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09/13/2002 14:34

Sprachlosigkeit zwischen den Wissenschaftskulturen? - Silence between the Disciplines?

Renate Nickel Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

    Konferenz am 1. und 2. Oktober 2002 in der
    Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
    Jägerstr. 22/23, 10117 Berlin
    Die Konferenz ist eine Gemeinschaftsveranstaltung des Max-Planck-Institutes für Wissenschaftsgeschichte, Berlin, des Wissenschaftskollegs zu Berlin und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften

    Die Tagung wird gefördert mit Mitteln VolkswagenStiftung.

    Die Grundlage aller modernen wissenschaftlichen Arbeit ist disziplinär. Spätestens seit dem 19. Jh. haben die Disziplinen eigene Methoden, Bewertungsstandards, Werte und Ausbildungsformen entwickelt, die ihnen die Verläßlichkeit ihres geistigen Schaffens garantieren und sich dem Leben jedes einzelnen Wissenschaftler tief einprägen. Wollte man die hart erarbeiteten Methoden der Beweisprüfung und Beweissicherung, sowie die Mischung von epistemologischen und moralischen Werten, die das disziplinäre Ethos ausmachen, beseitigen, würden Errungenschaften von Jahrhunderten auf's Spiel gesetzt.

    Freilich liegen die Probleme, mit denen Wissenschaftler es heute zu tun haben, zunehmend quer zu den disziplinären Grenzen, ja sogar zu den Grenzen zwischen Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften. Die jüngsten Ergebnisse der Neurowissenschaften beziehen sich auf Kernprobleme der Philosophie wie etwa die Kohärenz des Selbst; Biophysiker wollen von Ethnologen wissen, wie unterschiedliche Kulturen sich den menschlichen Körper vorstellen; Wirtschaftswissenschaftler und Evolutionsbiologen stellen vergleichbare Fragen zum menschlichen und tierischen Verhalten. Die Herausforderung liegt mithin darin, die disziplinären Grenzen zu öffnen, ohne die disziplinäre Integrität zu gefährden. Gleichzeitig wird immer deutlicher, daß im Hinblick etwa auf Kompetenzaufbau und Problemlösung eine Vernachlässigung der Reintegration unterschiedlicher Ansätze zunehmend "kostenträchtiger" wird.

    Interdisziplinarität erfordert mehr als die gegenseitige Mitteilung oder Benutzung von Forschungsergebnissen. Die gängigste Form interdisziplinärer Arbeit, sich von anderen Disziplinen wertvolle Einzelinformationen oder gelegentlich eine Technik zu borgen, ist ein riskantes Unterfangen. Selten werden die Methoden, die den Ergebnissen zugrundeliegen oder mit denen sie geprüft wurden, verstanden, weshalb ihre Zuverlässigkeit nicht beurteilt werden kann. Außerhalb ihrer Disziplinen sind Wissenschaftler weitgehend unkritische Konsumenten von Resultaten, von Resultaten überdies, deren Entstehungs- und Auswahlhorizont sie nicht kennen.

    Tief verankert sind auch die zwischen den Disziplinen herrschenden wechselseitigen Mißverständnisse und Verdächtigungen, was die Gültigkeit der jeweiligen Methoden und den Wert der jeweiligen Forschungen anlangt. Engstirnigkeit und Neid mögen zur Erklärung herangezogen werden, doch liegen weitere Ursachen für das gegenseitige Nichtverstehen in der Struktur disziplinärer Ausbildung und Arbeit, die beide dazu tendieren, die intellektuelle Aufmerksamkeit mit höchster Intensität auf einen eng begrenzten Punkt zu konzentrieren. In Situationen, in denen alle Wissenschaftler mit Wertkriterien konfrontiert sind, die sich mehr auf wirtschaftlichen Gewinn als geistiges Verdienst richten, ist ein Schulterschluß zur Verteidigung des Eigenwertes geistiger Arbeit erforderlich. Voraussetzung für eine solche Verteidigung ist ein besseres Verständnis von Bereichen, die außerhalb des eigenen Territoriums in der Gelehrtenrepublik liegen.

    Was ist zu tun? Gelegentliche Konferenzen und Seminare werden nicht ausreichen, zu klären, was es heißt, eine andere Disziplin zu betreiben und sie gut zu betreiben. Gebraucht werden länger dauernde Präsentationen und Begegnungen mit konkreten Beispielen, wie Disziplinen arbeiten. Was die frühen Ausbildungsstufen anlangt, so bestehen unter der Bedingung des Zeitdrucks, der auf arrivierten Wissenschaftlern allenthalben lastet sowie der relativen Offenheit ihrer jüngeren Kollegen, einige Hoffnung, daß zweiwöchige Intensivseminare für Postdoktoranden zu einer Verbesserung führen könnten. Es sind aber umfassendere Strukturveränderungen erforderlich, die Natur- und Geisteswissenschaftler für längere Zeiträume nicht allein zur wechselseitigen Belehrung zusammenführen, sondern in der Auseinandersetzung mit einem gemeinsamen Problem. Ob sich dies im Rahmen der gegenwärtigen Universitätsorganisation erreichen läßt, ist eine Frage der man sich in einer ernsthaften Diskussion über die "Sprachlosigkeit" zwischen den Disziplinen stellen sollte.

    Mit Blick auf die Dynamik weiterer Differenzierungen des Forschungssystems, die Erzeugung von immer mehr kleinen Forschungsgebieten, die sich später möglicherweise zu Disziplinen entwickeln sowie das verbreitete Bedürfnis, unterschiedliche Ansätze miteinander zu verbinden oder sogar zu integrieren, ergeben sich weitere Fragen:

    Welche epistemologischen und methodologischen Probleme sind mit einer Integration unterschiedlicher disziplinärer Ansätze für Lehr- und Forschungszwecke verbunden?

    Gibt es neue Förderungsformen bzw. Struktur- oder Organisationsanreize, die inter- und transdisziplinäre Aktivitäten erleichtern können?

    Wie können junge Forscherinnen und Forscher in diese Aktivitäten einbezogen werden? Welche Folgen ergeben sich für ihre Karriereaussichten?

    Wann und wie sollten unsere Studenten mit Interdisziplinarität bekannt gemacht werden? Welche curricularen Anforderungen stellt dies?

    Welche Änderungen sind in unseren Hochschulen erforderlich, um den Anforderungen gerecht zu werden, die sich aus einer Beendigung der Sprachlosigkeit zwischen den Disziplinen ergeben? Gibt es vielversprechende Initiativen oder sogar transferierbare Rollenmodelle?

    Weitere Informationen bei:
    Dr. W.-H. Krauth,Tel: 030 / 20 37 04 28, Email: krauth@bbaw.de

    Anmeldungen unter o.g. Kontaktadresse erwünscht.


    - Konferenzprogramm -

    Sprachlosigkeit zwischen den Wissenschaftskulturen?
    Silence between the Disciplines?
    1.- 2. Oktober 2002 in der
    Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
    Jägerstr. 22/23, 10117 Berlin

    1. Oktober 2002

    09:00 - 10:45
    Begrüßung / Welcoming Statements
    Dieter Simon, Wilhelm Krull

    I. Disziplinäre vs. inter- und transdisziplinäre Anforderungen - am Beispiel der Kognitionswissenschaften / Disciplinary vs. Inter- and Transdisciplinary Challenges - in Terms of the Neurosciences

    Gesprächsleitung / Chair:
    Gerhard Neuweiler, München

    Andreas Engel, Jülich
    Die neurobiologische Erforschung des Bewusstseins

    Statements:
    Harald Welzer, Essen, Witten-Herdecke
    Gerhard Roth, Delmenhorst

    11:15 - 13:00
    II. Evolutionstheoretische Perspektiven in Biologie und anderen Disziplinen / Evolutionary Perspectives in Biology and Other Disciplines

    Gesprächsleitung / Chair:
    Alfred Gierer, Tübingen

    Eva Jablonka, Tel Aviv
    Breaking the Silence: The Continuity Between Construction, Development and Evolution
    Das Schweigen brechen: Die Kontinuität von Konstruktion, Entwicklung und Evolution

    Ulrich Witt, Jena
    Division of Knowledge and Divergence of Interpretation - The Example of Economics and Evolutionary Biology Wissensteilung und Verständnisgrenzen - Das Beispiel von Ökonomie und Evolutionsbiologie

    Statements:
    Marie Theres Fögen, Frankfurt/M., Zürich
    Karl Sigmund, Wien


    14:00 - 15:45
    III. Epistemologische Herausforderungen / Epistemological Challenges

    Gesprächsleitung / Chair:
    Volker Gerhardt, Berlin

    Yehuda Elkana, Budapest
    Limits and Limitations to Research: A Constructivist Approach
    Grenzen der Forschung: Ein konstruktivistischer Ansatz

    Statements:
    Brigitte Falkenburg, Dortmund
    Rudolf Stichweh, Bielefeld
    Engelbert Westkämper, Stuttgart

    16:15 - 18:30
    IV. Curriculare Anforderungen / Curricular Requirements

    Gesprächsleitung / Chair
    Wilhelm Krull, Hannover

    D. C. Phillips, Stanford
    The Contributation of Epistemology to Curriculum Construction in the Sciences
    Der Beitrag der Epistemologie zur Erstellung von Curricula in den Naturwissenschaften

    Lee S. Shulman, Menlo Park
    New Approaches to the Scholarship of Teaching and Learning: The Carnegie Experience
    Neue Ansätze in der Forschung über Lehren und Lernen: die Carnegie-Erfahrung

    Statement:
    Yehuda Elkana, Budapest

    2. Oktober 2002

    09:00 - 10:45
    V. Disziplinäre Spezialisierung, Überblickskompetenz und Urteilsfähigkeit - eine neue Einheit? / Disciplinary Specialization, Competence across Disciplinary Borders and the Ability to Assess the Reliability of Results - Merging into a New Unit?

    Gesprächsleitung / Chair:
    Luise Schorn-Schütte, Frankfurt/M.

    Gerald Holton, Cambridge
    Bridging the Gap between the Humanities and the Sciences in Teaching
    Wie lässt sich die Lücke zwischen den Gesellschafts- und den Naturwissenschaften in der universitären Lehre schließen?

    Statements:
    Paul B. Baltes, Berlin
    A Transdisciplinary Dictionary: Utopia Realis or Fata Morgana?
    Ein transdisziplinäres Lexikon: Utopia Realis oder Fata Morgana?
    Hans-Joachim Queisser, Stuttgart

    11:15 - 13:00

    VI. Jenseits der Service- und Kompensationsaufgaben: Wie viel Geistes- und Gesellschaftswissenschaften brauchen die anderen Fächer? / Beyond Servicing and Compensation: To What Extent do the Other Disciplines Need the Humanities and Social Sciences?

    Gesprächsleitung / Chair:
    Friederike Hassauer, Wien

    John Prausnitz, Berkeley
    Engineering and the other Humanities. Broadening Education in the Applied Sciences
    Ingenieur- und andere Humanwissenschaften. Zur Erweiterung der Ausbildung in den angewandten Naturwissenschaften

    Statements:
    Bo Sundqvist, Uppsala
    Alfred Pühler, Bielefeld
    Herbert Mehrtens, Braunschweig

    14:00 - 15:45
    VII. Neue Organisationsformen der Forschung - ihre Ziele, ihre Implementation, ihre Erfolgsaussichten / New Forms of Research Organizations - Objectives, Implementation, and Chances of Success

    Gesprächsleitung / Chair:
    Helga Nowotny, Zürich

    Ulrich Wiesner, Ithac
    New Challenges and Boundary Conditions for Materials Research in Nanobiotechnology
    Neue Herausforderungen und Umweltbedingungen für die Materialforschung in der Nanobiotechnologie

    Horst Bredekamp, Berlin
    Vom Streit der Fakultäten und dem Zusammenspiel der Sammlungen
    The Controversy of Faculties and the Interplay of Collections

    Kai Simons, Dresden
    Structuring the Molecular Life Sciences in the Post-Genomic Era

    16:15 - 18:00
    VIII. Podiumsdiskussion über die Notwendigkeit einer Re-Integration von disziplinären Forschungsansätzen und ihre Konsequenzen / Panel Discussion on the Need for a Re-Integration of Disciplinary Approaches and Its Consequences

    Gesprächsleitung / Chair:
    Wilhelm Krull, Hannover

    Rudolf Stichweh, Bielefeld: Epistemologische Konsequenzen / Epistemological Consequences
    Yehuda Elkana, Budapest: Curriculare Anforderungen / Curricular Requirements
    Jürgen Mlynek, Berlin: Anforderungen im Bereich von Organisation und Führung / Organizational and Managerial Requirements
    Giovanni Galizia, Berlin: Die Perspektive eines Nachwuchswissenschaftlers / A Young Researcher's Perspective
    Ernst-Ludwig Winnacker, Bonn: Die Perspektive eines Förderers / A Funder' Perspective


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    Criteria of this press release:
    interdisciplinary
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Scientific conferences
    German


     

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