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09/06/2002 10:27

Debatte über Scharlatanerie und Verantwortung

Axel Burchardt Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Jenaer Forscher entfachen Diskussion im Wissenschaftsmagazin "Science"

    Jena (06.09.02) Der Beitrag von Dr. Uwe Hoßfeld und Prof. Dr. Lennart Olsson im renommierten Wissenschaftsmagazin "Science" vom 5. Juli 2002 hat eine global geführte Debatte ausgelöst. Die beiden Wissenschaftler von der Friedrich-Schiller-Universität Jena hatten in ihrem Artikel mit dem Titel "From the Modern Synthesis to Lysenkoism, and Back?" (Von der Modernen Synthese zum Lyssenkoismus - und zurück?) am Fall Georg Schneiders ein Beispiel eines Wissenschaftlers präsentiert, der zu einem wissenschaftlichen Scharlatan mit politischer Prägung mutierte. In der heute (06.09.02) erschienenen Ausgabe von "Science" (Band 297, S. 1646-1647) wird diese Diskussion weitergeführt und auf die soziale und politische Verantwortung moderner Wissenschaftler ausgedehnt. Die beiden Forscher waren von der Science-Redaktion aufgefordert worden, eine ausführliche Antwort auf die zahlreichen Leserbriefe zu verfassen - und überstanden auch mit diesem "Leserbrief" das strenge Auswahlverfahren. Damit gehören der Wissenschaftshistoriker Hoßfeld und der Zoologe Olsson zu den wenigen Jenaer Wissenschaftlern, die bisher einen zweiten Beitrag in dem internationalen Fachmagazin publiziert haben.

    In ihrem ersten Artikel hatten die Forscher dargestellt, wie der Lyssenkoismus in der Biologie der 1920-30er Jahre eine Kooperation innerhalb der biologischen Disziplinen, vor allem in der Sowjetunion verhinderte. So baute der ukrainische Agronom Trofim D. Lyssenko (1898-1976) ein "Ideengebäude" auf mit der Hauptaussage, dass erworbene Eigenschaften vererbt werden können. Diese auch unter dem Namen "Mitschurin-Biologie" oder "Schöpferischer Darwinismus" verbreitete Position stand zwar in völligem Widerspruch zu allen gesicherten genetischen Erkenntnissen bereits der damaligen Zeit. Doch mit Unterstützung der politischen Macht, vor allem Josef Stalins, wurde diese Lehre verbreitet, das Gedankengut der klassischen Genetik unterdrückt und Wissenschaftler mit anderer Auffassung bedroht, verbannt oder gar getötet.

    Der so genannte Lyssenkoismus fasste trotz politischen Drucks nie so richtig Fuß in der DDR - mit wenigen Ausnahmen. Dazu zählte auch Jena, wo 1947 der aus sowjetischer Emigration zurückgekehrte Marxist und Lyssenko-Anhänger Georg Schneider (1909-1970) mit Unterstützung von Walter Ulbricht eine leitende Stelle an der Universität erhielt. Diese Machtposition nutzte er aus, um wider jedes bessere Wissen einen politisch motivierter Propagandafeldzug für den Lyssenkoismus zu führen. "Die klassische Genetik wurde vernichtet und in eine ideologische Genetik verändert", kommentiert Hoßfeld. Mit dem Tod Stalins verlor auch die Lyssenko-Doktrin und mit ihr Schneider zunehmend an Macht und Einfluss.

    Die Leserbriefe stimmen der Grundtendenz des Artikels von Hoßfeld und Olsson zwar weitgehend zu. Widerspruch erhebt sich vor allem gegen eine alleinige Position des Lyssenkoismus - selbst in Jena. Dort hätten Professoren auch die klassische Genetik in diesen schweren Zeiten gelehrt und damit Widerstand gegen die politischen Vorgaben geleistet. "Durch die Beschränkungen der Science-Redaktion stand uns nur begrenzter Platz zur Verfügung", erklärt Hoßfeld, "so dass wir uns auf wenige Aspekte beschränken mussten". "Daher sind wir froh, dass wir nun die Gelegenheit erhalten haben, das Thema zu erweitern und zusätzliche wichtige Literaturquellen zu nennen", ergänzt Olsson.

    Das Thema Lyssenkoismus ist nach Meinung der Autoren keinesfalls ein DDR-Problem, "sondern muss im weltweiten Kontext betrachtet werden", schreiben die Autoren - es sei auch kein deutsches Ost-West-Problem. Der Fall Schneider mache jedoch deutlich, mit welchen zensierenden Problemen die Forschung früher zu kämpfen hatte und dass selbst heute die wissenschaftliche Aufarbeitung mit den Nachwirkungen des Kalten Krieges zu kämpfen habe. Zu deren Überwindung trägt auch der wissenschaftshistorische Artikel der Jenaer Autoren bei. Sie sehen die erneute Publikation auch als Anerkennung für die Geschichtsaufarbeitung an der Universität Jena - und hoffen auf weitere Erkenntnisse in Archiven auf der ganzen Welt, die ihnen nun offen stehen.

    Kontakt:
    Dr. Uwe Hoßfeld
    Ernst-Haeckel-Haus - Institut für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft u. Technik der Uni Jena
    Berggasse 7, 07745 Jena
    Tel.: 03641 / 949505
    Fax: 03641 / 949502
    E-Mail: b7houw@nds.rz.uni-jena.de

    Prof. Dr. Lennart Olsson
    Institut für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie der Uni Jena
    Erbertstr. 1, 07743 Jena
    Tel.: 03641 / 949160
    Fax: 03641 / 949162
    E-Mail: b1olle@uni-jena.de


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    Criteria of this press release:
    Biology, History / archaeology, Information technology
    transregional, national
    Research results
    German


     

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