Historiker der Universität Jena erhält den Förderpreis „Opus Primum“ der VolkswagenStiftung
Ratten verlassen ein brennendes Haus. Pfeifend rennen sie in panischer Eile davon. Dieses Bild hatten Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes CIC wohl vor Augen, als sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs den Begriff „rat lines“ prägten. Die „Ratten“ waren SS-Männer, kroatische Ustascha-Kämpfer und andere Kriegsverbrecher, die das in Schutt und Asche liegende Europa verließen. Ihre „Rattenlinien“ führten – mit tatkräftiger Unterstützung der katholischen Kirche – vornehmlich nach Südamerika.
„Zu den beliebtesten Zielen in Südamerika gehörte Argentinien unter Juan Peron“, sagt Dr. Daniel Stahl von der Universität Jena. Der Historiker hat in seiner Dissertation untersucht, welche Bemühungen es in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg gab, die nach Südamerika Geflüchteten vor Gericht zu bringen, und welche Hindernisse dafür zu überwinden waren. Als Ergebnis liegt nun das Buch „Nazi-Jagd. Südamerikas Diktaturen und die Ahndung von NS-Verbrechen“ vor, in dem er argumentiert, dass die Nazi-Jagd nicht allein Teil der strafrechtlichen Aufarbeitung der NS-Verbrechen war, sondern auch der Auseinandersetzung mit den Diktaturen Südamerikas.
Für sein Buch erhält Stahl am Donnerstag, dem 7. November, den Förderpreis „Opus Primum“ der VolkswagenStiftung. Die Auszeichnung ist mit 10.000 Euro dotiert. Daniel Stahl hat sich über den Preis gefreut, räumt aber ein, sehr überrascht gewesen zu sein: „Es waren bemerkenswerte Bücher im Wettbewerb. Ich habe nicht damit gerechnet, den ersten Platz zugesprochen zu bekommen!“
Argentinien hatte – obwohl offiziell neutral – mit den Achsenmächten sympathisiert und sich erst unter außenpolitischen Druck zum Kriegsende den Alliierten zugewandt. Der 1947 an die Macht gekommene Präsident Juan Peron habe sowohl den Kommunismus als auch den Kapitalismus US-amerikanischer Prägung abgelehnt. In den Justizflüchtigen sah er deshalb Gleichgesinnte, die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse stufte er als Akte von Siegerjustiz ein. So fanden prominente Kriegsverbrecher wie der Auschwitz-Arzt Josef Mengele und der Holocaust-Organisator Adolf Eichmann Unterschlupf im Land.
„Lange Zeit konnten die Täter unbehelligt in Südamerika leben und sich eine zivile Existenz aufbauen“, sagt Daniel Stahl, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Norbert Frei tätig ist. Manche von ihnen – wie Klaus Barbie, der „Schlächter von Lyon“ – wurden auch als Berater von Militär und Polizei tätig. Stahl schildert an zahlreichen Beispielen, wie zäh die Suche nach den Kriegsverbrechern verlief und welche diplomatischen Verrenkungen die wenigen Auslieferungsgesuche auslösten. Mit Blick auf die staatlichen Ahndungsbemühungen könne man deshalb kaum von einer Nazi-Jagd sprechen.
Daniel Stahl, der in Paraguay aufgewachsen ist und in Asunción und Jena Geschichte studierte, hielt sich während der Recherchen für sein Buch ein halbes Jahr in Südamerika auf. Er hatte freien Zugang zu den vorhandenen Akten, sagt jedoch, dass viele Archive schlecht erschlossen sind. „In einigen Archiven erhielt ich die Erlaubnis, selbst in den Beständen nach Akten zu suchen“, sagt Stahl.
Zu den interessantesten Erkenntnissen seiner Spurensuche gehört eine Neubewertung des Falles Adolf Eichmann. Stahl kommt zu dem Schluss, dass es bei der Entführung des einstigen Organisators der „Endlösung“ durch Agenten des Mossad nicht nur um die strafrechtliche Aufarbeitung des Judenmords ging: „Der Geheimdienst und Ben Gurion gingen davon aus, dass Eichmann eine wichtige Funktion in einer nationalsozialistischen Untergrundorganisation zukam, die für eine Welle antisemitischer Anschläge Ende der fünfziger Jahre verantwortlich sein sollte.“
Bibliographische Angaben:
Daniel Stahl: „Nazi-Jagd. Südamerikas Diktaturen und die Ahndung von NS-Verbrechen“, Wallstein Verlag, Göttingen 2013, 430 Seiten, 34,90 Euro, ISBN: 978-3-8353-1112-1
Kontakt:
Dr. Daniel Stahl
Historisches Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Zwätzengasse 3, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 944449
E-Mail: daniel.stahl[at]uni-jena.de
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Foto: Jan-Peter Kasper/FSU
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History / archaeology, Law
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