Vor dem Hintergrund aktueller Debatten um Human Remains aus kolonialem Kontext hat Prof. Dr. Dr. Uwe Koch-Gromus, Dekan der Medizinischen Fakultät Hamburg, im Jahr 2016 das Institut für Geschichte und Ethik der Medizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) und das Medizinhistorische Museum Hamburg beauftragt, zu prüfen, ob sich auch in Sammlungen des UKE Human Remains aus kolonialem Kontext befinden.
Nun liegen erste Ergebnisse vor. Identifiziert wurden unter anderem sechs menschliche Schädel aus Afrika, die aus dem 20. Jahrhundert stammen, darunter auch einer vom Volk der Herero. Soweit möglich sollen die menschlichen Schädel in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden. Hierfür steht der Dekan der Medizinischen Fakultät im Austausch mit der Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung.
„Oberste Priorität hat für uns die Rückführung der identifizierten Human Remains. Die sterblichen Überreste sind weder in einer wissenschaftlichen Sammlung noch in einem Museum korrekt aufgehoben. Aber auch für jene Human Remains, die von Bevölkerungsgruppen stammen, die heute kein politisches Gehör finden, muss es eine Lösung geben. Unser Wunsch ist, gemeinsam mit Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft einen würdigen Ort für das Gedenken an die deutsche Kolonialvergangenheit Hamburgs zu finden“, sagt Prof. Dr. Dr. Uwe Koch-Gromus, Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg und Mitglied des Vorstands des UKE.
Ergebnisse der Überprüfung
Insgesamt umfasst die Sammlung, die Teil der Neuropathologischen Sammlung Friedrichsberg war, 75 Schädel und wenige Schädelfragmente. Inzwischen konnte die Provenienz der Human Remains anhand eines in anderen Archivbeständen wiederentdeckten Inventarbuchs rekonstruiert werden. Unter diesen Human Remains befinden sich neun Schädel aus dem Gebiet der ehemaligen deutschen Kolonien in Papua Neuguinea und sechs menschliche Schädel aus Afrika, die aus dem 20. Jahrhundert stammen: zwei aus Kamerun, einer aus dem Gebiet des heutigen Botswana, einer vom Volk der Herero, einer aus dem Gebiet des heutigen Mosambik und einer vom Volk der Masai. Darüber hinaus existieren zwei weitere menschliche Schädel aus Afrika, die zwei ägyptischen Mumien zuzuordnen sind, zwei Schädel aus Australien, zwei vom Volk der Maori, ein Schädel aus dem chinesischen Tsingtau und 13 Schädel aus Europa. Weitere 22 Schädel konnten die Wissenschaftler Ländern in Süd- und Mittelamerika zuordnen, von denen 17 Schädel als „Inka-Mumien“ gekennzeichnet sind. Weitere Schädel stammen aus Indien und von Inseln im Indischen Ozean und im Pazifik. Nur wenige Schädel und Schädelfragmente sind anhand des Inventarbuchs topographisch nicht bestimmbar.
Neuropathologische Sammlung Friedrichsberg
Die Human Remains stammen aus der Neuropathologischen Sammlung Friedrichsberg. Zwischen 1905 und 1934 hatte der Psychiater und Direktor der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg, Wilhelm Weygandt, eine 1185 Objekte umfassende neuropathologische Schausammlung mit Schädeln, Tierpräparaten und ethnologischen Objekten zusammengetragen. Die Sammlung wurde zwischen 1934 und 1946 aufgelöst, lässt sich aber anhand des Inventarbuchs rekonstruieren. Weygandt kaufte die aus Afrika stammenden Schädel zwischen 1917 und 1925 von privaten Händlern. Den Schädel, den die Wissenschaftler dem Volk der Herero zuordnen konnten, erwarb die Staatskrankenanstalt am 1. August 1924 von Johannes Flemming, der vor dem Ersten Weltkrieg für die Organisation von „Völkerschauen“ bekannt war. Die UKE-Wissenschaftler gehen davon aus, dass ein Teil der Sammlung 1942 ins UKE kam. Damals wurde die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg auf Dekret der NS-Gesundheitsverwaltung aufgelöst und die Universitätspsychiatrie der Staatskrankenanstalt ging an das UKE über.
Wissenschaftliche Einordnung
„Die koloniale Entwürdigung dieser Human Remains erfolgte durch ihre Zurschaustellung in Ausstellungen und durch eine Forschung, die darauf abzielte, auf der Basis von Rassenanthropologie Minderwertigkeit zu konstruieren. Die Herkunft der im Inventarbuch verzeichneten Objekte belegt zudem, wie eng die Schädelsammlung mit der Rolle Hamburgs in der Deutschen Kolonialgeschichte verbunden ist. Es besteht daher die zwingende Notwendigkeit, die wissenschafts- und kulturhistorischen Dimensionen der Sammlung zu erforschen“, sagt Prof. Dr. Philipp Osten, kommissarischer Leiter des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin. „Das Medizinhistorische Museum Hamburg möchte eine Debatte über herkömmliche historische Lehr- und Forschungssammlungen anstoßen, die menschliche Präparate enthalten. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, uns zur Verfügung gestellte Sammlungen und Bestände wissenschaftlich zu hinterfragen, daher werden wir auch unsere weiteren Bestände einer kritischen Bewertung unterziehen.“
„Das ´Sammeln´ von Human Remains im kolonialen Kontext gehört zu den noch nicht aufgearbeiteten Kapiteln kolonialer Wissenschaftsgeschichte. Mit der Offenlegung seiner Bestände und des Findbuchs leistet das UKE einen wichtigen Beitrag zu dessen Aufarbeitung. Wichtiges Ziel muss die ´Rehumanisierung´ der enthumanisierten Menschen sein“, sagt Prof. Dr. Jürgen Zimmerer, Professor für Globalgeschichte (Schwerpunkt Afrika) an der Universität Hamburg, Präsident des International Networks of Genocide Scholars und Leiter der „Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die (frühe) Globalisierung“.
Criteria of this press release:
Journalists
Cultural sciences, History / archaeology, Politics, Social studies
transregional, national
Research results
German
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