Forscher der Universität Tübingen untersuchen in internationalem Projekt die DNA von ältesten Skelettfunden aus Deutschland – und stellen die Theorie einer noch früheren Auswanderung in Frage
Über die Mutationsrate, also die durchschnittliche Zahl der Veränderungen im Erbgut, die Kinder im Vergleich zu ihren Eltern aufweisen, datieren Wissenschaftler bestimmte Ereignisse in der Evolution. Neuere Berechnungen dieser Rate hatten den bisher angenommenen Zeitrahmen wichtiger Ereignisse in der Menschheitsgeschichte in Frage gestellt. Danach lagen Schlüsselereignisse wie die genetische Auseinanderentwicklung der modernen Menschen innerhalb und außerhalb Afrikas bis zu doppelt so lange zurück wie gedacht.
Neue Ergebnisse, die jetzt ein internationales Team unter der Leitung von Forschern der Universität Tübingen und des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig präsentiert, stützen jedoch die früheren Berechnungen: Die Wissenschaftler setzen nun wieder jüngere Datierungen an. Ihre Studie wird aktuell im Fachmagazin Current Biology veröffentlicht.
Unter der Leitung von Juniorprofessor Johannes Krause von der Universität Tübingen haben die Forscher aus mehr als zehn menschlichen Skeletten, die in einer Zeitspanne von 40.000 Jahren aus Europa und Ostasien stammten, Proben entnommen. Sie konnten das Genom der Mitochondrien, der sogenannten Kraftwerke der Zelle, rekonstruieren. Unter diesen Skeletten waren einige der ältesten bekannten anatomisch modernen Menschen außerhalb Afrikas, so die menschlichen Überreste einer Dreifachbestattung aus Dolni Vestonice in Tschechien sowie die ältesten Skelette moderner Menschen, die in Deutschland gefunden wurden, aus Oberkassel bei Bonn.
Die Forscher stellten anhand der mitochondrialen DNA fest, dass die Jäger und Sammler vor und nach der letzten Eiszeit in Europa in direkter Verwandtschaftslinie stehen. Daraus folgern sie, dass Europa während der letzten Eiszeit durchgängig besiedelt war. Zwei der Individuen aus Dolni Vestonice, die zusammen bestattet wurden, weisen außerdem die gleiche mitochondriale DNA auf, was eine nahe Verwandtschaft über die Mutter vermuten lässt.
Für die Berechnung der Mutationsraten über die letzten 40.000 Jahre legten die Wissenschaftler die über die Radiokarbonmethode gewonnenen Daten zum Alter der Skelette zugrunde. Sie verglichen dann die Anzahl an Mutationen, die in heutigen menschlichen Populationen vorkommen, gegenüber denen aus den untersuchten Skeletten. Nach der neu errechneten Mutationsrate lebte der letzte gemeinsame Vorfahre aller menschlichen mitochondrialen DNA-Linien vor etwa 160.000 Jahren. Anders ausgedrückt tragen alle heutigen Menschen mitochondriale DNA in sich, die von einer einzigen Frau stammt, die vor etwa 160.000 Jahren lebte.
Die Lebenszeit des letzten gemeinsamen Vorfahren von Afrikanern und Nicht-Afrikanern bestimmten die Wissenschaftler über die mitochondrialen DNA-Linien auf 62.000 bis 95.000 Jahre vor heute. Das entspricht dem frühesten Zeitpunkt, den man bisher für die Auswanderung der anatomisch modernen Menschen aus Afrika angenommen hat. Die Ergebnisse stimmen mit früheren archäologischen und anthropologischen Studienergebnissen überein. Sie sind jedoch mit den errechneten Mutationsraten aus einigen jüngeren Familienstudien nicht in Einklang zu bringen. Dort wurde die Abspaltung nicht afrikanischer Populationen von Afrikanern auf einen rund 30.000 Jahre länger zurückliegenden Zeitraum berechnet.
„Zwischen den Resultaten aus Studien an modernen Familien und unserer Studie an alter DNA ergibt sich eine deutliche Diskrepanz“, sagt Johannes Krause. „Der Grund dafür könnte darin bestehen, dass in den Studien an modernen Familien Mutationen übersehen wurden, was zu einer Unterschätzung der Mutationsrate führt. Außerdem ist es möglich, dass sich die Mutationsrate innerhalb einer Generation im 21. Jahrhundert von der von uns berechneten über 2.000 Generationen in den letzten 40.000 Jahren unterscheidet.“ Genauere Ergebnisse könnte den Forschern zufolge die Untersuchung der DNA prähistorischer Menschen nicht nur aus den Mitochondrien, sondern aus dem Zellkern liefern.
Publikation:
Fu et al. “A Revised Timescale for Human Evolution Based on Ancient Mitochondrial Genomes” Current Biology (2013), http://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2013.02.044
Kontakt:
Prof. Dr. Johannes Krause
Universität Tübingen
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie
Telefon: +49 7071 29-74089
johannes.krause[at]uni-tuebingen.de
Skelette der ältesten anatomisch modernen Menschen, die in Deutschland gefunden wurden, aus Oberkass ...
Fotos: J. Vogel/LVR – LandesMuseum Bonn
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Criteria of this press release:
Journalists
Biology, History / archaeology
transregional, national
Research results
German
Skelette der ältesten anatomisch modernen Menschen, die in Deutschland gefunden wurden, aus Oberkass ...
Fotos: J. Vogel/LVR – LandesMuseum Bonn
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