Universität Gießen stellt das Verfahren ein – Weder Täuschungsabsicht noch wissenschaftliches Fehlverhalten festgestellt
Die zuständigen Gremien der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) haben nach eingehender Prüfung die gegen die Dissertation von Dr. Frank-Walter Steinmeier erhobenen Plagiatsvorwürfe zurückgewiesen: Es liege weder eine Täuschungsabsicht noch ein wissenschaftliches Fehlverhalten vor. Knapp sechs Wochen nach dem Eingang eines so genannten „Prüfberichts“ von Prof. Dr. Uwe Kamenz, Prof.Net Institut für Internetmarketing, sind der Vorsitzende der Kommission zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und der Promotionsausschuss des Fachbereichs Rechtswissenschaft zu diesem Ergebnis gelangt. Der Kommissionsvorsitzende, Prof. Dr. Wolf-Dietrich Walker, stellte das Verfahren ein, weil sich im Sinne der Satzung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis „der Verdacht auf ein wissenschaftliches Fehlverhalten nicht hinreichend bestätigt hat“. Entsprechend sah auch der Promotionsausschuss unter Leitung seines Vorsitzenden, Prof. Dr. Martin Gutzeit, die Voraussetzungen für den Entzug des Doktorgrades als nicht erfüllt an. Die Gremien stellten zwar handwerkliche Schwächen in der 1992 veröffentlichten Dissertation mit dem Titel „Bürger ohne Obdach. Zwischen Pflicht zur Unterkunft und Recht auf Wohnraum“ im Hinblick auf die Zitationspraxis in einer Reihe von Textpassagen fest. Eine Täuschungsabsicht lasse sich aber in der Dissertation des Betroffenen nicht feststellen, heißt es im Beschluss des Promotionsausschusses. „Schon gar nicht lässt sich sagen, der Autor habe ‚in wesentlichem Umfange‘ getäuscht“, stellte Prof. Dr. Martin Gutzeit fest; laut Promotionsordnung für den Fachbereich Rechtswissenschaft muss aber genau dieser Tatbestand für den Entzug des Titels erfüllt sein.
Der Präsident der Justus-Liebig-Universität, Prof. Dr. Joybrato Mukherjee, dankte den an dem Prüfverfahren beteiligten Gremien und Universitätsmitgliedern, insbesondere auch den mit der Vorprüfung zunächst betrauten Ombudspersonen der JLU, Prof. Dr. Wolfram Gerlich und Prof. Dr. Gerhard Kurz, für ihre sorgfältige Arbeit: „Dieses Verfahren belegt, dass wir mit unserem bewährten und standardisierten Verfahren zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis Plagiatsvorwürfe gegen Dissertationen einer gleichermaßen gründlichen wie zügigen Klärung zuführen können.“ Die JLU hatte nicht nur den ursprünglichen „Prüfbericht“ von Prof. Kamenz, sondern auch eine kürzlich zugestellte aktualisierte Fassung desselben sowie Daten der Internet-Plattform „VroniPlag“ in ihre Überprüfung mit einbezogen. „Es bestand kein Anlass, vor einer Entscheidung weitere Ergänzungen der Plagiatsvorwürfe durch die Gruppe ‚VroniPlag‘ oder weitere Fassungen des ‚Prüfberichts‘ abzuwarten“, sagte Prof. Walker. „Die letzten Ergänzungen führten zwar zu einer Erhöhung der Seitenzahl mit schon bekannten Plagiatsvorwürfen, nicht aber zu strukturell neuen Vorwürfen.“
Der Kommissionsvorsitzende hob in seinem Bericht den hohen wissenschaftlichen Wert der seinerzeit mit summa cum laude bewerteten Arbeit von Dr. Steinmeier hervor, der von Computerprogrammen nicht bewertet werden könne. Der Betroffene habe mit seiner Arbeit eine eigenständige wissenschaftliche Weiterentwicklung einer rechtlichen Problematik geleistet. „Angesichts dieser inhaltlichen Originalität führen allein Formulierungsübereinstimmungen mit anderen Veröffentlichungen in einem bestimmten quantitativen Umfang, verschiedene Verstöße gegen Zitierregeln sowie einzelne Stellen ohne Quellenangabe, bei denen ein Versehen nicht ausgeschlossen werden kann, nicht zu einem wissenschaftlichen Fehlverhalten“, betonte Walker.
Die an dem Prüfverfahren beteiligten Gremien und Universitätsmitglieder bündelten (auch im Lichte der eingeholten Stellungnahmen des Betroffenen und des damaligen Zweitgutachters Prof. Dr. Brun-Otto Bryde) die Vorwürfe im Wesentlichen in zwei Fallgruppen. In der ersten Fallgruppe ging es um Passagen, die schon zuvor vom Autor publiziert worden waren und nicht noch einmal an jeder Stelle explizit ausgewiesen wurden. Hierbei handele es sich nicht um eine Täuschung. Der Autor maße sich keine Urheberschaft für fremde Texte an, sondern er gebe schlicht ältere eigene Gedanken und Texte (wörtlich) wieder, urteilte der Promotionsausschuss. Soweit bei früheren Quellen ein Co-Autor betroffen war, konnte der Ausschuss ebenfalls keine Täuschungsabsicht feststellen, da der Co-Autor an mehreren Stellen in der Dissertation ausdrücklich erwähnt wird (und ihm im Vorwort auch ausdrücklich gedankt wird).
Die zweite Gruppe von Vorwürfen betrifft Stellen, bei denen fremde Texte übernommen wurden. Zwar würden die zitierten Quellen in den Fußnoten praktisch durchgängig offen gelegt, allerdings sei die Setzung der Fußnoten bisweilen – zumindest nach heutigen Usancen – fehlerhaft. Zu einem wissenschaftlichen Fehlverhalten werde ein solcher handwerklicher Fehler allerdings nur dann, wenn durch eine verschleiernde oder mehrdeutige Zitierweise die Urheberschaft für fremde Ideen, Argumentationen oder Erkenntnisse vorgetäuscht werden soll. Dies sei bei dem Betroffenen nicht der Fall, hieß es im Bericht des Kommissionsvorsitzenden.
Die Entscheidung des Promotionsausschusses, Dr. Steinmeier den Doktorgrad nicht zu entziehen, fiel einstimmig ohne Enthaltungen. Gegen die Entscheidung des Vorsitzenden der Kommission zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, das Verfahren aufgrund eines fehlenden wissenschaftlichen Fehlverhaltens einzustellen, kann der Präsident als Informierender innerhalb von vier Wochen Beschwerde einlegen.
Rechtliche Hintergründe:
Die Verfahren zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und für den Entzug akademischer Grade sind weder bundes- noch ländereinheitlich gesetzlich geregelt.
Das Promotionsrecht wie auch das Recht zum Entzug des Doktorgrades obliegt den Universitäten und wird innerhalb derer von den Fachbereichen wahrgenommen. Im vorliegenden Fall des Plagiatsverdachts gegenüber Dr. Steinmeier war daher der Fachbereich Rechtswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen berufen, über die Frage eines möglichen Entzugs des Doktorgrades zu entscheiden. Rechtsgrundlage hierfür ist die vom Fachbereich erlassene Promotionsordnung, nach der der Promotionsausschuss als Gremium zuständig war.
Die Ahndung wissenschaftlichen Fehlverhaltens erfolgt an der Justus-Liebig-Universität Gießen aufgrund der Satzung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, die sich an den diesbezüglichen Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) orientiert. Mitglieder und Angehörige der JLU können danach entweder die Ombudsperson oder die Kommission zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und deren Vorsitzenden anrufen. Nachdem die Vorwürfe gegen Dr. Steinmeier öffentlich erhoben und an die JLU herangetragen worden waren, informierte der Präsident die Ombudsperson und den Promotionsausschuss. Zudem trat der Betroffene selbst an die JLU mit der Bitte um Aufklärung heran.
Grundsätzlich leitet die JLU in solchen Fällen ein Verfahren zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis ein, das einem standardisierten Schema folgt: Die Ombudsperson führt eine Vorprüfung der Vorwürfe durch und übergibt das Verfahren mit einem Vorprüfbericht dem Vorsitzenden zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis. Dieser stellt entweder das Verfahren ein oder leitet die Vorprüfung in ein förmliches Prüfverfahren unter Einbeziehung der gesamten Kommission zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis über. In allen Fällen, in denen sich Vorwürfe gegen ein Promotionsverfahren richten, wird das gesamte Verfahren zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis von vornherein mit dem zuständigen Promotionsausschuss abgestimmt.
http://fss.plone.uni-giessen.de/fss/mug/7/pdf/7_40/7_40_01_1vorl.pdf/file/7_40_0... (Promotionsordnung des Fachbereichs Rechtswissenschaft)
http://fss.plone.uni-giessen.de/fss/mug/5/pdf/forschung/5_00_10_1.pdf/file/5_00_... (Satzung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis)
Criteria of this press release:
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