Berlin, 18. September 2017 Wie sehen die regionalen Versorgungsunterschiede aus, welche Ursachen liegen ihnen zugrunde, und wie kann die medizinische Versorgung auf dieser Grundlage verbessert werden? Das sind die Fragen, mit denen sich die zweitägige Konferenz zur regionalisierten Versorgungsforschung am 13. und 14. September 2017 in Berlin beschäftigt hat. Auf Einladung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) trafen sich Wissenschaftler und Praktiker aus Deutschland und dem Ausland für einen fachlichen Austausch.
Die Konferenz wurde von einer hohen Anzahl an internationalen Vorträgen geprägt, die in dieser Qualität und Dichte selten anzutreffen sind. „Regionale Versorgungsunterschiede sind kein rein deutsches Phänomen, sondern sie sind überall anzutreffen. Erfahrungen und Lösungsansätze aus dem Ausland können uns deshalb auch in Deutschland Anregungen geben, wie die Behandlungsqualität verbessert werden kann“, sagte Dr. Dominik von Stillfried, Geschäftsführer des Zi.
„Versorgungsforschung dient nicht primär dem wissenschaftlichen Diskurs, sondern soll Impulse zur Veränderung und Weiterentwicklung geben“, sagte Dr. Andreas Gassen, Vorsitzender des Vorstands der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Er betonte außerdem, dass es in erster Linie Sache der Ärzte ist, die Unterschiede zu bewerten und daraus Konsequenzen zu ziehen.
Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und dem Deutschen Netzwerk Versorgungsforschung (DNVF) durchgeführt. Prof. Rolf Kreienberg machte als Vertreter der AWMF deutlich, wie wichtig die Versorgungsforschung für die Erstellung und Weiterentwicklung medizinischer Leitlinien ist, und dass die Erforschung bestehender Versorgungsunterschiede einen wichtigen Beitrag dazu leistet. Prof. Matthias Schrappe vom DNVF attestierte dem Zi Weitblick, indem es vor einigen Jahren den regionalisierten Ansatz als einen Arbeitsschwerpunkt gesetzt hat. Schrappe rechnet damit, dass – wenn auch nicht direkt zu der aktuell anstehenden Wahl, aber möglicherweise danach – die Stärkung regionalisierter Versorgungskonzepte Eingang in die Agenda der künftigen Bundesregierung finden wird.
Dr. Robert Berenson vom Urban Institute, Boston, ging in seinem Vortrag unter anderem auf die Schwierigkeiten von Messungen im Zusammenhang mit der Versorgungsqualität ein und warnte vor einer Pay-for-Performance-Euphorie. Abgesehen von der Gefahr einer Ressourcenfehlsteuerung könne sich Pay-for-Performance nach neueren ökonomischen Erkenntnissen auch negativ auf die intrinsische Motivation der Ärzte auswirken. Dr. Bruce E. Landon von der Harvard Medical School, Boston, legte den Fokus auf die informellen Netzwerke, in denen sich jeder Arzt im Rahmen der Behandlung seiner Patienten alltäglich bewegt. Er untersuchte, wie sich sogenannte ‚patient-sharing networks‘ bilden und konnte nachweisen, dass die Arbeit von Kollegen mehr Einfluss auf das eigene ärztliche Handeln hat, wenn eine höhere Anzahl von Patienten gemeinsam behandelt wird. Prof. Sabina Nuti von der Scuola Superiore Sant´Ana, Pisa, berichtete, wie sich die Regionen in Italien einem freiwilligen Qualitätsvergleich anhand von über 300 Gesundheitsindikatoren unterziehen und wie anhand dieser Indikatoren innerhalb der Regionen Maßnahmen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung ergriffen werden können. Zusätzlich stellte sie ein System vor, mit dem die gefundenen Unterschiede allgemeinverständlich aufbereitet werden. Dr. Nigel Millar, Chef des Southern District Health Board, Neuseeland, stellte die Ergebnisse einer umfassenden Reform des Gesundheitswesens in der Region Canterbury vor, bei der die Interessen des Patienten konsequent in den Mittelpunkt gestellt wurden. Hierbei wurde vor allem die ambulante ärztliche Versorgung und pflegerische Versorgung gestärkt, so dass vermeidbare Krankenhausaufenthalte wirksam reduziert werden konnten. Dr. Jean-Frédéric Levesque stellte die vom Bureau of Health Information in New South Whales, Australien, erstellten überwiegend öffentlichen Qualitätsberichte an die Krankenhäuser vor, mit denen erwünschte und unerwünschte Versorgungsunterschiede dargestellt werden. Die im 3-Monats-Rhythmus erstellten Berichte werden von den Krankenhäusern als hilfreiches Feedback wahrgenommen. Welch starken Effekt Versorgungsforschung für die Bildung medizinischer Leitlinien haben kann, machte Prof. Barthold Vonen von der norwegischen University of Tromsø deutlich. Der norwegische Gesundheitsatlas hat es erreicht, dass die medizinischen Fachgesellschaften und die Gesundheitspolitik in den Regionen an einem Strang ziehen, um unerwünschte Versorgungsunterschiede in der Krankenhausbehandlung abzubauen.
Neben diesen und weiteren internationalen Beiträgen hatten auch zahlreiche Vertreter von Fachgesellschaften und Berufsverbänden aus Deutschland Gelegenheit, ihre Forschungen vorzustellen. Darunter Prof. Achim Wöckel von der Frauenklinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg, der Ergebnisse der BRENDA-Studie vorstellte. Diese untersucht die Umsetzung von Leitlinien in der Brustkrebstherapie in Süddeutschland. Demnach haben Frauen die besten Heilungschancen, wenn die Therapieempfehlungen auf allen Ebenen der Versorgung durchgängig umgesetzt werden. Er betonte die besondere Rolle der niedergelassenen Hausärzte und Gynäkologen. Nur wenn die Frauen von ihrem Vertrauensarzt auch in der Therapie bestärkt würden, würden sie häufiger die Strapazen der kompletten Behandlung auf sich nehmen. Dr. Sebastian Völker von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe berichtete, wie anhand kleinräumiger geografischer Untersuchungen Ansatzpunkte zur Verbesserung der Impfraten gefunden werden konnten. Dr. Susanna Kramarz vom Bundesverband der Frauenärzte stellte eine Kampagne vor, mit der die Grippe-Impfraten bei schwangeren Frauen gezielt verbessert werden sollen. Grundlage dafür sind regionalisierte Auswertungen zur Inanspruchnahme der Grippe-Impfung, die das Zi im Versorgungsatlas (www.versorgungsatlas.de) veröffentlicht hat.
Das Thema "Zukunft regionale Versorgung" wird beim 16. Deutschen Kongress für Versorgungsforschung, der vom 4. bis 6. Oktober in Berlin stattfindet, im Mittelpunkt stehen.
Kontakt:
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http://www.zi-hsrc-berlin.de/agenda_material.php (Programm der Zi-Konferenz)
http://dkvf2017.de/programm/ (Programm des DKVF 2017)
v.l.n.r. Dr. D. von Stillfried, Geschäftsführer des Zi, Prof. R. Kreienberg, Prof. M. Schrappe
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Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Politics, Social studies
transregional, national
Research results, Scientific conferences
German
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