Neue mathematische Methoden machen Flugzeuge um 30 Prozent leichter. Boom in der Autoindustrie wird erwartet
Filigrane Brücken, sparsame Motoren und leistungsfähige Flugzeuge sind Meisterwerke der Ingenieurkunst. Bei ihrer Konstruktion spielt aber auch die Mathematik eine große Rolle. Bereits seit den 50er Jahren benutzen Ingenieure Computer für den Entwurf von Bauwerken oder Fahrzeugen. "Nun steht eine Wachablösung an", sagt Jochem Zowe, Professor für Angewandte Mathematik an der Universität Erlangen-Nürnberg, "wir machen große Schritte hin zum automatischen Entwurf von Gebäuden und zum mathematisch optimierten Design von Bauteilen". Das Ziel der Ingenieure: Mit möglichst wenig Gewicht und neuartigen Materialien - und damit weniger Kosten - Brücken, Häuser, Autos oder Flugzeuge zu bauen, die Belastungen wie bei Erdbeben oder Luftlöchern besser als bisher standhalten. Die Vision der Mathematiker: Ein Computer, der nach Maßgabe der Wünsche der Ingenieure die Form und Zusammensetzung der Bauteile sowie fertige Konstruktionspläne ausgibt. Erst wenn schon in der Konzeptphase Material und Design perfekt aufeinander abgestimmt werden, sind große Einsparungen möglich. Auf dem Internationalen Mathematiker-Kongreß stellt Jochem Zowe die neuesten Forschungsergebnisse in der "Materialoptimierung" vor. Titel seines Vortrags: "Was ist das beste Material?"
Bei Zahnrädern beispielsweise ist die Antwort einfach: Während der Kern elastisch bleiben soll, müssen die Zähne an der Oberfläche gehärtet sein, um sich nicht zu schnell abzunutzen. Eine Berliner Arbeitsgruppe am Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik entwickelt Rechenverfahren, mit denen sich die Härtung der Zahnräder durch Laserlicht am Bildschirm simulieren lassen. Ohne teure Experimente kann so die optimale Behandlung ermittelt werden.
Jochem Zowe forscht mit seinen Mitarbeitern an größeren Objekten, zum Beispiel Rippen und Holmen, Klappen, Flügeln sowie Quersparren für Flugzeuge. Diese Bauelemente aus Metall oder modernen Verbundwerkstoffen sollen verhindern, daß das Flugzeug bei Turbulenzen zu schaukeln oder zu
"flattern" beginnt. Zowes Rechenverfahren ermitteln nun, welche Form diese Bauteile haben müssen, damit sie bei gegebenen Materialeinsatz so steif wie möglich sind. "Der Computer gibt die äußere Form der Teile aus, aber auch die innere Zusammensetzung", erklärt Zowe. Die Ergebnisse widersprechen nicht selten der Intuition der Ingenieure. "Manchmal ist es sogar optimal, die Bauteile mit Löchern zu versehen. Das sieht zunächst nicht so stabil aus, ist aber unter gewissen Bedingungen günstiger, da zum Beispiel Kräfte, die sich hier sonst konzentrieren würden, umgeleitet werden."
"Auch die beste Intuition der Ingenieure versagt bei komplexeren Strukturen, die durch neue Verbundmaterialien möglich werden", sagt auch Herbert Hörnlein, Optimierungsexperte bei der DASA (Daimler Benz Ae-rospace AG) in München. Hörnlein arbeitet mit der Arbeitsgruppe von Zowe seit 1994 in einem vom Bundesforschungsministerium geförderten Verbundprojekt eng zusammen. Erste Flugzeuge des DASA-Konzerns fliegen bereits mit mathematisch designten Quersparren. "Es passiert Unglaubliches auf dem Gebiet der Mateialoptimierung", sagt Hörnlein. Da die Optimierung schon in der Konzeptphase beginnt, können bis zu 30 Prozent Gewicht eingespart werden, ohne daß bei Luftauftrieb oder Steifigkeit der Flugzeuge Abstriche gemacht werden müssen. Durch das geringe Gewicht sinkt auch der Spritverbrauch enorm. Einsparungen in Millionenhöhe sind denkbar. "In wenigen Jahren wird sich die Materialoptimierung auch bei Schiffen und in der Autoindustrie durchsetzen", schätzt Hörnlein. Ohne den Einsatz von Materialoptimierung sei das 3-Liter-Auto nicht möglich.
Doch die technische Innovation ist nur so gut wie ihre Grundlagenforschung. So ist weniger der wirtschaftliche Erfolg der Grund, daß Jochem Zowe eingeladen wurde, auf dem Weltkongreß der Mathematiker vorzutragen, sondern seine mathematische Forschung. Eigentlich ist die Materialoptimierung ein einfaches Problem, da bei ihr nur Formeln und Gesetzmäßigkeiten auftauchen, die bereits im vergangenen Jahrhundert gefunden wurden, um die physikalischen Eigenschaften von Stoffen sowie ihre Verformung unter Last zu beschreiben. Allein die Anzahl der Gleichungen macht die Aufgabe zu einem hochkomplexen Problem. So muß ein Bauteil zunächst in Tausende kleiner "Zellen" eingeteilt werden, damit der Computer das Werkstück berechnen kann. Zu jeder dieser Zellen ist nun ein optimaler "Elastizitätstensor" zu bestimmen, der die elastischen Eigenschaften des jeweiligen Flächenstücks beschreibt. Insgesamt erhält man Zehntausende von Gleichungen und bis zu Hunderttausende Nebenbedingungen, die verarbeitet werden müssen. Nun beginnt die Aufgabe der Mathematik, die Struktur des Problems zu vereinfachen, ohne daß das Endergebnis dadurch verfälscht wird. Denn nur wenn der Ingenieur am eigenen Computer die Rechnungen durchfüh-ren kann, sie nur wenige Minuten dauern und er auf die simulierten Ergebnisse auf dem Bildschirm vertrauen kann, ist der Computereinsatz sinnvoll. Zowes Verdienst ist es nun, in Zusammenarbeit mit Gruppen vom Israel Institute of Technology (Haifa) und der Technical University Denmark (Lyngby) solche Rechenverfahren entwickelt zu haben. Mathematisch kam es dabei darauf an, verschiedene Optimierungsansätze wie die Semi-definite Programmierung weiterzuentwickeln und mit Finite-Elemente-Methoden zu kombinieren.
Zowe wurde vor einigen Jahren bekannt, als seine Gruppe ein Computerprogramm vorstellte, daß ohne menschliche Hilfe Brücken aus Stabwerken entwerfen konnte. "Der Ingenieur gibt ein durch Stäbe verbundenes Punktegitter vor", erklärt Zowe. "Der Computer ermittelt dann als Subgitter die Gestalt der Brücke mit optimaler Steifigkeit. Der Ingenieur muß am Ende nur entscheiden, ob ihm das Design gefällt, oder ob der Computer noch einen anderen Vorschlag machen soll."
"Viele Ingenieure denken, der Einsatz von Mathematik gleiche dem Lesen aus dem Kaffeesatz", sagt Jochem Zowe. Auch Herbert Hörnlein spürt unter den Ingenieuren seiner Firma noch Vorbehalte. "Die Ingenieure müssen lernen, am Computer ein Gespür für die neuen Methoden zu gewinnen", fordert er. Manches findet selbst Zowe noch "höchst spekulativ", vor allem in der Materialoptimierung. So kann der Computer auch berechnen, wie die Dichte des Materials im Werkstück verteilt sein soll. Wie solche optimierten Bauteile allerdings gefertigt werden, weiß noch keiner. "Bei Verbundwerkstoffen aus Kohlefasern, die man gezielt einsetzen kann, können diese Ideen aber schon in naher Zukunft verwirklicht werden", vermutet Zowe.
Vasco Alexander Schmidt
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Criteria of this press release:
Economics / business administration, Information technology, Materials sciences, Mathematics, Mechanical engineering, Physics / astronomy
transregional, national
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