idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
01/11/2013 09:55

Logisches Denken nicht notwendig: Kausalitätsurteile werden „gefühlt“

Mareike Kardinal Bernstein Koordinationsstelle
Nationales Bernstein Netzwerk Computational Neuroscience

    Bei der Wahrnehmung von aufeinanderfolgenden visuellen Ereignissen fällen wir häufig Kausalitätsurteile, wie etwa „die Hand hat das Glas umgestoßen“. Ein Forscherteam um Martin Rolfs am Bernstein Zentrum der Humboldt-Universität Berlin fand nun heraus, dass diese Urteile bereits beim grundlegenden Sehprozess entstehen – ohne Beteiligung von höheren kognitiven Vorgängen. Sie zeigten, dass beim wiederholten Betrachten von kausalen Zusammenhängen ein ähnlicher Gewöhnungseffekt eintritt wie bei der Wahrnehmung der Größe, Farbe oder Distanz eines Objektes. Die Ergebnisse beenden eine langjährige Debatte über die Verarbeitung von komplexeren Eigenschaften visueller Ereignisse.

    Die Hand stößt ans Glas, es fällt um und die Milch ergießt sich über den Küchentisch. Für den Beobachter ist sofort klar: Das ungeschickte Berühren des Milchglases mit der Hand hat das kleine Malheur bewirkt. Bislang waren sich Wissenschaftler uneins darüber, ob höhere Gehirnprozesse wie logisches Schlussfolgern dieses Kausalitätsurteil begründen – oder ob das Urteil bereits bei der Sinneswahrnehmung entsteht, ähnlich der Einschätzung von Größe, Distanz oder Bewegung eines Objektes. Eine internationale Forschergruppe um Martin Rolfs am Bernstein Zentrum Berlin, Michael Dambacher an der Universität Konstanz und Professor Patrick Cavanagh an der Universität Paris Descartes hat nun die Antwort auf diese Frage gefunden: Schnelle Kausalitätsurteile werden bereits auf der Stufe der einfachen visuellen Wahrnehmung gefällt.

    Für die Untersuchung schauten Probanden wiederholt einen Animationsfilm an, in dem sich eine Scheibe auf eine andere zubewegt und letztere sich nach einer Berührung in Bewegung setzt. Anstatt die erste Scheibe anhalten und danach die nächste Scheibe anrollen zu sehen, werden beide Vorgänge als eine kontinuierliche Handlung wahrgenommen, bei der die erste Scheibe die zweite ins Rollen bringt – ähnlich zweier kollidierender Billardkugeln. Rolfs und seine Kollegen zeigten nun, dass beim mehrfachen Beobachten von Scheiben-Kollisions-Szenen eine Gewöhnung eintritt: Die Probanden schätzten spätere Berührungen der Scheiben weniger häufig als Grund für die Bewegung der zweiten Scheibe ein. Ähnliche Adaptationsnacheffekte sind bekannt bei andauernder Wahrnehmung einfacher visueller Eigenschaften von Objekten, wie etwa der Farbe: Nach längerem Betrachten eines orangen Lichts erscheint ein hellblauer Punkt, wenn man anschließend auf eine weiße Wand schaut. Diese visuellen Nacheffekte lassen auf eine Ermüdung der Nervenzellgruppen in den Hirnbereichen schließen, die die spezifischen Merkmale des Objektes analysieren.

    Die Haupterkenntnis der Studie: Die Gewöhnung an Kollisionsereignisse trat nur an den Stellen auf, an denen die Kollisionen betrachtet wurden. Wenn die Augen sich bewegten, bewegten sich die adaptierten Stellen mit, ähnlich wie ein Farbnachbild sich verschiebt wenn die Augen sich bewegen. Den Wissenschaftlern zufolge zeigen diese Ergebnisse, dass die an der Kausalitätsbewertung beteiligten neuronalen Strukturen im frühen Sehprozess angesiedelt sein müssen, da höhere kognitive Prozesse nicht von der Augenposition beeinflusst werden. „Das Forschungsergebnis verlagert Funktionen die bisher für Leistungen kognitiven Denkens gehalten wurden in den Bereich der einfachen Wahrnehmung und hat daher Auswirkungen auf verschiedenste Gebiete wie Philosophie, Psychologie, und Robotertechnik“, so Studienleiter Rolfs.

    Das Bernstein Zentrum Berlin ist Teil des Nationalen Bernstein Netzwerks Computational Neuroscience. Seit 2004 fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit dieser Initiative die neue Forschungsdisziplin Computational Neuroscience mit über 170 Mio. €. Das Netzwerk ist benannt nach dem deutschen Physiologen Julius Bernstein (1835-1917).

    Weitere Informationen erteilt Ihnen gerne:
    Dr. Martin Rolfs
    Bernstein Zentrum Berlin und
    Humboldt-Universität zu Berlin
    Philippstr. 13, Haus 6
    10115 Berlin
    eMail: martin.rolfs@bccn-berlin.de
    Tel: +49 (0)30 2093-6775

    Originalpublikation:
    Rolfs, M., Dambacher, M., Cavanagh, P. (2013): „Visual adaption of the perception of causality“. Current Biology: Jan 10, 2013.
    http://www.cell.com/current-biology/abstract/S0960-9822%2812%2901490-X
    DOI: 10.1016/j.cub.2012.12.017


    More information:

    http://www.bccn-berlin.de Bernstein Zentrum Berlin
    http://www.hu-berlin.de Humboldt-Universität zu Berlin
    http://www.nncn.de Nationales Bernstein Netzwerk Computational Neuroscience


    Images

    Martin Rolfs
    Martin Rolfs
    Foto: Hans Trukenbrod, 2013
    None

    Eine Hand stößt an ein Milchglas und es fällt um. Das Kausalitätsurteil erfolgt während des grundlegenden Sehprozesses wie Forscher am Bernstein Zentrum Berlin zeigen.
    Eine Hand stößt an ein Milchglas und es fällt um. Das Kausalitätsurteil erfolgt während des grundleg ...
    Foto: Martin Rolfs, 2013
    None


    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars, Students, Teachers and pupils, all interested persons
    Biology, Information technology, Mathematics, Medicine, Psychology
    transregional, national
    Research results
    German


     

    Martin Rolfs


    For download

    x

    Eine Hand stößt an ein Milchglas und es fällt um. Das Kausalitätsurteil erfolgt während des grundlegenden Sehprozesses wie Forscher am Bernstein Zentrum Berlin zeigen.


    For download

    x

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).