Historiker der Universität Jena gibt Buch über das Recht auf Wahrheit mit heraus
Diese Bilder gehen um die Welt und sie brennen sich ein: Mütter, die Fotos ihrer verschwundenen Söhne, Töchter oder Männer in die Höhe halten, vereint im Protest gegen ein brutales Regime. Obwohl kaum Hoffnung besteht, die Verschwundenen lebend wiederzusehen, verlangen die Mütter Auskunft, fordern sie ihr Recht auf Wahrheit ein.
Ob in Chile oder Argentinien, später im Bosnien-Krieg oder heute in Syrien, seit den 1970er Jahren gehört das Verschwindenlassen von Menschen zu den perfidesten Methoden von Diktaturen. Es sei „ein Teil der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts“, konstatiert Prof. Dr. José Brunner, der Ideengeschichte und Wissenschaftsphilosophie an der Universität Tel Aviv in Israel lehrt. Eine Gewaltgeschichte, die sich leider bis in die Gegenwart nahtlos fortsetze. Brunner hat gemeinsam mit dem Jenaer Historiker Dr. Daniel Stahl das Buch „Recht auf Wahrheit. Zur Genese eines neuen Menschenrechts“ herausgegeben.
Das neue Buch versammelt zwölf Aufsätze namhafter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die nachzeichnen, wie sich das Recht auf Wahrheit als Menschenrecht etabliert hat. Es ist zugleich Band 1 der „Schriftenreihe Menschenrechte im 20. Jahrhundert“, die vom Arbeitskreis „Menschenrechte im 20. Jahrhundert“ herausgegeben wird. Dessen Leiter Prof. Dr. Norbert Frei von der Universität Jena erforschte die „Wahrheit in Nürnberg“, so heißt der Beitrag über das Internationale Kriegsverbrechertribunal nach dem Zweiten Weltkrieg. Freis Aufsatz gehört zum ersten Teil des Buches, in dem es um „Historische Wahrheit und Gerechtigkeit“ geht. Behandelt werden hier die zögerlichen Anfänge, die später in ein Recht auf Wahrheit mündeten. Die Historikerin PD Dr. Annette Weinke (Jena) behandelt die Frage „Wie neu ist die Suche nach Wahrheit?“ und Prof. em. Dr. Jost Dülffer (Köln) beleuchtet deutsche Debatten über Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg.
„Von einem Recht auf Wahrheit spricht erstmals die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte in ihrem Jahresbericht 1986, wobei sie zugleich den kollektiven Charakter des Rechts auf Wahrheit betonte“, sagt Dr. Daniel Stahl. Das sei ebenso ein Meilenstein bei der Etablierung dieses Rechts gewesen wie die Einrichtung eines UN-Arbeitskreises, der bis heute tätig ist.
Wie sich der Kampf um die Wahrheit in Chile unter Pinochet vom individuellen Protest zu einem gesellschaftlichen Phänomen wandelte, beschreibt Prof. Dr. Jan Eckel von der Universität zu Köln in seinem Aufsatz „Fortdauerndes Verbrechen. Verschwundene und Menschenrechte in Chile“. Eckels Aufsatz findet sich im zweiten Teil des Buches, der unter der Überschrift „Wahrheit als Menschenrecht“ steht. Neben dem Beitrag von Jan Eckel über Chile finden sich hier Aufsätze von José Brunner (Tel Aviv) über die „Psychologie des Rechts auf Wahrheit“ und ein Gespräch mit der Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Angelika Nußberger über das „Recht auf Wahrheit im Urteil Straßburgs“. Dr. Daniel Stahl, Wissenschaftlicher Sekretär des Arbeitskreises, behandelt in seinem Aufsatz die völkerrechtliche Normierung des Aktenzugangs. Die „Grenzen des Rechts auf Wahrheit“ loten Ruth Effinowicz und Prof. Dr. Claus Kress (beide Köln) aus. Ihr Aufsatz thematisiert das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Katyń.
Der abschließende dritte Teil des Bandes dreht sich um Debatten und Praktiken. Dabei fragt der Psychologe Prof. Dr. David Becker (Berlin) „Können Wahrheit und Gerechtigkeit heilen?“. Über den Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Nationalkultur schreibt Robert Brier (London) am Beispiel der Übergangsgesellschaften Ostmitteleuropas. Die Arbeit von Wahrheitskommissionen stellt die Konfliktforscherin Prof. Dr. Susanne Buckley-Zistel in den Fokus ihres Aufsatzes. Im abschließenden Beitrag des Buches nimmt der ehemalige Direktor des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Prof. Dr. Michael Stolleis eine Bestandsaufnahme zum deutschen Recht vor.
Angesichts der akuten Menschenrechtsverletzungen nicht nur in Syrien haben Stahl und Brunner ein Buch herausgegeben, das ein nahezu zeitloses Thema behandelt. Leider.
Kontakt:
Dr. Daniel Stahl
Historisches Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Zwätzengasse 3, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 944449
E-Mail: daniel.stahl[at]uni-jena.de
Das Cover der neuen Publikation.
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Der Historiker Dr. Daniel Stahl von der Uni Jena ist Mitherausgeber der Publikation "Recht auf Wahrh ...
Foto: Jan-Peter Kasper/FSU
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Criteria of this press release:
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History / archaeology, Social studies
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Research results, Scientific Publications
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