Mediziner der Universität Gießen stellen den aktuellen Forschungsstand zu sozialer Angststörung im New England Journal of Medicine dar
In Europa sind mehr als zehn Millionen Menschen von einer sozialen Angststörung betroffen. Es handelt sich somit um eine der häufigsten Angststörungen. Häufig werden Betroffene mit Psychopharmaka behandelt. Doch was hilft den verunsicherten Patientinnen und Patienten am besten? Prof. Dr. Falk Leichsenring und Prof. Dr. Frank Leweke, beide Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Fachbereich 11 – Medizin der Justus-Liebig Universität Gießen (JLU), haben in der renommierten Fachzeitschrift New England Journal of Medicine den aktuellen Forschungsstand dargestellt. Unterstützt wurden sie bei der Publikation von Dr. Christiane Steinert, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Psychosomatik und Psychotherapie der JLU. Die Ergebnisse der Mediziner basieren teilweise auf einer großen Verbundstudie, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit mehr als sechs Millionen Euro gefördert worden ist (Social Phobia Psychotherapy Research Network, Universitäten Gießen, Göttingen, Dresden, Jena, Bochum, Mainz).
Menschen mit sozialer Angststörung befürchten, in Situationen, in denen sie mit anderen Menschen in Kontakt sind, von diesen negativ bewertet zu werden. Dies betrifft Leistungssituationen – etwa wenn es gilt, eine Prüfung abzulegen oder einen Vortrag zu halten –, aber auch andere Situationen. So könnte beispielsweise das Essen in der Mensa oder im Restaurant zu einer großen Herausforderung für die Betroffenen werden. Sie haben Angst, angeschaut und möglicherweise negativ beurteilt zu werden. Und sie fürchten negative Bewertungen ihrer Mitmenschen („Was ist das denn für einer? „Wie sieht der denn aus?“). Diese Angst führt dazu, dass die Patientinnen und Patienten sich zunehmend isolieren, indem sie versuchen, solche Situationen komplett zu vermeiden.
„Die soziale Angststörung geht daher mit erheblichen psychosozialen Einschränkungen einher, die oftmals schwerwiegender sind als diejenigen bei einer Depression“, erläutert Prof. Leichsenring. Die Ursachen seien vielfältig. Gegenwärtig werde ein Wechselspiel zwischen Umweltfaktoren (beispielsweise erlebte Beschämung) und neurobiologischen Faktoren für am wahrscheinlichsten gehalten. Das Fazit des jetzt im New England Journal of Medicine erschienenen Artikels lautet daher: „Nach den geltenden Leitlinien ist Psychotherapie das Mittel der Wahl, was die Behandlung angeht.“ Zwar hätten sich auch Psychopharmaka, insbesondere SSRIs, als wirksam erwiesen, doch seien die Ergebnisse der Psychotherapie dauerhafter.
Für die psychotherapeutische Behandlung haben sich – so die Forschungsergebnisse der Gießener Mediziner – insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie und die psychodynamische Therapie als wirksam erwiesen: In der kognitiven Verhaltenstherapie lernen Betroffene unter anderem, die Aufmerksamkeit – beispielsweise während eines Vortrags – nicht auf sich selbst zu richten, sondern auf die Zuhörerinnen und Zuhörer. Ein Videofeedback soll dazu dienen, dass die Betroffenen die verzerrten Vorstellungen, die sie von sich selbst haben, korrigieren können.
In der psychodynamischen Therapie wird der Hintergrund der Symptomatik herausgearbeitet, der den Patientinnen und Patienten zum Teil nicht bewusst ist. Dabei werden verschiedenen Situationen beleuchtet, in denen die Symptome aufgetreten sind. Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang verschiedene Personen aus der Gegenwart und der Vergangenheit. Es geht darum, den Patientinnen und Patienten neue Blickwinkel zu eröffnen und den Kontext zu verdeutlichen, damit sie ihr eigenes Verhalten besser verstehen lernen. So haben viele Betroffen nicht nur Angst, sich zu zeigen, sondern unbewusst auch den starken Wunsch, sich zu präsentieren und bewundert zu werden. Gleichzeitig befürchten diese aber, von anderen dafür „niedergemacht“ zu werden.
Welche der beiden Therapien – die kognitive Verhaltenstherapie oder die psychodynamische Therapie – für welchen Menschen am besten passt, ist wissenschaftlich noch nicht geklärt, so Leichsenring und Leweke: „Es kommt sehr stark auf den Einzelnen an: Dem einen kommt der Zugang der kognitiven Verhaltenstherapie mehr entgegen; dem anderen liegt die psychodynamische Therapie eher.“
Publikation
Leichsenring, F & Leweke, F (2017). Social anxiety disorder. New England Journal of Medicine, 376, 63, 2255-2264.
Kontakt
Prof. Dr. Falk Leichsenring
Professur für Psychotherapieforschung
Abt. Psychosomatik und Psychotherapie, Fachbereich 11 – Medizin der JLU
Ludwigstraße 76; 35392 Gießen
Telefon: 0641 99 56660; E-Mail: Falk.Leichsenring@psycho.med.uni-giessen.de
Prof. Dr. Frank Leweke
Professur für Psychosomatik und Psychotherapie
Abt. Psychosomatik und Psychotherapie, Fachbereich 11 – Medizin der JLU
Friedrichstraße 28; 35392 Gießen
Telefon: 0641 99 45620; E-Mail: Frank.Leweke@psycho.med.uni-giessen.de
https://www.uni-giessen.de/fbz/fb11/institute/klinik/psychosomatik
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Medicine, Psychology
transregional, national
Research results
German
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