Berlin – Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA empfiehlt, den noch nicht zugelassenen Wirkstoff „Sofosbuvir“ für Patienten vor und nach Lebertransplantationen in einem so genannten „Compassionate Use“-Programm zu ermöglichen. Das Programm – wörtlich übersetzt bedeutet es „Anwendung aus Mitgefühl“ – soll schwerstkranken Patienten, für die keine anderen Therapieoptionen zur Verfügung stehen, ein wirksames Heilmittel frühzeitig zugänglich machen. Die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) begrüßt die Entscheidung und setzt sich für eine kontrollierte Umsetzung des Programms in Deutschland ein.
Hepatitis C-Infektionen gehören zu den häufigsten Gründen für Lebertransplantationen. „Besteht zum Zeitpunkt einer Lebertransplantation eine Infektion mit einem Hepatitis C-Virus ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch die neu transplantierte Leber infiziert wird, sehr hoch“, erklärt Professor Dr. med. Peter Galle, Direktor der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik an der Universitätsmedizin Mainz und Vorstandsmitglied der DGVS. Gerade für diese Patientengruppe fehlten jedoch häufig wirksame und verträgliche Medikamente, um die Infektion zu bekämpfen.
In ersten Studien, die wie üblich vom Hersteller finanziert wurden, hatte sich der neue Wirkstoff Sofosbuvir – verabreicht in Kombination mit dem herkömmlichen Medikament Ribavirin – als äußerst wirksam erwiesen. So zeigten etwa die Ergebnisse der „FUSION“- Studie, dass Patienten, die sich mit den Hepatitis C-Viren der Genotypen 2 und 3 infiziert hatten, zu 94 Prozent (Genotyp 2) und 62 Prozent (Genotyp 3) geheilt werden konnten, wenn sie über 16 Wochen hinweg die Kombinationstherapie erhielten. Die Patienten galten zuvor als austherapiert. „Das Medikament greift direkt in den viralen Vermehrungszyklus ein und stoppt die Bildung neuer Viren in der Leber“, erklärt Galle. Andere Studienergebnisse weisen zudem darauf hin, dass das Medikament auch Neu-Infektionen transplantierter Lebern verhindern kann.
Bis zur endgültigen Zulassung gilt Sofosbuvir als Prüfpräparat, dessen Sicherheit und Wirksamkeit nicht endgültig bewiesen ist. Experte Peter Galle geht jedoch davon aus, dass die Zulassung in Kürze bevorsteht. Die Entscheidung in den USA durch die Food and Drug Administration (FDA) werde bereits im Dezember 2013 erwartet.
Hält der Wirkstoff was er verspricht, verbessert dies die Prognosen für Hepatitis C-Patienten erheblich, so Galle. Erst vor zwei Jahren sorgte die Zulassung der beiden Wirkstoffe „Telaprevir“ und „Boceprevir“ dafür, dass die Heilungschancen vieler Hepatitis C-Patienten deutlich stiegen. „Allerdings sind diese Wirkstoffe auf Infektionen mit dem Hepatitis-Virus der Genotyp 1-Variante beschränkt“, so Galle. Sofosbuvir hingegen komme auch bei Infektionen mit den anderen Hepatitis C-Genotypen 2 bis 6 in Betracht.
Schätzungsweise eine halbe Million Menschen sind in Deutschland mit Hepatitis C-Viren infiziert – viele ohne es zu wissen. Denn die Infektion verursacht oft über Jahrzehnte keine Beschwerden, bis am Ende die Leber schwer geschädigt ist. Jeder Dritte der jahrelang Infizierten entwickelt eine Leberzirrhose, die mit einem deutlich erhöhten Risiko für Leberkrebs einhergeht. Um möglichst frühzeitig Leberschäden vermeiden zu können, fordert die DGVS, dass Leberwerte in Screening-Untersuchungen – wie den Check up 35 – mit aufgenommen werden.
Die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) wurde 1913 als wissenschaftliche Fachgesellschaft zur Erforschung der Verdauungsorgane gegründet. Heute vereint sie mehr als 5000 Ärzte und Wissenschaftler aus der Gastroenterologie unter einem Dach. Die DGVS fördert sehr erfolgreich wissenschaftliche Projekte und Studien, veranstaltet Kongresse und Fortbildungen und unterstützt aktiv den wissenschaftlichen Nachwuchs. Ein besonderes Anliegen ist der DGVS die Entwicklung von Standards und Behandlungsleitlinien für die Diagnostik und Therapie von Erkrankungen der Verdauungsorgane – zum Wohle des Patienten.
Literatur:
Sofosbuvir for hepatitis C genotype 2 or 3 in patients without treatment options. Jacobson et al.; N Engl J Med. 2013 May 16;368(20):1867–77.
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