idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
01/11/2017 12:36

DGPM: Stress im Kindesalter verkürzt Lebenszeit

Medizin - Kommunikation Medizinkommunikation
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.

    Berlin – Wenn Kinder vernachlässigt werden, Misshandlungen erleiden oder andere belastende Erfahrungen machen müssen, leiden sie darunter nicht nur akut. Eine aktuelle Übersichtsarbeit in der Fachzeitschrift „Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz“ fasst den aktuellen Stand der Forschung zu den Ursachen, Mechanismen und Folgen frühkindlicher Belastungen zusammen. Ein Ergebnis: Auch im Erwachsenenalter leiden viele Menschen noch unter den Folgen negativer Erfahrungen in der Kindheit. Die DGPM empfiehlt, Eltern und Kinder in Stresssituationen frühzeitig psychosozial zu unterstützen – ihnen blieben damit leidvolle Erfahrungen im Erwachsenenalter häufig erspart.

    „Psychosoziale Belastungen haben oft langfristige Folgen und machen die Betroffenen im Erwachsenenalter anfälliger für psychische und körperliche Leiden“, sagt Professor Dr. med. Ulrich T. Egle, der an der Klinik Barmelweid im schweizerischen Aargau auf dem Gebiet der Psychosomatik und Rehabilitationsmedizin tätig ist. Eine durch emotionale Vernachlässigung oder Traumatisierung belastete Kindheit erhöht das Risiko, an einer psychischen Störungen wie einer Depression oder einer Angsterkrankung zu erkranken, auf das Doppelte, Essstörungen treten bei den Betroffenen sogar drei- bis fünfmal so häufig auf. Auch sogenannte somatoforme Erkrankungen – körperliche Beschwerden also, für die keine organische Ursache erkennbar ist – werden durch frühkindliche Belastungserfahrungen auf das Zwei- bis Vierfache gesteigert. Zu diesen Erkrankungen zählen das chronic fatigue syndrome, der multilokuläre Schmerz (Fibromyalgie-Syndrom) oder das Reizdarmsyndrom.

    Über welche Mechanismen frühkindlicher Stress und traumatisierende Erfahrungen auf die spätere gesundheitliche Konstitution Einfluss nehmen, ist in den letzten Jahren intensiv untersucht worden. „Eine zentrale Rolle spielt dabei das Stresshormon Cortisol sowie entzündungsfördernde Botenstoffe des Immunsystems“, erläutert Professor Egle. Gerate das Kind häufig und anhaltend unter Stress, so änderten sich Menge und tageszeitlicher Rhythmus dieses und anderer Hormone, das Schmerzempfinden werde gesteigert und die Entzündungsneigung nehme zu. Wenn das kindliche Gehirn dauerhaft hohen Cortisol-Spiegeln ausgesetzt sei, komme es in bestimmten Hirnbereichen zu anhaltenden Funktionsstörungen: die Konzentrationsfähigkeit nehme langfristig ab, die Affekt- und Selbstregulation sei eingeschränkt, und es stünden den Betroffenen im Alltag oft nur unzureichende Strategien zur Stressbewältigung zur Verfügung.

    Die gesundheitlichen Folgen frühkindlicher Belastungen sind enorm: Wer als Jugendlicher oder Erwachsener schlecht mit Stress umgehen kann, greift eher zu Suchtmitteln wie Alkohol, Nikotin und harten Drogen, das Ernährungsverhalten kann problematisch werden, und es besteht eine Neigung zu sexuellem Risikoverhalten. „Dadurch werden auch Krankheiten gefördert, die auf den ersten Blick keine psychischen Ursachen haben“, sagt Egle. Dazu zählten etwa ein Typ-2-Diabetes, Herzinfarkt und Schlaganfall, chronisch obstruktive Lungen- sowie bestimmte Krebserkrankungen. Durch die verstärkte Krankheitsneigung, aber auch durch ein erhöhtes Suizidrisiko, ergibt sich für die Betroffenen eine Verkürzung der Lebenserwartung um durchschnittlich 15 bis 20 Jahre.

    Die Auslöser des Stresses müssen dabei nicht immer dramatisch sein. In umfangreichen Studien haben sich zum Beispiel eine Trennung oder Scheidung der Eltern, eine anhaltende Missstimmung in der Familie, die Geburt eines jüngeren Geschwisters binnen 18 Monaten oder eine mehrwöchige Trennung von der primären Bezugsperson als Risikofaktoren für die spätere Gesundheit ergeben. „Jeder dieser Faktoren mag für sich genommen ohne Folgen bleiben“, sagt Professor Egle. „In manchen Familien kommen jedoch mehrere Faktoren zusammen, und die Risiken summieren sich.“

    Präventionsansätze, in denen besonders gefährdete Familien identifiziert und unterstützt werden, gibt es bereits. Bisher werden sie jedoch nur in Modell-projekten realisiert. Auch die frühzeitige Behandlung bereits beginnender psychosomatischer Störungen bei Erwachsenen könne helfen, Betroffene früher zu erkennen und ihnen eine adäquate Behandlung oder „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu vermitteln. „Diese Ansätze müssen endlich flächendeckend etabliert werden“, fordert auch Professor Dr. med Harald Gündel, Mediensprecher der DGPM. Das sei Aufgabe der Politik. Nur so ließen sich die enormen Folgen – psychosomatische Erkrankungen sind inzwischen die häufigste Ursache für Frühberentungen – sowohl in gesundheitlicher als auch in volkswirtschaftlicher Hinsicht begrenzen.

    Quelle:

    Egle, U.T., Franz, M., Joraschky, P. et al. Bundesgesundheitsbl (2016) 59: 1247. doi:10.1007/s00103-016-2421-9
    http://link.springer.com/article/10.1007/s00103-016-2421-9

    – Bei Abdruck Beleg erbeten. –

    Kontakt für Journalisten:
    Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM)
    Pressestelle
    Janina Wetzstein
    Postfach 30 11 20
    70451 Stuttgart
    Tel.: 0711 8931-457
    Fax: 0711 8931-167
    wetzstein@medizinkommunikation.org
    www.dgpm.de


    Images

    Criteria of this press release:
    Journalists
    Medicine, Psychology
    transregional, national
    Transfer of Science or Research
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).