Vom Funken zum Signal: Fünf Jahre nach Gründung von IGNITE! (sprich [ig'nait], Initiative for German NeuroIntensive Trial Engagement) zieht die Forschungsgruppe der Deutschen Gesellschaft für NeuroIntensivmedizin (DGNI) eine positive Zwischenbilanz.
Über 50 Neurologen und Neurochirurgen engagieren sich aktiv in dem Verbund, dessen englisches Namensakronym „Entzünde!“ bedeutet. Fünf größere Studienprojekte konnten bislang erfolgreich mit Publikationen abgeschlossen werden. Das vorläufige Highlight: Auf dem Campus der Uniklinik Köln wurde in diesem Jahr erstmals die IGNITE! Summer School für NeuroIntensivmedizin ausgerichtet. Doch das ist längst nicht alles, wie die beiden IGNITE!-Sprecher PD Dr. Julian Bösel (Neurologie, Universitätsklinikum Heidelberg) und Dr. Michael Reiner (Neurochirurgie, Uniklinik Köln) im Interview verraten.
IGNITE! wurde im Mai 2010 gegründet. Was sagen Sie: Ist der Funke übergesprungen?
Bösel: Auf jeden Fall! Als Eric Jüttler die Gruppe damals ins Leben rief, gab es kein vergleichbares Netzwerk, um in der neurologischen und neurochirurgischen Intensivmedizin deutsche klinische Multizenter-Studien zu betreiben. Jede Klinik oder Arbeitsgruppe kochte gewissermaßen ihr eigenes Süppchen. Das ist heute anders: Obwohl wir nur eine freie Gruppe ohne strenge, formale Regeln sind, ist IGNITE! auf gut 50 bis 70 Mitglieder angewachsen. Von denen kommen viele regelmäßig zu unseren Planungstreffen, die zweimal im Jahr stattfinden. Dort werden dann diverse Studien diskutiert, an denen unsere Mitglieder mit Enthusiasmus und Energie arbeiten. IGNITE! ist inzwischen gut vernetzt, nicht nur national als Teil der DGNI und mit der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), sondern auch international als affiliierte Gruppe der US-amerikanischen Neurocritical Care Society (NCS).
Wie lässt sich das typische IGNITE!-Mitglied beschreiben?
Reiner: Die meisten von uns sind Oberärzte oder erfahrene Stationsärzte, die in der neurologischen oder neurochirurgischen Intensivmedizin tätig sind. Das ist aber keine zwingende Voraussetzung, um bei IGNITE! mitzumachen. Entscheidend ist, dass man sich im Rahmen eines oder mehrerer Projekte spürbar engagiert. IGNITE! ist kein Sammeltopf für jene, die nur ihren Namen irgendwo gedruckt sehen wollen, es müssen schon wirklich Beiträge geleistet werden. Es ging und geht bei IGNITE! von Anfang an in erster Linie um die Sache, also Erkenntnisgewinn für die Neurointensivmedizin aus oligo- oder multizentrischen Studien, und weniger um Partikularinteressen oder Positionen. Wir pflegen eine sehr unkomplizierte Arbeitsweise ohne Hierarchien.
Was waren bisher die größten Erfolge?
Bösel: Bei den Publikationen ist eine Umfragestudie zur Bestandsaufnahme unseres Forschungsbereichs hervorzuheben, aus der zwei Papers entstanden sind: „Update NeuroIntensiv Deutschland“1 von 2012 und „Standards of scoring, monitoring, and parameter targeting in German neurocritical care units: a national survey“2 von 2014. Des Weiteren hat IGNITE! die bisher größte multizentrische Analyse zum intensivpflichtigen Guillain-Barré-Syndrom durchgeführt und 2013 veröffentlicht („Long-term outcome in patients with Guillain-Barré-Syndrome requiring mechanical ventilation“3). Dann gab es noch eine vielbeachtete Umfragestudie zur Hemikraniektomie nach malignem Mediainfarkt, nämlich „DESTINY-S: attitudes of physicians toward disability and treatment in malignant MCA infarction“4 als Teil der maßgeblich von Eric Jüttler und Herrmann Neugebauer voran getriebenen DESTINY-Kampagne von 2014. Die bedeutendste Studie aber, die von IGNITE!-Mitgliedern durchgeführt wurde und an der sich IGNITE!-Zentren beteiligt haben, ist die RETRACE-Studie zu Antikoagulanzien-assoziierten Hirnblutungen. Federführend von Joji Kuramatsu und Hagen Huttner aus Erlangen betrieben, ist die Studie kürzlich hochrangig in JAMA publiziert worden ("Anticoagulant reversal, blood pressure levels, and anticoagulant resumption in patients with anticoagulation-related intracerebral hemorrhage"5).
Schließlich gibt es ein Protokollpaper zur DEPTH-SOS Studie ("DEcompressive surgery Plus hypoTHermia for Space-Occupying Stroke (DEPTH-SOS): a protocol of a multicenter randomized controlled clinical trial and a literature review"6), die unter starker IGNITE!-Beteiligung bald ihr Rekrutierungsziel erreicht haben sollte. Ebenfalls abgeschlossen und kurz vor der Publikation sind die bisher größte Multizenteranalyse zur intensivpflichtigen Sinusvenenthrombose und eine prospektive bizentrische Studie zu Extubationsprädiktoren nach intensivpflichtigem Schlaganfall (PRINCIPLE).
Reiner: Als nächste große Projekte sehen wir das DESTINY-R-Register, das über die außerhalb von Studien üblichen Gepflogenheiten in der Intensivbehandlung des malignen Mediainfarkts Aufschluss geben wird. Weitere großartige Registerstudien sind GENERATE und GENERATE-ICU, die sich der NMDA-Rezeptor-Enzephalitis und anderen Autoimmunenzephalitiden widmen. Diese Studien wurden maßgeblich vom IGNITE!-Mitglied Albrecht Günther auf den Weg gebracht und erfahren inzwischen eine erhebliche nationale Vernetzung und Unterstützung.
Bösel: Und schließlich sollte SETPOINT2 erwähnt werden, die auf funktionelles Outcome ausgerichtete Nachfolgestudie zu SETPOINT (Frühtracheotomie nach schwerem Schlaganfall). Das wird eine internationale, multizentrische Studie mit Daten aus Deutschland und den USA. Die Initiative hierfür ging von IGNITE! aus und wird von der DGNI-Stiftung unterstützt. Es ist die erste kontrollierte, randomisierte, multizentrische und sogar internationale Studie von IGNITE!. Die Studiendauer wird etwa drei Jahre betragen.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der DGNI?
Bösel: Nachdem sich DGNI und IGNITE! in den ersten Jahren kennengelernt hatten, wurde die Zusammenarbeit immer besser. Die Gruppe fühlt sich klar zur DGNI gehörig und nutzt beispielsweise die Homepage und die ANIM als wichtige Plattformen. Die DGNI unterstützt die Gruppentreffen zweimal im Jahr, die DGNI-Stiftung hat erstmals eine IGNITE!-Studie gefördert. Seit Februar 2015 sitzen gleich zwei IGNITE!-Mitglieder im Präsidium der DGNI: Katja Wartenberg aus Halle an der Saale (Neurologie) ist neue Schriftführerin, Berk Orakcioglu aus Heidelberg (Neurochirurgie) ist Beisitzer. Darüber hinaus ist mit Wolf-Dirk Niesen aus Freiburg ein weiteres IGNITE!-Mitglied der ersten Stunde zum Aus- und Weiterbildungsbeauftragten der DGNI ernannt worden. Das ist eine große Chance, um neue Impulse zu setzen.
Im Juli fand in Köln die erste IGNITE! Summer School für NeuroIntensivmedizin statt. Hat Sie die große Resonanz überrascht?
Bösel: Wir haben den großen Bedarf schon vorher gesehen. Aber dass alle 39 Plätze innerhalb kürzester Zeit ausgebucht waren, damit haben wir nicht gerechnet. Bei dieser ersten neurointensivmedizinischen Summer School in Deutschland haben klinisch erfahrene IGNITE!-Mitglieder ihre fachliche Kompetenz zur Verfügung gestellt. Sie haben ihr Wissen im multidisziplinären Kontext vor allem sehr konkret und praxisnah vermittelt. Allen voran ist Christian Dohmen zu danken, der mit viel Engagement das Programm zusammengestellt und die Summer School zusammen mit Michael Reiner ausgerichtet hat. Das Feedback der Teilnehmer war hervorragend. Entsprechend ist für 2016 die Fortsetzung bereits in Planung.
Reiner: Die Summer School verfolgt mehrere Ziele: Zum einen wollen wir ein Signal setzen. Die Subdisziplin NeuroIntensivmedizin soll wieder stärker ins Bewusstsein gebracht und ihre Eigenständigkeit betont werden. An vielen Standorten gibt es einen zweifelhaften Trend zur Generalisierung. Zum anderen wollen wir die Forschung beflügeln, weil wir wissen, dass klinisch gut ausgebildete Kollegen auf den Stationen notwendig sind, um qualitativ hochwertige Studien durchzuführen. Die finanziellen Überschüsse der Summer School fließen direkt in die DGNI-Stiftung und damit in die Förderung von neuen neurointensivmedizinischen Studien. Das dritte große Ziel ist eine Verbesserung der Aus- und Weiterbildung in diesem Bereich. Eines unser Langzeitziele ist es, ein einheitliches neurointensivmedizinisches Curriculum zu erarbeiten, wofür zum Beispiel in den Summer Schools die Ausbildung geleistet wird. Wir haben viel vor, aber das bisher Erreichte stimmt uns sehr optimistisch.
Was passiert als Nächstes in der IGNITE!-Gruppe?
Reiner: IGNITE! ist ein offenes Forum und gerade das macht es attraktiv, neue Ideen zu Studienprojekten auf eine multizentrische Ebene zu heben. Wir laden interessierte Neurointensivmediziner ein, Kontakt zu uns aufzunehmen und auf einem unserer Treffen mit einem Projektvorschlag vorbeizukommen. Das nächste Treffen findet am 28. November am Universitätsklinikum Gießen statt.
Kontakt
Sprecher IGNITE – Neurologie
PD Dr. med. Julian Bösel
Neurologische Klinik, Universität Heidelberg
phone: +49 (0)6221 - 56 7504
mail: Julian.Boesel@med.uni-heidelberg.de
Sprecher IGNITE – Neurochirurgie
Dr. med. Michael Reiner
Klinik und Poliklinik für Allgemeine Neurochirurgie, Universitätsklinikum Köln (AöR)
phone: +49 (0)221 - 478 - 82756/ 82761
mail: michael.reiner@uk-koeln.de
Anmerkungen
1. Survey study: update on neurological intensive care in Germany 2012: structure, standards and scores in neurological intensive care units
Bösel J., Kowoll C., Kahmann J., Dziewas R., Schirotzek I., Dohmen C.
Nervenarzt. 2012 Dec;83(12):1609-18. doi: 10.1007/s00115-012-3541-6
2. Standards of scoring, monitoring, and parameter targeting in German neurocritical care units: a national survey
Kowoll CM., Dohmen C., Kahmann J., Dziewas R., Schirotzek I., Sakowitz OW., Bösel J.; Initiative of German NeuroIntensive Trial Engagement (IGNITE)
Neurocrit Care. 2014 Apr;20(2):176-86. doi: 10.1007/s12028-013-9893-3
3. Long-term outcome in patients with Guillain-Barré syndrome requiring mechanical ventilation
Witsch J., Galldiks N., Bender A., Kollmar R., Bösel J., Hobohm C., Günther A., Schirotzek I., Fuchs K., Jüttler E.
J Neurol. 2013 May;260(5):1367-74
4. DESTINY-S: attitudes of physicians toward disability and treatment in malignant MCA infarction
Neugebauer H, Creutzfeldt CJ, Hemphill JC 3rd, Heuschmann PU, Jüttler E.
Neurocrit Care. 2014 Aug;21(1):27-34. doi: 10.1007/s12028-014-9956-0
5. Anticoagulant reversal, blood pressure levels, and anticoagulant resumption in patients with anticoagulation-related intracerebral hemorrhage
Kuramatsu JB, Gerner ST, Schellinger PD, Glahn J, Endres M, Sobesky J, Flechsenhar J, Neugebauer H, Jüttler E, Grau A, Palm F, Röther J, Michels P, Hamann GF, Hüwel J, Hagemann G, Barber B, Terborg C, Trostdorf F, Bäzner H, Roth A, Wöhrle J, Keller M, Schwarz M, Reimann G, Volkmann J, Müllges W, Kraft P, Classen J, Hobohm C, Horn M, Milewski A, Reichmann H, Schneider H, Schimmel E, Fink GR, Dohmen C, Stetefeld H, Witte O, Günther A, Neumann-Haefelin T, Racs AE, Nueckel M, Erbguth F, Kloska SP, Dörfler A, Köhrmann M, Schwab S, Huttner HB.
JAMA. 2015 Feb 24; 313(8):824-36. doi: 10.1001/jama.2015.0846
6. DEcompressive surgery Plus hypoTHermia for Space-Occupying Stroke (DEPTH-SOS): a protocol of a multicenter randomized controlled clinical trial and a literature review
Neugebauer H., Kollmar R., Niesen WD., Bösel J., Schneider H., Hobohm C., Zweckberger K., Heuschmann PU., Schellinger PD., Jüttler E.
DEPTH-SOS Study Group; IGNITE Study Group; Int J Stroke. 2013 Jul;8(5):383-7
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Bei Veröffentlichung Beleg erbeten.
Nina Meckel
i. A. der Deutschen Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin (DGNI)
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medXmedia Consulting
Nymphenburger Straße 19
80335 München
phone: +49 (0)89 / 23 06 96 069
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Criteria of this press release:
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German
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