idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
06/14/2002 15:04

In Heidelberg: Neuer Sonderforschungsbereich "Ritualdynamik"

Dr. Michael Schwarz Kommunikation und Marketing
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

    Das auf zwölf Jahre angelegte Projekt umfasst fünfzehn überwiegend kulturwissenschaftliche Fächer in siebzehn Teilprojekten - Rektor Prof. Dr. Peter Hommelhoff hoch erfreut über diesen ersten geisteswissenschaftlichen Sonderforschungsbereich

    Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat der Universität Heidelberg einen Sonderforschungsbereich (SFB) zur Erforschung der Dynamik von Ritualen bewilligt. Das auf zwölf Jahre angelegte Projekt umfasst fünfzehn überwiegend kulturwissenschaftliche Fächer in siebzehn Teilprojekten. Mit der Bewilligungssumme von über 3,5 Millionen Euro werden zunächst für drei Jahre über zwanzig wissenschaftliche Stellen für den akademischen Nachwuchs geschaffen. Wie Rektor Prof. Peter Hommelhoff dem designierten Sprecher des SFB, dem Indologen Prof. Axel Michaels, telefonisch mitteilte, unterstützt dieser erste geisteswissenschaftliche Sonderforschungsbereich der Ruprecht-Karls-Universität deren Leitlinien in hervorragender Weise. Dazu zählen der Schwerpunkt "Religion, Ritual und Normativität" sowie die Förderung der so genannten "kleinen Fächer".

    Die Forschergruppe "Ritualdynamik" der Universität Heidelberg untersucht vor allem die bislang noch ungeklärte Dynamik von Ritualen: Wie entstehen und verschwinden Rituale? Wie und warum verändern sie sich? Inter- und multidisziplinär wird in dem Projekt nach dem Wandel, den Strukturen und den Funktionen von Ritualen gefragt.

    Im Vordergrund stehen die Akteure, Erfinder oder Autoren von Ritualen. Untersucht wird die Wiederbelebung von Traditionen unter den Ureinwohnern im Taiwan der 90er Jahre ebenso wie die Erfindung von höfischen Zeremonien zur Machtbeanspruchung bei Herrschertreffen im alten Rom, Mittelalter oder neuzeitlichen Rajasthan, aber auch das Aufkommen von Feierabendmahlen auf Kirchentagen, neue Internet-Rituale oder jugendliche Rituale beim Umgang mit Psychoactiva in der Subkultur.

    Zudem werden die Wanderungen von Ritualen von einer Kultur oder Religion in eine andere untersucht. Beispiele sind die wechselseitige Beeinflussung lebenszyklischer Rituale in hinduistischen und buddhistischen Kontexten in Nepal, die Umwandlung von Privatritualen in öffentlichen Herrscherritualen in Assyrien, die Veränderungen von Ritualen bei Migrationsbewegungen im Islam, die Übernahme von Männerinitiationen in Fraueninitiationen bei den Freimaurern oder der Import amerikanischer Demokratierituale in das Nachkriegsdeutschland.

    Auch die Zu- und Abnahme sowie die Neugestaltung von Ritualen stößt auf das Interesse der Forscher. Dies zeigt sich in hohem Maße, wenn sich eine neue Religion (etwa der Buddhismus) über die Kritik an alten Ritualen formiert, oder wenn Pilgerfahrten in Indien parteipolitisch umfunktioniert werden, um damit einen Anspruch auf Modernität zu stellen. Besonders aktuell ist das Thema in zwei Projekten, die die Kritik der Förmlichkeit des Rituals beim Holocaustgedenken oder die Ritualisierung von Literaturpreisverleihungen untersuchen.

    Methodisch werden die Ergebnisse auf drei Ebenen verglichen: durch den interkulturellen Vergleich, durch einen Vergleich teilweise großer Zeiträume - vom alten Ägypten bis zum Internet - sowie durch einen Vergleich von Text und Kontext, z.B. von Ritualskripten und deren Anwendung im Ritual selbst.

    Die Projektgruppe kann sich auf umfangreiches Material stützen, das zum Teil erstmalig erschlossen wird: zahlreiche ägyptische Pyramiden- und Sargtexte, ganze Bibliotheken an assyrischen Ritualtexten, "Ozeane" an Ritualtexten in Sanskrit, dreißig Bände rajasthanisches Hofprotokoll, weitläufige griechische Kultregelungen, Handbücher christlicher Liturgie und deren Exegese etc. Hinzu kommen ausgiebige empirische Materialerhebungen (Feldforschung, Interviews, Sammlung von Dokumenten etc.) sowie zahlreiche Verbildlichungen von Ritualen an Heiligtümern oder Kultgeräten in Form von Reliefs, Fresken oder Architektur sowie Photographien, Video- und Filmaufzeichnungen von Ritualaufführungen.

    Die Offenheit und Vielschichtigkeit der Fragestellung ist trotz aller methodischer Strenge beabsichtigt. "Schließlich geht es", sagt Professor Axel Michaels, der designierte Sprecher des SFB, "um hochaktuelle Aspekte der Identitätsbildung und Formen der Vergemeinschaftung, um das besonders in Ritualen bewahrte kollektive Gedächtnis oder die Funktion von Ritualen für Herrschaft und Ordnung." Die Forschergruppe betrachtet Rituale mehrheitlich als einen eigenständigen Handlungstyp, vergleichbar dem Spiel oder dem Theater. Prof. Michaels: "Wir gehen aber davon aus, dass Rituale nicht starr, leer und stereotyp, sondern ein höchst dynamisches und notwendiges Mittel bilden, die ständige Spannung zwischen Bewahrung des Alten und Erneuerung, zwischen Tradition und Moderne, zu halten und zu bewältigen."

    Kontakt:
    Prof. Dr. Axel Michaels (des. Sprecher)
    Südasien-Institut der Universität Heidelberg
    Im Neuenheimer Feld 330, 69120 Heidelberg
    Tel. 06221 548917, Fax 546338
    Axel.Michaels@urz.uni-heidelberg.de

    Rückfragen von Journalisten auch an:
    Dr. Michael Schwarz
    Pressesprecher der Universität Heidelberg
    Tel. 06221 542310, Fax 542317
    michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de

    Sonderforschungsbereich Ritualdynamik

    beteiligte Fächer und Projektleiter

    Ägyptologie (Prof. Jan Assmann, Dr. Hubert Roeder)
    Allgemeine Literaturwissenschaft (Prof. Dietrich Harth, PD Dr. Burkhard Dücker)
    Alte Geschichte (Prof. Angelos Chaniotis)
    Assyriologie (Prof. Stefan Maul)
    Ethnologie (Prof. K.-P.- Köpping)
    Ethnologie Südasiens (Prof. William Sax)
    Erziehungswissenschaften (Prof. Micha Brumlik)
    Islamwissenschaft (Prof. Michael Ursinus, Dr. Raoul Motika)
    Klassische Indologie (Prof. Axel Michaels, Dr. Srilata Müller)
    Medizinische Psychologie (Prof. Rolf Verres)
    Mittlere Geschichte (Prof. Jürgen Miethke, Prof. Stefan Weinfurter)
    Moderne Indologie (Prof. Monika Boehm-Tettelbach)
    Religionswissenschaft (Prof. Gregor Ahn, Prof. Jan Snoek)
    Soziologie (Prof. Uta Gerhardt)
    Theologie (Prof. Helmut Schwier)


    Images

    Criteria of this press release:
    Art / design, History / archaeology, Language / literature, Music / theatre, Philosophy / ethics, Religion, Social studies
    transregional, national
    Research projects
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).