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19. Mai 1998
Zum ersten Mal in Europa sind in der Hautklinik des Essener Universitätsklini-kums HIV-Patienten neben der Standardtherapie zusätzlich einer Behandlung mit Interleukin-2 (IL-2) unterzogen worden. Dadurch konnte die Immunabwehr des Körpers in bemerkenswertem Umfang stabilisiert werden. Nach diesem ermuti-genden Ergebnis wird der ersten, auf Essen beschränkten Studie jetzt eine zweite folgen. 400 Patienten nehmen teil - aus weiteren deutschen Kliniken sowie aus HIV-Zentren in Amsterdam, Barcelona, Mailand, Paris und Wien.
Die Standardtherapie für HIV-Patienten besteht neben vorbeugenden Maßnah-men gegen Gelegenheitsinfektionen in der Verordnung hochwirksamer Medika-mente, die das HI-Virus (Humanes Immundifizienz-Virus) daran hindern sollen, sich zu vermehren (antiretrovirale Medikamente). Den Ärzten stehen elf Medika-mente zur Verfügung, von denen sie drei kombinieren. Bei den an der Studie be-teiligten Patienten in der Essener Hautklinik waren das die Substanzen AZT, 3TC sowie das einer anderen Gruppe zugehörige Saquinavir. AZT und 3TC auf der einen und Saquinavir auf der anderen Seite blockieren jeweils eines der vier Ver-mehrungswerkzeuge des HI-Virus und mindern auf diese Weise die Viruslast. Ziel ist es, sie so weit wie möglich gegen Null zu drücken.
Den zweiten Ansatzpunkt bei der Behandlung der Patienten kann künftig, wie die unter Beteiligung von 44 Patienten zwischen Mitte 1996 und Mitte 1997 in Essen durchgeführte und inzwischen detailliert ausgewertete Studie nahelegt, die Verab-reichung von Interleukin-2 sein, jenes wichtigen Botenstoffes, der für die Funkti-on und Teilung von Lymphzellen im Körper mitverantwortlich ist. Schon in ei-nem relativ frühen Stadium der HIV-Infektion sinkt der Interleukin-2-Spiegel im Körper.
Schon vor einigen Jahren hatten Wissenschaftler in den Vereinigten Staaten ver-sucht, durch intravenöse Interleukin-2-Gaben die Immunabwehr von HIV-Patienten positiv zu beeinflussen. Interleukin-2 in der Blutbahn wirkt aber hoch-giftig, die Patienten müssen sich während der Dauer der Therapie strenger ärztli-cher Überwachung unterziehen.
An der von Professor Dr. Manfred Goos geleiteten Hautklinik in Essen gingen Oberarzt Dr. Ulrich Hengge und seine Mitarbeiter Dr. Vanessa Exner und
Dr. Stefan Esser einen anderen Weg: Interleukin-2 wurde nicht intravenös, son-dern unter die Haut gespritzt. Dort befindet sich die Substanz in einer Art Depot, aus dem sie in verträglichen Gaben ins Blut gelangt. Die an der Studie beteiligten Patienten konnten sich das Interleukin-2 selbst spritzen - wie Diabetiker das In-sulin. Die ambulante Fortsetzung der Behandlung war damit gewährleistet.
In zwei Gruppen - A und B - nahmen 44 HIV-Patienten, die mit der Dreier-Therapie aus AZT, 3TC und Saquinavir behandelt wurden, an der Studie teil; die Behandlungserfolge wurden verglichen mit den Werten von 20 Kontroll-Patienten, die ebenfalls AZT, 3TC und Saquinavir erhielten. Die Zahl der CD4-Zellen, die als Schaltzellen des Immunsystems Botenstoffe zur Abwehr von Infektionen durch den Körper senden, war bei allen beteiligten Patienten vergleichbar: Sie lag zwischen
200 und maximal 500 pro Kubikmillimeter Blut - bei 500 CD4-Zellen beginnt der Wert eines gesunden Menschen.
Die Patienten der Gruppe A spritzten sich das Interleukin-2 während der einjähri-gen Studie im straffen Sechs-Wochen-Rhythmus, die Patienten der Gruppe B im-mer dann, wenn die Zahl der CD4-Zellen, die nach den ersten Interleukin-2-Gaben spontan angestiegen war, das 1,25-fache des Ausgangswertes unterschritt. Die Stu-dienleiter Goos und Hengge wollten neben Verträglichkeit und Sicherheit der neu-en Therapieform ermitteln, bei welchem Zeitintervall der beste Effekt erzielt wird.
Von den zunächst 44 Patienten der Studie beendeten im August 1997 21 Patienten in der Gruppe A nach durchschnittlich 8,5 und 19 Patienten in der Gruppe B nach durchschnittlich nur 4,6 Zyklen von Interleukin-2-Gaben die Therapie. Fast alle Patienten hatten sie gut vertragen, die Nebenwirkungen beschränkten sich auf Temperaturerhöhungen und grippale Symptone. Drei Ausnahmen gab es - bei ei-nem Patienten einen Anstieg der Leberfunktionsparameter, bei zwei anderen die mögliche Reaktivierung einer Depression.
Demgegenüber stand - von acht Ausnahmen abgesehen - nach einem Jahr ein be-achtlicher Anstieg der Zahl der CD4-Zellen - im Durchschnitt um mehr als 100 pro Kubikmillimeter Blut von 370 auf 492 in der Gruppe A und von 350 auf 468 in der Gruppe B. In der Kontrollgruppe, zu der im August 1997 von den zunächst
20 noch 18 Pa-tienten gehörten, stieg die Zahl der CD4-Zellen von durchschnittlich 388 auf 415. Bei den Studien-Patienten war darüber hinaus ein signifikanter Anstieg der natürlichen Killerzellen nachweisbar. Auch sie spielen bei der Immunabwehr eine wichtige Rolle.
Um die Wirkung des stabileren Immunsystems auf das Auftreten von Infektionen zu untersuchen, registrierten Hengge, Exner und Esser bei ihren Patienten alle er-kennbaren Infektionen sowie Haut- und Schleimhautveränderungen. Bis zum ge-genwärtigen Zeitpunkt - 21 Monate nach Studienbeginn - wurde bei keinem der mit Interleukin-2 behandelten Patienten eine das Vollbild AIDS charakterisierende Infektion festgestellt, während drei Patienten der Kontrollgruppe inzwischen an einem Gefäßtumor der Haut, einem Kaposi-Sarkom, leiden. Hautveränderungen, die auf ein schwächer werdendes Immunsystem hindeuten, etwa das Auftreten von Feigwarzen, Mundpilz, Gürtelrose oder Herpes, zählten die Ärzte in der Kontroll-gruppe drei- bis sechsmal häufiger als in den Gruppen der Interleukin-2-Patienten.
Problemlos konnten, das erwies die Studie, auch die Patienten Interleukin-2 be-kommen, die gleichzeitig an einer Hepatitis B oder C litten. Die Virusmenge an Hepatitispartikeln erhöhte sich während der Behandlung nicht. Ein unerwarteter, aber erfreulicher Nebeneffekt der IL-2-Therapie ergab sich bei der Untersuchung des Blutplasmas sowie der Lymphknoten von Studien-Teilnehmern. Als Folge der Stimulation virusinfizierter Lymphzellen durch das Interleukin-2 wäre eine Steige-rung der Viruslast denkbar gewesen. Hingegen konnte sechs Monate nach Thera-piebeginn bei fünf extra für diesen Zwek untersuchten Patienten eine leicht redu-zierte HI-Viruslast in den Lymphknoten diagnostiziert werden, und im Blutplasma fand sich keine Vermehrung. Im Gegenteil: Bei einigen Patienten stellten die Ärzte im Verlaufe der Interleukin-2-Therapie eine signifikante Verringerung der HI-Viruslast fest.
Angesichts dieser Ergebnisse hoffen der Klinik-Direktor Professor Dr. Goos und Oberarzt Dr. Hengge auf einen "Durchbruch in der HIV-Therapie". Bisher habe man sich, sagt Hengge, weitgehend mit der Minderung der Viruslast zufriedengeben müssen. Jetzt könne man sich parallel dazu auf die Stärkung des Immunsystems konzentrieren.
1985 hat man am Essener Klinikum mit der Behandlung und Betreuung von
HIV-Patienten begonnen. 540 Stammpatienten werden zur Zeit regelmäßig in der Ambulanz der Hautklinik betreut, 150 bis 200 in der Inneren Klinik.
Redaktion: Monika Rögge, Telefon: (02 01) 1 83-20 85
Weitere Informationen: Dr. Ulrich Hengge, Telefon: (02 01) 7 23-28 47
Hinweis für die Redaktionen: Auf Wunsch können wir Ihnen eine Mappe mit ausführlichen Informationen zur Verfügung stellen. Bitte bestellen Sie diese im Sekretariat von Herrn Dr. Hengge bei Frau Bartosch unter der Rufnummer
(02 01) 7 23-36 49.
Criteria of this press release:
Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
transregional, national
Research projects
German
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