idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
01/20/2017 09:39

Termindruck, Arbeitsverdichtung, Stress: Nur in jedem vierten Betrieb systematische Gegenmaßnahmen

Rainer Jung Abt. Öffentlichkeitsarbeit
Hans-Böckler-Stiftung

    Neue Untersuchung des WSI
    Termindruck, Arbeitsverdichtung, Stress: Nur in jedem vierten Betrieb systematische Maßnahmen gegen psychische Belastungen

    Der psychische Druck ist in vielen Betrieben hoch. Das liegt häufig auch an einer zu dünnen Personaldecke. Arbeitnehmervertreter konstatieren als Folge eine Zunahme gesundheitlicher Probleme, zeigt eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.* Doch an konkreten Programmen gegen Stress fehlt es vielerorts – besonders in kleineren Firmen.

    Zeit- und Leistungsdruck, Arbeitsverdichtung, schwer planbare Arbeitszeiten, Angst vor dem Jobverlust: Psychische Strapazen lasten heute oft stärker auf den Beschäftigten als die körperlichen Anforderungen der Arbeitswelt. Das zeigt eine Untersuchung der WSI-Wissenschaftlerin Dr. Elke Ahlers, die Ergebnisse der jüngsten WSI-Betriebsrätebefragung ausgewertet hat. Rund 60 Prozent der gut 2000 befragten Betriebsräte geben an, dass die von ihnen vertretenen Belegschaften massiv unter Zeitdruck und hoher Arbeitsintensität leiden. Von hohem „Verantwortungsdruck“ berichten 44 Prozent, von regelmäßigen störenden Unterbrechungen der Arbeit 27 Prozent und von mangelnder Planbarkeit der Arbeitszeiten 23 Prozent. In einem Fünftel der Firmen grassiert die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. Die Befunde sind branchenübergreifend und repräsentativ für Betriebe mit wenigstens 20 Beschäftigten und Arbeitnehmervertretung.

    In den meisten Betrieben, 77 Prozent, haben Termindruck und hohe Arbeitsintensität nach Angabe der Betriebsräte in der jüngeren Vergangenheit zu mehr gesundheitlichen Beschwerden bei Beschäftigten geführt, in jedem zweiten ist die Zahl der Überstunden gestiegen. In rund drei Vierteln der Betriebe ist Stress Thema auf Betriebsversammlungen oder Gegenstand von Verhandlungen zwischen Arbeitnehmervertretung und Geschäftsführung. Dabei kommt die Zunahme des Arbeitsdrucks nicht von ungefähr: In jedem zweiten Betrieb gab es in den zwölf Monaten vor der Befragung Umstrukturierungen, über ein Viertel hat mit Personalabbau zu kämpfen. Hier ist der Stresspegel deutlich überdurchschnittlich. Doch auch in vielen anderen Betrieben ist die Personalausstattung nach Einschätzung der Befragten zu gering. 74 Prozent der Betriebsräte sehen sich mit dem Problem konfrontiert. Besonders drastisch ist dies in Erziehungs- und Gesundheitsberufen sowie im öffentlichen Dienstleistungssektor generell.

    Es sei zu vermuten, so Ahlers, dass viele „Unternehmen die Personaldecke aus Kostengründen so dünn wie möglich halten“. Keineswegs liege die knappe Personalbemessung in erster Linie an zu wenigen geeigneten Bewerbern. Zwar hat laut Betriebsrätebefragung eine Reihe von Firmen Schwierigkeiten, die richtigen Leute zu finden, seien es Akademiker, Facharbeiter oder Ungelernte. Aber in solchen Betrieben spielt Überlastung durch Personalmangel kaum eine größere Rolle als in anderen.

    Was den Druck auf Beschäftigte zusätzlich erhöht, sind die neuen Techniken der „Leistungssteuerung“: Zielvereinbarungen und Vertrauensarbeitszeit statt Stechuhr vergrößern zwar den Spielraum für Selbstbestimmung und Selbstorganisation, aber sie gehen der Untersuchung zufolge auch mit höheren Anforderungen und mehr Stress einher.

    – Was Management und Betriebsräte tun können –

    Traditionelle Formen des Arbeitsschutzes – Verbot von Sonntagsarbeit, Sicherheits- und Pausenvorschriften oder Ähnliches – sind notwendig, aber werden im betrieblichen Alltag oft umgangen und in ihrer Umsetzung kaum kontrolliert, so die Forscherin. Neuere Instrumente sind Programme zur betrieblichen Gesundheitsförderung, Eingliederungsmanagement nach längerer Krankheit oder Gefährdungsbeurteilungen, die sichtbar machen, welche Belastungen mit dem einzelnen Arbeitsplatz verbunden sind. Alle drei sind in der Mehrheit der untersuchten Betriebe inzwischen verbreitet, wobei kleinere Firmen deutlich hinter die Großbetriebe zurückfallen. In Unternehmen ohne Betriebsrat und mit weniger als 20 Beschäftigten dürfte die Quote noch geringer ausfallen, so Ahlers.

    Aber selbst wenn Instrumente existieren, ist der Forscherin zufolge fraglich, ob sie passend ausgestaltet sind. So seien viele Hochglanzbroschüren, in denen Unternehmen ihre Fitness-, Ernährungs- oder Entspannungsprogramme preisen, irreführend. Hier würden individuelle Bewältigungsstrategien angeboten, aber nicht die eigentlichen Ursachen der Überlastung angegangen. Von den abgeschlossenen Gefährdungsbeurteilungen bezieht außerdem nur ein Viertel psychische Belastungen mit ein – obwohl der Gesetzgeber dies seit langem so fordert. Gerade für die Gestaltung der zunehmend digitalen Arbeitswelt sei es entscheidend, psychische Belastungen zu erkennen und zu reduzieren, mahnt die Wissenschaftlerin. Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen sind Ahlers zufolge der wichtigste Ansatzpunkt für Arbeitnehmervertreter: In Betrieben mit einem umfassenden Gesundheitsmanagement, das Stress ernst nimmt, stand am Anfang oft eine Betriebsvereinbarung zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen.

    Kontakt in der Hans-Böckler-Stiftung:

    Dr. Elke Ahlers
    WSI, Expertin für Arbeitsschutz
    Tel.: 0211-7778-344
    E-Mail: Elke-Ahlers@boeckler.de

    Rainer Jung
    Leiter Pressestelle
    Tel.: 0211-7778-150
    E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de


    More information:

    http://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_report_33_2016.pdf - *Elke Ahlers: Arbeit und Gesundheit im betrieblichen Kontext, WSI-Report Nr. 33.
    http://Infografik zum Download im neuen Böckler Impuls 1/2017 - http://boeckler.de/fotostrecke_boeckler_impuls-r.htm?id=106893&chunk=1


    Images

    Criteria of this press release:
    Journalists
    Economics / business administration, Politics, Social studies
    transregional, national
    Research results
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).