Große Teile der Roma-Bevölkerung leben in absoluter Armut. Größter Risikofaktor ist mangelnde Schulbildung.
"Sind Sie letzte Woche hungrig zu Bett gegangen? - Besitzen Sie einen Wintermantel? - Essen Sie soviel Fleisch, wie Sie möchten? Haben Sie ein zweites Paar Schuhe?". Dies waren die einfachen Fragen, die Mitarbeiter von Professor Ivan Szelenyi an Menschen aus sechs osteuropäischen Ländern richteten. In Polen, Ungarn, Rumänien, der Slowakei und Bulgarien wurden jeweils etwa 1000 Personen aus allen Bevölkerungsgruppen befragt, in Russland sogar mehr als 2500.
Nach einer Schätzung der Weltbank muss ein Fünftel der Menschen in diesen Ländern mit weniger als 2.15 $ pro Tag auskommen und lebt damit unter der Armutsschwelle. Vor 1988 hatten dagegen nur 4 % der osteuropäischen Bevölkerung so wenig Geld zur Verfügung. Die dramatisch wachsende Verarmung der Bevölkerung Osteuropas kann Szelenyi bestätigen und sogar noch konkretisieren: Seine große Erhebung misst Armut nicht nur am Einkommen, sondern daran, ob die Menschen ihre elementaren Bedürfnisse an Nahrung, Kleidung und Obdach erfüllen können. Wenig Geld zur Verfügung zu haben sei für Selbstversorger in ländlichen Gegenden kein existenzielles Problem, während Menschen in der Stadt ohne Geld tatsächlich extrem arm seien, gibt Szelenyi zu bedenken. "Im Postkommunismus hat nicht nur das Ausmaß an Armut zugenommen, sondern auch die Qualität hat sich verändert", sagt der Soziologe.
Zu den größten Verlierern zählen Angehörige der Roma-Ethnie. In Bulgarien (das seit 1988 wirtschaftlich besonders schwere Krisen durchmacht) berichteten mehr als zwei Drittel der befragten Roma von häufigem Hunger. Ebenfalls schwierig ist die Lage von Frauen mit Kindern, die keinen Partner haben: fast ein Viertel der alleinerziehenden Mütter war sehr arm. Zum Vergleich: Aus der übrigen bulgarischen Bevölkerung hatte "nur" jeder sechste nicht regelmäßig ein Abendessen oder ausreichend warme Kleidung.
Auch in den anderen osteuropäischen Ländern sind die Roma in den letzten Jahren besonders stark verarmt. Zu den Gründen zählt Szelenyi neben der Diskrimierung dieser Ethnie auch deren mangelnde Ausbildung. Waren sie im Kommunismus auch als ungelernte Arbeitskräfte beschäftigt und hatten damit ein Einkommen, so sind sie heute weitgehend erwerbslos. Wer nur die Grundschule absolvierte, hat ein siebenfach erhöhtes Armutsrisiko. Alleinerziehende Mütter sind zweimal so häufig von Armut betroffen wie verheiratete Mütter und die Zugehörigkeit zu den Roma erhöht das Armutsrisiko um den Faktor drei. Wenigstens die Hälfte der Armut lasse sich auf fehlende Qualifikation zurückführen, sagt Szelenyi.
Hinweis an die Redaktionen: Professor Ivan Szelenyi ist zur Zeit Gastwissenschaftler am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Sie können ihn für Rückfragen unter der Telefonnummer 030 / 824 06 - 216 oder per E-Mail unter szelenyi@mpib-berlin.mpg.de erreichen.
Der Soziologe Professor Dr. Ivan Szelenyi stammt aus Ungarn, musste das Land jedoch vor 28 Jahren verlassen, da seine Arbeiten über die Klassengesellschaft im Kommunismus unerwünscht waren. Heute zählt Szelenyi zu den bekanntesten Wissenschaftlern seiner Zunft, er ist Dekan der Fakultät für Soziologie an der University of Yale und untersucht die Transformationsprozesse in Osteuropa.
Criteria of this press release:
Economics / business administration, Social studies
transregional, national
Research results
German
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