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10/09/2002 10:27

270.000 Mal gespeichertes Grauen

Dr. Christian Jung Stabsreferat Kommunikation
VolkswagenStiftung

    VolkswagenStiftung finanziert Erschließung des Archivs von Gedenkstätte und Museum des Konzentrations- und Speziallagers Sachsenhausen

    270.000 Dateneinträge mit personenbezogenen Angaben über Inhaftierte ermöglichen jetzt die Beantwortung weiter gehender Fragen - auch hinsichtlich der Entschädigungen für osteuropäische Häftlinge. Darüber hinaus Intensiverschließung von Straf- und Ermittlungsverfahren

    Die Geschichte des Inhaftierungslagers Sachsenhausen ist eine zweifache. Aufgebaut nach Vorgaben des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei, Heinrich Himmler, nahm das von 1936 bis 1945 bestehende Konzentrationslager Sachsenhausen eine herausgehobene Position im "nationalsozialistischen Lagersystem" ein - als Modell-, Schulungs- und Propagandalager der SS sowie als Verwaltungszentrale aller KZ. Es wird geschätzt, dass über 100.000 Menschen hier ermordet wurden. Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus hatte der Ort von 1945 bis 1950 als multifunktionale Inhaftierungsstätte dann eine ähnlich exponierte Bedeutung wie im Dritten Reich: diesmal als Speziallager Nummer 7 der sowjetischen Besatzungsmacht. Zwar wurde in jener Zeit nach derzeitigem Wissen kein planmäßiger Mord mehr verübt, doch starben vermutlich mindestens 12.000 Häftlinge an Hunger und Krankheiten, Kälte und Misshandlungen. Die Geschichte beider Lager und ihrer Inhaftierten ist erst in Ansätzen erforscht.

    Mit dem von der VolkswagenStiftung geförderten Projekt der "elektronischen Erschließung archivalischer Quellen in Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen" hat sich diese Situation jetzt entscheidend gebessert. Es wurde eine Datenbank aufgebaut, die einen schnellen und zielgenauen Zugriff auf personen-, themen- und ortsspezifische Quellen im Gedenkstättenarchiv ermöglicht. Damit kann der Startschuss gegeben werden für umfangreiche historische Forschungen sowohl zum Konzentrationslager Sachsenhausen als auch zum sowjetischen Speziallager. Knapp 270.000 Euro standen den Forschern unter der Leitung von Dr. Hans Coppi von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Oranienburg, für ihre Arbeit in den vergangenen drei Jahren zur Verfügung.
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    Kontakt Projekt: Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Oranienburg, Dr. Winfried Meyer, Tel.: 03301/200403, E-Mail: w.meyer@gedenkstaette-sachsenhausen.de und Dr. Hans Coppi, Tel.: 03301/200414
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    Eine umfangreiche Sammlung bedrückender Erinnerungsberichte ehemaliger Häftlinge ist es vor allem, die interessierte Wissenschaftler, Studierende oder Publizisten vorfinden. Insgesamt über 270.000 Dateneinträge mit personenbezogenen Angaben liegen elektronisch aufbereitet vor. Abrufbar sind damit auch Aussagen zu Altersstruktur, Lagerstärke oder Aufenthaltszeiten im Lager; darüber hinaus ergeben sich nach Einschätzung der beteiligten Wissenschaftler automatisch eine Reihe von Forschungsfragen: etwa zum Thema Häftlingsgesellschaft oder zu unterschiedlichen Häftlingsgruppen - aber auch zum SS-Totenkopf-Wachbataillon, über deren Mitglieder allein über 20.000 Dateneinträge vorliegen.

    Begleitend fand eine Intensiverschließung von 6000 Einzeldokumenten statt, die 22 mit Bezug zum Konzentrationslager Sachsenhausen in Deutschland und Österreich geführten Straf- und Ermittlungsverfahren entstammen. Die Verfahren richten sich gegen ehemalige Angehörige des SS-Wachbataillons, des SS-Kommandaturstabes, des Reichssicherheitshauptamtes und des Reichskriminalpolizeiamtes. Sie enthalten Hunderte von Zeugenaussagen ehemaliger Häftlinge und sind mit ihren Urteilsbegründungen de facto zugleich die ersten Forschungsbeiträge dieser Art zur KZ-Geschichte. Deren Intensiverschließung ermöglicht besonders umfassend über Schlagwort- und Personenindizes den gezielten Zugriff auf relevante Quellen - und somit auch die rasche Bearbeitung der steigenden Zahl von Anfragen zu unterschiedlichen Aspekten der Geschichte des Konzentrationslagers.

    Und noch in anderer Richtung kommt dem Nutzer der Einsatz moderner Methoden der Datenerfassung und Datenaufbereitung zu Gute: So sind die Mitarbeiter des Archivs jetzt besser in der Lage, durch die Erfassung der überlieferten Meldungen aus der KZ-Kommandatur zu über 100.000 Häftlingen auch jenen ehemals Inhaftierten aus Osteuropa zu helfen, die auf dokumentarische Belege ihrer Haft angewiesen sind, um Entschädigungen beanspruchen zu können.

    Quasi als Nebeneffekt haben die durch das Projekt geschaffenen methodischen Standards zur elektronischen Erschließung archivalischer Quellen auch die Zusammenarbeit zwischen deutschen und österreichischen Gedenkstätten intensiviert und darüber hinaus die internationalen Kontakte vertieft zu Orten des Gedenkens in Israel, Polen und den USA. So wurde ein gemeinsames Projekt auf den Weg gebracht, das zum Ziel die Erschließung und Nutzung der rund 160.000 Karteikarten der zentralen Häftlingskartei des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes hat, mit denen sich der Arbeitseinsatz vieler KZ-Häftlinge nachvollziehen lässt.

    Hinweis:
    All dies und vieles mehr - insbesondere zum Einsatz moderner Informationstechnologie in Gedenkstätten und Museen zur Erfassung der Daten von Opfern und zur Erschließung der Archivbestände - lässt sich nachlesen in einer Publikation, die dieser Tage erscheint: Hans Coppi, Winfried Meyer, Iris Schwarz (Hg.): "Elektronische Erschließung archivalischer Quellen in Gedenkstätten". LIT-Verlag, 2002, 176 Seiten, 13,90 Euro. ISBN: 3-8258-6231-3.
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    Kontakt Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der VolkswagenStiftung: Dr. Christian Jung, Tel.: 0511/8381-380, E-Mail: jung@volkswagenstiftung.de
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    Kontakt Förderinitiative VolkswagenStiftung: Dr. Vera Szöllösi-Brenig, Tel.: 0511/8381-218, E-Mail: szoelloesi@volkswagenstiftung.de


    More information:

    http://www.volkswagenstiftung.de/presse-news/presse02/09102002.htm


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    Criteria of this press release:
    History / archaeology, Language / literature, Law, Media and communication sciences, Politics, Social studies
    transregional, national
    Research projects, Research results
    German


     

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