Berlin – Jungen mit Hodenhochstand sollten schon bis zum Ende des ersten Lebensjahres behandelt werden. Zu dieser Empfehlung kommt die neue Leitlinie Hodenhochstand, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) entstanden ist. Die Fachgesellschaft spricht sich hierin ausdrücklich gegen die bisher häufig angewandte Praxis aus, mit der Behandlung länger abzuwarten. Dies könne eine verminderte Fruchtbarkeit bis hin zu Sterilität zur Folge haben, warnen die Experten. Zudem sinke durch eine frühzeitige Therapie das Risiko, später an Hodenkrebs zu erkranken.
Beim Hodenhochstand befindet sich der Hoden bei der Geburt nicht im Hodensack, sondern noch im Bauch oder den Leisten. Er ist die häufigste Anomalie des männlichen Urogenitaltrakts: Bis zu drei Prozent der „reif“ geborenen Jungen kommen mit dieser Abweichung zur Welt, bei männlichen Frühgeborenen sind es sogar bis zu 30 Prozent.
Da der Hodenhochstand keine Beschwerden verursacht und die Keimdrüse bei etwa sieben Prozent der betroffenen Babys in den ersten sechs Lebensmonaten von allein an den richtigen Platz wandert, sind sich Ärzte darüber einig, dass diese Zeit erst einmal abzuwarten ist. „Aber anders als früher, wo man eine Operation oft erst nach Jahren durchgeführt hat, ist man heute der Auffassung, dass der Hoden bis zum ersten Geburtstag in den Hodensack verlagert werden sollte“, sagt Privatdozentin Dr. Barbara Ludwikowski, Chefärztin der Klinik für Kinderchirurgie auf der Bult, Hannover. Denn Untersuchungen zeigen, dass sich die Zahl der Samenvorläuferzellen beim Hodenhochstand ab dem Ende des ersten Lebensjahrs laufend verringert. Da diese spermienbildenden Zellen unwiederbringlich verloren gehen, ist die Fruchtbarkeit danach immer schwerer zu erhalten. Zudem wächst der Hoden besser, wenn er frühzeitig in der richtigen Position ist: „Ein unperfektes oder unvollständiges Genital kann große Scham und seelische Beeinträchtigungen auslösen“, so die Kinderchirurgin, die die Erstellung der Leitlinie in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Urologie und der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin koordiniert hat.
Und noch ein weiterer Grund spricht aus Sicht der Wissenschaftlerin für eine frühe Behandlung: Männer, die im Kindesalter an einem Hodenhochstand oder „Maldeszenus testis“ gelitten haben, sind einem bis um das 10-fache erhöhten Risiko ausgesetzt, später an Hodenkrebs zu erkranken. „Diese Gefahr ist durch die Operation zwar nicht gebannt“, erläutert die Kinderchirurgin. „Sie ist jedoch umso niedriger, je früher der Hoden im Hodensack zu liegen kommt.“ Hodenkrebs ist mit rund 4000 Neuerkrankungen pro Jahr hierzulande die häufigste Krebsart bei Männern zwischen 20 und 45 Jahren.
Der Hochstand wird in der Regel „offen“ operiert. Bei Verdacht auf den sogenannten Bauchhoden kommt jedoch immer die Schlüssellochtechnik zum Einsatz. Die Erfolgsraten der Operationen liegen bei 74 bis 96 Prozent. Vor der OP-Planung besteht zudem die Möglichkeit, die Kinder durch eine Hormontherapie zu behandeln. „Die Gabe von Hormonen ist jedoch umstritten, da die langfristigen Folgen einer Einwirkung auf den kindlichen Hormonhaushalt noch nicht abschließend geklärt sind“, gibt Dr. Ludwikowski zu bedenken. Zudem sei die Erfolgsquote mit rund 20 Prozent niedrig, die Rückfallquote aber hoch. „In vielen skandinavischen Ländern wird die Hormontherapie ausdrücklich nicht empfohlen“, ergänzt Chefarzt Dr. Tobias Schuster, Pressesprecher der DGKCH.
„Unser Ziel ist, die Behandlung bis zur Vollendung des 12. Lebensmonats abzuschließen, dann erhalten wir die besten Ergebnisse“, fasst DGKCH-Präsident Professor Bernd Tillig zusammen. „Voraussetzung ist jedoch, dass Eltern ihre kleinen Jungen bei Verdacht auf Hodenhochstand frühzeitig einem Kinderchirurgen zur Abklärung vorstellen. Dann können wir auch das optimale Zeitfenster zur Therapie nutzen.“ Hier müsse noch Aufklärungsarbeit geleistet werden.
Weitere Informationen:
S2k-Leitlinie: Hodenhochstand – Maldescensus testis aktueller Stand: Juli 2013
Abrufbar unter: http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/006-022l_SS2k_Hodenhochstand_Maldesc...
Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie
Gegründet im Jahr 1963 schafft die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) bis heute Grundlagen für eine bestmögliche kinderchirurgische Versorgung in Deutschland. Dazu gehören Neugeborenenchirurgie, allgemeine Kinderchirurgie und Kindertraumatologie ebenso wie Kinderurologie. Die DGKCH vertritt das Fach in allen wissenschaftlichen, fachlichen und beruflichen Belangen. Derzeit praktizieren hierzulande Fachärzte für Kinderchirurgie in mehr als 80 kinderchirurgischen Kliniken und Abteilungen sowie als Niedergelassene. Kinderchirurgie gehört in die Hände von Kinderchirurgen. Denn ihre Patienten sind keine kleinen Erwachsenen.
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Dr. Adelheid Liebendörfer, Anna Julia Voormann
Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH)
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