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02/11/2015 14:04

Tod nach Knochenmarkstransplantation: Schweizer und Freiburger Forscher enthüllen die Ursachen

Bernhard Knappe Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Wilhelm Sander-Stiftung

    Nach der Transplantation von Knochenmark tritt bei Blutkrebspatienten oft eine gefährliche Nebenwirkung auf: Die frischen Immunzellen des Spenders attackieren statt der Krebszellen gesunde Zellen in Haut, Leber oder Darm des Patienten. Auf das Konto dieses Angriffs geht ein Großteil aller Todesfälle nach der Stammzelltransplantation. Forscher um Professor Dr. Lars E. French am Universitäts-Spital Zürich und Professor Dr. Robert Zeiser am Albert-Ludwig Universität Freiburg haben nun die Ursachen entdeckt - sie liegen ausgerechnet in der routinemäßigen Vorbereitung der Patienten. Die Forschungsergebnisse zeigen auch neue Therapieoptionen, mit der viele Todesfälle verhindert werden könnten.

    Fast jeder zweite Patient überlebt eine Knochenmarkstransplantation bisher nicht. Grund ist eine unerwünschte Immunreaktion, von Fachleuten „Graft-versus-Host-Disease“ (GHVD) genannt. Dabei greifen die Spenderzellen nicht nur die Blutkrebszellen des Empfängers an, sondern auch dessen gesunde Zellen in verschiedenen Organen wie Haut, Leber oder Darm. Um die hohe Todesrate aufzuklären und Therapiemöglichkeiten zu entwickeln, konzentriert sich die Forschung schon seit längerer Zeit auf die Auslöser dieser gefährlichen Immunreaktion im Körper des Patienten: Was bringt die Spenderzellen zu solch aggressiven Attacken auf eigentlich gesunde Organe? Bisher war die sehr häufig auftretende GVHD eine äußerst komplexe Reaktion, die noch nicht vollständig aufgeklärt werden konnte.

    Die GVHD tritt bei Knochenmarksspenden auf, die bisher bei bösartigen Bluterkrankungen wie Leukämien und Lymphome das Mittel der Wahl ist. Im Knochenmark sind nicht nur frische Blutstammzellen enthalten, die das Blut des Empfängers ersetzen, sondern auch gesunde Immunzellen des Spenders. Sie sollen die Krebszellen im Körper des Patienten angreifen, doch zuvor muss der Organismus des Empfängers vorbereitet werden: Die Krebspatienten erhalten deshalb vor dem Eingriff Medikamente und Bestrahlungen. Diese zerstören seine eigenen Blutzellen und das Knochenmark, so dass Platz für die Spenderzellen entsteht.

    Mindestens 15 bis 30 % aller transplantieren Blutkrebspatienten sterben nach der Transplantation in Folge der GVHD, insgesamt ist der tödliche Angriff der Spenderzellen auf den Körper des Organismus sogar bei 50 Prozent aller Todesfälle die Ursache.

    Um den Ablauf und die Ursachen der GVHD besser aufzuklären, haben die Forscher rund um Prof. Lars E. French am Universitäts-Spital Zürich und Professor Dr. Robert Zeiser von der Albert-Ludwig Universität Freiburg an Mausmodellen den gesamten Ablauf der Vorbereitung sowie die Knochenmarkstransplantation selbst simuliert. Die beiden Gruppen haben schon seit längerem bestimmte Entzündungsbotenstoffe im Visier, darunter das sogenannte Interleukin-beta. Diese Stoffe bringen offensichtlich die Immunzellen des Spenders dazu, gesunde Zellen im Patienten anzugreifen. Doch wie entstehen im Körper eines Krebspatienten gleich an verschiedenen Orten Entzündungen?

    Das überraschende Ergebnis des dreijährigen Forschungsprojektes: Es ist ausgerechnet die Vorbereitung des Patienten auf die Transplantation, die den Boden für die fehlgeleitete Attacke der hochaktiven Spenderzellen bereitet. Denn um das kranke Blutsystem im Körper des Patienten zuerst zu zerstören, werden die Patienten mit Gamma-Strahlung behandelt. Wie sich in Versuchen mit Mäusen zeigte, beschädigt diese Strahlung unter anderem die Schleimhaut im Darm und die Darmwand. Diese wird dann durchlässiger für Bakterien, die ganz natürlich im Darm vorkommen und dort eigentlich harmlos sind. Doch wenn sie tiefer in das Gewebe gelangen, kann sich das ändern. Auch ihre Stoffwechselprodukte gelangen wegen der Strahlenschäden tief in die Darmschleimhaut – wo sie eigentlich nicht hingehören.

    Auf die eindringenden Bakterien und Schadstoffe antworten die tiefer gelegenen Darmzellen mit der Ausschüttung von Entzündungsbotenstoffen und massiven Schadenssignalen. Nach der Transplantation locken genau diese die frischen Immunzellen des Spenders an: „Wir verstehen jetzt erst, warum die Spenderzellen so gefährlich werden und nicht die Krebszellen angreifen, sondern Organe überall im Körper überfallen, die eigentlich vorher gesund waren. Darunter sind neben dem Darm auch die Haut und die Leber. Wir wussten einfach nicht, wie diese Kette in Gang kommt und warum die Immunreaktion so aggressiv ist, dass viele Patienten sterben“, sagt Lars E. French, Teamleiter des Forschungsprojekts und Direktor der Dermatologischen Klinik in Zürich.

    Die beiden Forschergruppen konnten den Botenstoff genau identifizieren, der die entzündlichen Reaktionen in den Zellen auslöst: Es handelt sich um das Interleukin-1-beta, ein Protein, das auch bei Grippe und fiebrigen Infekten im Blut vorhanden ist. Interleukin-1-beta wird normalerweise von spezialisierten Zellen des Immunsystems als Antwort auf Reize wie UV-Licht, verschiedene Chemikalien oder mikrobielle Krankheitserreger ausgeschüttet. In gesunden Zellen liegt Interleukin-1-beta in einer inaktiven Form vor. Damit er ausgeschüttet wird, muss der Botenstoff erst scharf geschaltet werden, dafür sorgt ein weiteres Protein in der Zelle, das sogenannte Inflammasom.

    Sowohl die Freisetzung von bakteriellen Produkten im Darm als auch zum Beispiel der Anstieg von Harnsäure durch die vorbereitende Bestrahlung und Medikamente wirken, so die Zürcher und Freiburger Forscher, als Schadenssignale, die die Inflammasom- und Interleukin-1-beta-Ausschüttung aktivieren.

    In ihren Versuchen gelang es den Forschern auch, beide Entzündungsstoffe zu hemmen und die GVHD zu verhindern: Mäuse mit einem keimfreien Darm, die frische Blutstammzellen erhielten und zur Vorbereitung bestrahlt wurden, bekamen zum Beispiel keine GHVD. „Das zeigt, dass eine Behandlung des Darms, die vor der Bestrahlung die Bakterien im Darm des Patienten abtötet, die tödliche Immunreaktion verhindern könnte“, sagt Lars E. French. Ebenso gelang es, mit einem Antikörper bei den transplantierten Mäusen die Entzündungsstoffe Inflammasom und Interleukin-1-beta zu stoppen.

    Diese Studie hat daher mit der Aufklärung des genauen Ablaufs der GHVD auch den Weg für neue Therapiemöglichkeiten bereitet, bestätigt Lars E. French: „Den Antikörper gegen die Entzündungsbotenstoffe gibt es sogar schon, wir hoffen auf weitere klinische Studien am Menschen. Das bedeutet, dass eine einfache Spritze mit dem Antikörper und eine Darmbehandlung die meisten Todesfälle nach der Knochenmarksspende verhindern könnte.“

    Die Wilhelm Sander-Stiftung hat dieses Forschungsprojekt mit rund 35.000 Euro unterstützt. Stiftungszweck ist die Förderung der medizinischen Forschung, insbesondere von Projekten im Rahmen der Krebsbekämpfung. Seit Gründung der Stiftung wurden insgesamt über 190 Mio. Euro für die Forschungsförderung in Deutschland und der Schweiz bewilligt. Die Stiftung geht aus dem Nachlass des gleichnamigen Unternehmers hervor, der 1973 verstorben ist.

    Kontakt (Projektleitung):
    Prof. Dr. med. Lars E. French
    Direktor der Dermatologischen Klinik des UniversitätsSpitals Zürich
    Tel: + 41 44-255 25 50
    E-Mail: lars.french@usz.ch
    www.dermatologie.unispital.ch

    Kontakt Wilhelm Sander-Stiftung:
    Wilhelm Sander-Stiftung
    Goethestraße 74
    80336 München
    Tel: +49 (89) 544 187 0
    Fax: +49 (89) 544 187 20
    Web: www.sanst.de


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    Dünndarmzotten von Patienten mit GHVD: Unter dem Mikroskop sind in den Zwischenräumen viele kleine rote Pünktchen zu sehen. Das sind Immunzellen, in denen das  Interleukin-1-beta aktiviert ist.
    Dünndarmzotten von Patienten mit GHVD: Unter dem Mikroskop sind in den Zwischenräumen viele kleine r ...
    Bild: UniversitätsSpital Zürich
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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Biology, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Research projects, Research results
    German


     

    Dünndarmzotten von Patienten mit GHVD: Unter dem Mikroskop sind in den Zwischenräumen viele kleine rote Pünktchen zu sehen. Das sind Immunzellen, in denen das Interleukin-1-beta aktiviert ist.


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