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01/28/2003 09:35

Studie untersucht Mängel in der ambulanten Pflege

Ole Lünnemann Referat Hochschulkommunikation
Universität Dortmund

    Bislang gab es in Deutschland keine systematisierten Informationen darüber, welche Mängel bei der professionellen ambulanten Betreuung vor allem älterer pflegebedürftiger Menschen auftreten. Die Forschungsgesellschaft für Gerontologie (FfG) in Dortmund hat deshalb im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Jahr 2001 eine Untersuchung zur Qualität in der ambulanten Pflege durchgeführt. Der nun in der Schriftenreihe des BMFSFJ als Band 226 veröffentlichte Bericht liefert erstmals grundlegende und differenzierte empirische Informationen zum Stand der Pflegequalität.

    Die Informationen über Mängel in der professionellen ambulanten Pflege stützen sich vor allem auf Befragungen von 21 Experten der sozialen Praxis in vier Großstädten, wie z.B. VertreterInnen der Pflegekassen, der Medizinischen Dienste der Krankenkassen, von Beratungsstellen für Angehörige und von Selbsthilfegruppen sowie von 533 Beschäftigten in 107 ambulanten Pflegediensten in Ost- und Westdeutschland; darüber hinaus wurde die nationale und internationale Literatur zu diesem Thema ausgewertet. Die Studie widmet sich auch den Ursachen für die Mängel. Innerhalb der Auswertungen wird insbesondere zwischen der Größe der Einrichtungen, der Qualifikation des Personals, der Trägerschaft und nach Region (Ost/West) unterschieden. Darüber hinaus werden die derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen zur Qualitätssicherung dargestellt, verbunden mit einem Überblick über die Regelungen in anderen Ländern sowie Anregungen zur Weiterentwicklung solcher Rahmenbedingungen.

    Sowohl die Befragung von Beschäftigten ambulanter Pflegedienste als auch von Experten des sozialen Feldes förderten zahlreiche Qualitätsmängel zutage. Zusammengefasst entsprechen die Einschätzungen zur Pflegequalität aus der Expertenbefragung auch Befunden des MDK, wonach die Pflegedokumentation und die Pflegeplanung die wesentlichen Problembereiche der Pflegequalität ambulanter Pflegedienste darstellen. Davon weichen die Bewertungen der befragten Pflegekräfte etwas ab, die vor allem die Koordination mit der Laienpflege, danach die Organisation und erst darauf folgend die Pflegeplanung und -dokumentation relativ schlecht bewerten und insgesamt eher positive Einschätzungen der Performance der eigenen Dienste liefern. Als Qualitätsmängel, deren generelles Vorkommnis 43% der Pflegekräfte bejahen, werden vor allem Aspekte der Koordination und Kommunikation, die Unpünktlichkeit, Zeitmangel, die Touren- und Einsatzplanung und erst dann die Pflegeplanung und -ausführung genannt. Die Relevanz der Bewertung der Pflegedokumentation und Pflegeplanung ergibt sich aber auch im Urteil der Beschäftigten daraus, dass die Bewertung dieser Items das größte Gewicht für die Bestätigung von Mängeln beim eigenen Pflegedienst insgesamt aufweisen. Die Bewertungen der Beschäftigten ihrer Dienste hinsichtlich der Einsatzplanung, Pflegeplanung und -dokumentation korrelieren zudem am stärksten mit der Bejahung der Existenz von Beschwerden der Kunden über ihren Pflegedienst. Das Vorkommnis von Beschwerden von Pflegebedürftigen oder Angehörigen über ihren Pflegedienst bestätigen 57% der Pflegekräfte. Die Häufigkeit von Mängeln bei der Dokumentation und Planung des Pflegeprozesses sowie der methodischen Qualitätssicherung unterstreichen aber auch die in der Studie referierten Forschungen aus anderen Ländern: Die professionelle Kompetenz, die sich etwa in der Erkennung von und im Umgang mit Gesundheitsproblemen bewährt, scheint ungeachtet formeller Berufsabschlüsse nicht nur in Deutschland nicht unbedingt gewährleistet. So bejahen z.B. nur 40% der Pflegekräfte uneingeschränkt die umfassende Erfassung der Pflegebedarfe, nur 25% fühlen sich voll über Rehabilitations- und Aktivierungsmöglichkeiten der Pflegebedürftigen informiert, ein ähnlicher Prozentsatz bejaht uneingeschränkt das Vorliegen ärztlicher Unterlagen und nur 8% bejahen uneingeschränkt ein methodisches "Assessment" (Begriff wurde im Fragebogen erläutert); bei diesem zuletzt genannten Item antworteten dennoch 44% der Pflegekräfte mit "weiß nicht".

    Ein besonders drängender Problembereich liegt in den - offenbar sehr unterschiedlich gut bewältigten - hohen Anforderungen an die Organisation, Planung und Koordination der Pflege, bei häufig als restriktiv empfundenen Rahmenbedingungen (Personalmangel, Zeitmangel). So wird als häufigster Grund für Beschwerden von Pflegebedürftigen und Angehörigen die Unpünktlichkeit, zusammen mit der Zeit- und Einsatzplanung genannt, dahinter folgt die Angabe 'wechselnde Pflegekräfte' und der Zeitmangel; erst danach werden Leistungsmängel, die Antipathie gegen Pflegekräfte und das Preis-/Leistungsverhältnis genannt. Dieser Befund wird dadurch unterstrichen, dass im Durchschnitt pro Monat vier Pflegekräfte pro Pflegebedürftigen im Einsatz sind, dies können jedoch auch bis zu 15 Kräfte sein. Als Ursachen der Pflegemängel nennen die Beschäftigten erneut vorwiegend den Personal- und Zeitmangel, aber auch die mangelnde Koordination und Kommunikation sowie Organisation, Führungs- und Kompetenzmängel der Pflegedienstleitungen, zusammen mit dem Kosten- und Wirtschaftlichkeitsdruck; danach folgen die Motivation und Konzentration sowie die Qualifikation der Mitarbeiterinnen.

    Unter der Vielzahl der in der Studie vorgelegten differenzierten Ergebnisse sei hervorgehoben, dass die Einschätzungen der Pflegekräfte in den einzelnen Bereichen (z.B. Beratung von Pflegebedürftigen und Angehörigen, Pflegeplanung, -dokumentation, Ergebnisqualität usw.) auch mit diversen 'härteren' Daten einhergehen. So dauert die Erstberatung im Durchschnitt nur 56 Minuten, 13% der Pflegekräfte nennen eine Dauer von unter 30 Minuten. Ähnliches liefert z.B. die Abfrage der Frequenz von Überprüfungen der Pflegedokumentation, die nur laut 12% der Beschäftigten zumindest im Abstand von zwei bis drei Wochen stattfindet, während 16% einen Zeitraum von einem halben bis zu einem Jahr angeben, der zwischen den Kontrollen der Dokumentation liegt. Auch werden die für die komplexe und flexible Organisation eines Pflegedienstes wohl dringend erforderlichen laufenden Dienstbesprechungen zwar von 93% der Beschäftigten bejaht und diese finden in der Regel auch einmal wöchentlich statt; 20% der Pflegekräfte geben jedoch einen lediglich zweiwöchigen und 27% einen monatlichen Rhythmus an, bei 3% werden nur einmal jährlich Besprechungen abgehalten.

    Im übrigen sei darauf hingewiesen, dass westdeutsche, gemeinnützige und größere Pflegedienste in der Bewertung ihrer Pflegekräfte überwiegend signifikant schlechter abschneiden als kleinere, gewerbliche und ostdeutsche Dienste. Auch hier korrelieren die Einschätzungen und Bewertungen meist mit den abgefragten 'härteren' quantitativen Daten (Dauer der Erstberatung, Frequenz der Kontrolle der Pflegedokumentation, Anzahl von Pflegekräften pro Pflegebedürftigen usw.). Obwohl diese Befunde mit weiteren Untersuchungen, vor allem durch eine direkte Messung der Ergebnisqualität (z.B. mit Instrumenten wie RAI) erhärtet werden müssten, kann bereits heute gesagt werden, dass auch in internationalen Forschungen vor allem größere Pflegeeinrichtungen überwiegend mit einer eher schlechteren Pflegequalität assoziiert werden. Weitgehend keine erklärende Kraft für die Varianz der Pflegequalität hatten dagegen Variablen wie der Fachkräfteanteil oder die unterschiedliche Qualifikation von Pflegekräften.

    Die Ergebnisse der erstmals vorliegenden nationalen empirischen Befunde zur Qualität in der ambulanten Pflege, aber auch die zahlreichen weiter fortgeschrittenen internationalen Forschungen legen einen engen Zusammenhang zwischen der Intensität der wohlfahrtsstaatlichen Aktivität und Regulierung, externer Kontrolle und der Quantität wie Qualität der Versorgung mit professioneller Pflege nahe. Nach internationalen Forschungen verbesserte sich die Qualität der Pflege insbesondere mit der Anzahl externer Kontakte und bei staatlicher Kontrolle. Die Selbststeuerung via Professionalität im Sinne formaler Qualifikation zeitigt offenkundig nicht automatisch auch eine hohe Pflegequalität. Vorreiter auch hinsichtlich der Ausgestaltung der institutionellen Rahmenbedingungen der Qualitätssicherung in der ambulanten Pflege sind die nördlichen europäischen Staaten und die Niederlande, aber auch die OECD-Staaten Kanada, Australien und nicht zuletzt die USA.

    Wegweisende Maßnahmen der Qualitätssicherung umfassen sowohl die Stärkung von Marktkräften und Wettbewerb als auch die Regulierung der Zulassung und Zertifizierung, die staatliche Aufsicht und ständige Qualitätskontrolle (auch mittels differenzierter Qualitäts- und Leistungsvereinbarungen), die Anforderung von Eigenberichten, die Verpflichtung zum Qualitätsmanagement und zur Qualitätsentwicklung (z.B. in den Niederlanden) und nicht zuletzt die laufende flächendeckende Erfassung und Messung samt Veröffentlichung aller qualitätsrelevanter Daten und Berichte (v.a. in den USA) zur unverzichtbaren Verbesserung der Markttransparenz. Ebenso gibt es flankierende koordinierende und beratende Maßnahmen im Rahmen von 'managed care' (v.a. Niederlande, USA, GB) sowie die Stärkung der Mitsprache und Selbstbestimmung von Betroffenen (z.B. Niederlande) bis hin zum präventiven Aufsuchen älterer Menschen in deren Wohnung (Dänemark). Zusammenhänge zwischen der staatlichen Regulierung und der Qualität sozialer Dienstleistungen sind allerdings bisher kaum international vergleichend untersucht. Wird der Vorreiter USA ausgenommen, so liegen überhaupt nur wenige wissenschaftliche Informationen zum Stand der Pflegequalität in den einzelnen Ländern vor, internationale Forschungen stehen dazu erst ganz am Anfang.

    Günter Roth: Qualitätsmängel und Regelungsdefizite der Qualitätssicherung in der ambulanten Pflege - Nationale und internationale Forschungsergebnisse (Studie der Forschungsgesellschaft für Gerontologie e.V., Institut für Gerontologie an der Universität Dortmund), Band 226 der Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), Kohlhammer Verlag: Stuttgart, 2001, ISBN 3-17-018004-5)

    Info:
    Dr. Günter Roth
    e-Mail: roth@pop.uni-dortmund.de


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    Criteria of this press release:
    Social studies
    transregional, national
    Research results
    German


     

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