu einer Wiederzunahme übertragungsrelevanter Risikokontakte. Die durch eigene Anschauung und Erfahrung kaum gebrochene Überschätzung der therapeutischen Möglichkeiten schwächen die ohnehin schwindende Bereitschaft zu Safer Sex bei jungen Menschen weiter. Die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Großbritannien war 1999 die höchste seit zehn Jahren. Neueste Zahlen sind alarmierend: In Russland findet sich weltweit derzeit die größte HIV-Epidemie, allein 2001 gab es 250.000 Neuinfektionen. Nach wie vor infizieren sich allein in München jährlich etwa 300 Menschen mit HIV und auch das Robert-Koch-Institut weist nachdrücklich darauf hin, dass die Zahl der "zu versorgenden HIV- bzw. AIDS-Patienten weiter anwachsen" wird.

    Die Nebenwirkungen einer disziplinierten Therapie

    Der heutige Therapiealltag wird durch eine fast nicht mehr überschaubare Vielfalt von Kombinationen aus derzeit knapp zwei Dutzend Substanzen aus 5 Substanzklassen geprägt. Doch mittlerweile wird auch die Schattenseite der Therapie sichtbar. Langzeitnebenwirkungen wie Zucker- und Fettstoffwechselstörungen erhöhen das Risiko für kardiale Ereignisse, körperliche Veränderungen wie Lipodystrophie stigmatisieren die Betroffenen erneut und verringern die Therapiemotivation. Ein weiteres Problem ist die ständig drohende Resistenzentwicklung von HIV, wenn die Compliance nicht zu praktisch 100% gewährleistet ist. Zwar hat sich die Zahl der Erkrankungen durch die HAART deutlich verringert, doch die Langzeitkomplikationen der Therapie führen zu gravierenden medizinischen, psychischen und sozialen Problemen. Oft geht damit eine verringerte Leistungsfähigkeit bis hin zur Berentung einher. Da die Betroffenen meist nicht genügend Zeit hatten, finanziell vorzusorgen, kann dies im sozialen Abstieg und der Isolation enden. Doch auch in günstigeren Szenarien können ständige Probleme mit Arbeitgeber, Kassen, Versicherungen und Banken den Lebensmut beeinträchtigen. Depressionen, sexuelle Dysfunktion und Partnerschaftsprobleme sind vorprogrammiert. Von einer "Normalisierung" der HIV-Erkrankung sind wir weit entfernt. Hinzu kommt, dass die Patienten älter werden und sich eine mangelnde Eingliederung in die Regelversorgung zeigt. So haben es zum Beispiel ältere HIV-Patienten schwer, Pflegeplätze in Seniorenheimen zu bekommen.

    Lipodystrophie - Bremsklötze der erfolgreichen HIV Therapie?

    Die den Patienten heute am stärksten belastende Nebenwirkung gerade auch der erfolgreichen antiretroviralen Therapie ist die durch Fettverlust, z. B. im Gesicht, an Armen und Beinen und im Gesäßbereich sowie durch vermehrte Fetteinlagerungen im Bauchbereich, im Nacken (Buffalohump) und im Brustbereich gekennzeichnete Fettverschiebung (Lipodystrophie). Erhöhung der Blutfette, selten Diabetes mellitus oder Knochenveränderungen, zunehmend häufiger Milchsäure-(Laktat) Erhöhungen im Blut, zum Teil verbunden mit Symptomen wie Müdigkeit, Bewegungsschwäche, Übelkeit oder Bauchschmerzen und anderen Beschwerden können ebenso kennzeichnend für die Lipodystrophie sein. Therapieunterbrechungen führen zur Normalisierung der Blutfette und des Laktats. Die Therapie muß in manchen Fällen danach mit anderen Medikamenten fortgesetzt werden.

    Die Korrektur des Fettverlustes im Gesicht ist durch Unter/Einspritzung z. B. der Substanz New Fill möglich. Dieses Verfahren, so zeigte eine französische Studie, ist auch ein Jahr nach Unterspritzung mit dieser Substanz noch wirksam. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten nicht, da sie AIDS mit einer degenerativen Gelenkserkrankung oder einem Diabetes auf eine Stufe setzen. Nach ihrer Auffassung sind die HIV- Patienten mit der Kombinationstherapie zur Gänze bestens versorgt. Die Verordnung von Immunglobulinen, Wachstumshormon oder eben auch die Unterspritzungsbehandlung des Gesichts wird kategorisch abgelehnt, weil das System solche Behandlungen nicht vorsieht.


    More information:

    http://www.klinikum.uni-muenchen.de


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    Criteria of this press release:
    Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Psychology
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Organisational matters, Scientific conferences
    German


     

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