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10/27/2017 12:14

Studentische Praktika: Vieles passt, aber nicht alles

Sigrid Neef Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Ernst-Abbe-Hochschule Jena

    Empirische Studie der Ernst-Abbe-Hochschule Jena

    Pflichtpraktika sind mittlerweile ein zentraler Bestandteil der Curricula in vielen Hochschulstudiengängen. Durch die praktische Anwendung und Ergänzung theoretischer Studieninhalte sollen der Übergang in das Beschäftigungssystem erleichtert, Probleme des Wissenstransfers abgebaut und die Beschäftigungsbefähigung („Employability“) der Studierenden gefördert werden. Aktuellen Untersuchungen zufolge enthalten fast drei Viertel aller Studiengänge ein mehrmonatiges Praxismodul. Darüber hinaus absolviert etwa jeder vierte Hochschüler zusätzlich ein freiwilliges Praktikum während des Studiums. Sowohl die Studierenden, als auch die Unternehmen können von Praktika profitieren. Während die Hochschüler Praxiserfahrung sammeln und ein mögliches Berufsfeld bzw. einen potenziellen Arbeitgeber näher kennenlernen zu können, kommen die Unternehmen frühzeitig in Kontakt mit akademischen Nachwuchskräften, können Sie unter realen Arbeitsbedingungen erleben und testen und sie im positiven Fall für einen Eintritt ins Unternehmen gewinnen. In Zeiten des demografischen Wandels und des sich verschärfenden Fachkräftemangels in vielen Branchen stellen die Praxisphasen von Studierenden somit eine wichtige Rekrutierungsquelle dar. Praktika haben damit ein eindeutiges Win-Win-Potenzial für Studierende und Unternehmen.

    Doch wie müssen Praktika gestaltet und durchgeführt werden, damit beide Parteien gleichermaßen einen Nutzen daraus ziehen können? Zwar wurden von verschiedenen Institutionen mehr oder weniger konkrete Leitfäden zur Durchführung von Praktika entwickelt und veröffentlicht, bspw. von der IHK Berlin, dem DGB und der IG Metall.
    Aber wie konsequent richten sich die Unternehmen nach solchen Empfehlungen? Wie gut sind Praktika geplant und durchstrukturiert? Und wie zufrieden sind die Studierenden mit ihren Praxisaufenthalten? In Anbetracht der Tatsache, dass mit dem Angebot von Praktika für die Unternehmen in vielen Fällen ein erheblicher finanzieller, personeller und zeitlicher Aufwand einhergeht, stellen schlecht geplante und/oder halbherzig durchgeführte Praktika eine Verschwendung von knappen betrieblichen Ressourcen dar. Weder die Qualifizierungsziele für die Studierenden, noch die Rekrutierungsziele der Unternehmen werden dann erreicht. Aus bildungspolitischer Sicht sind suboptimale Praktika vertane Lernchancen und aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ungenutzte Optionen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit über den Schlüsselfaktor „Humankapital“. Damit drängt sich die Frage auf, welche Erfahrungen Studierende in ihren Praktika gemacht haben, wo sie Unzulänglichkeiten und Verbesserungsmöglichkeiten sehen.

    Empirische Studie:
    Um die Qualität von Praktika aus Sicht der Studierenden, sowie mögliche Fehlerquellen und Optimierungspotenziale genauer zu analysieren, wurde von den beiden Forschern der Ernst-Abbe-Hochschule Jena – Sebastian Schirbe und Prof. Dr. Klaus Watzka – eine Studierendenbefragung durchgeführt. An der im Mai 2017 durchgeführten Online-Befragung beteiligten sich 168 Studierende und Alumni aus diversen Fachbereichen, insbesondere der Wirtschafts-, Ingenieur- und Sozialwissenschaften. Die Zielgruppe hatte im Rahmen ihres Studiums mindestens ein Praktikum absolviert. Zum Großteil studieren oder studierten die Befragten an der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena. 80% der Befragten hatten ihr Praktikum innerhalb der letzten vier Jahre absolviert.

    Empirische Ergebnisse:
    Die gute Nachricht zuerst. In Gesamtschau werden die absolvierten Praktika überwiegend recht positiv bewertet. Die Studierenden bestätigten, dass sie einen großen Nutzen aus ihren Praxisphasen ziehen konnten. 80% der Befragten stuften ihr Praktikum sowohl für die fachliche, als auch für die persönliche Weiterentwicklung als „hilfreich“ ein. Die persönlichen Ziele der Studierenden, wie z. B. „Sammlung von Praxiserfahrung und Kompetenzentwicklung“, wurden in zwei Drittel der Fälle erfüllt. Insgesamt waren 79 % aller Befragten mit ihrem Praktikum „sehr zufrieden“ bzw. „zufrieden“, was in Globalbetrachtung aus Studierendensicht für eine hohe Qualität der durchgeführten Praktika spricht. Allerdings zeigten sich auch in jeder Phase des Praktikums (Einführung, Durchführung, Abschluss/Nachbetreuung) unübersehbare Defizite. Von einem insgesamt guten Basisniveau aus, gibt es in vielen Unternehmen also noch deutlich „Luft nach oben“. Einige ausgewählte und besonders prägnante Ergebnisse der Studie sind in der nachfolgenden Tabelle aufgeführt.

    Phase / Positive Ergebnisse / Optimierungspotenziale
    Einführung • Rund 80 % der Praktikumsbetriebe setzten bei der Einführung neuer Praktikanten umfangreiche Onboarding-Aktivitäten ein (z. B. Unternehmenspräsentation, umfangreiche Einweisung in betriebliche Regelungen, soziale Eingliederung in den Kollegenkreis).

    • 81 % der Befragten wurde ein kom-petenter Praktikumsbetreuer/Mentor zugewiesen.

    • 71 % der Praktikanten erhielten einen gut ausgestatteten Arbeitsplatz.
    • Lediglich 59 % der Befragten erhielten ein Einführungsgespräch, in dem die beidseitigen Erwartungen und Ziele zum Praktikum miteinander abgestimmt wurden.

    • Ein detaillierter, schriftlicher Praktikumsplan wird, unabhängig von der Laufzeit des Praktikums, nur von rund jedem vierten Unternehmen erstellt.
    Durchführung • Rund drei Viertel aller Befragten erhielten eine sorgfältige fachliche Einweisung in ihr Aufgabengebiet.

    • 89 % der Praktikanten hatten Frei-räume bei der Bearbeitung ihrer Aufgaben und bekamen auch Verantwortung übertragen.

    • Bei 78 % der Befragten stand der Praktikantenbetreuer stets für Fragen zur Verfügung.

    • 77 % der Befragten fühlten sich gut in das Team integriert und somit als gleichwertiges Mitglied anerkannt.
    • Ein Drittel der Befragten erhielt kein bzw. kein regelmäßiges Feedback zu ihrer Arbeit.

    • Ebenso stand bei einem Drittel der Befragten kein bzw. kein kompetenter Ansprechpartner für den notwendigen Erfahrungsaustausch zur Verfügung.

    • 24 % der Praktikanten beklagten viel Aufgabenleerlauf und/oder langwei-lige Aufgaben. Bei weiteren 21 % war dies „teilweise“ der Fall.

    • 61 % der Befragten hatten nicht die Möglichkeit, an kompetenzfördernden Seminaren teilzunehmen. Der Zugang zu betrieblichen Bildungsmaßnahmen steht Praktikanten also i.d.R. nicht offen.
    Abschluss und Nachbetreuung • 74 % der Unternehmen stellten den Praktikanten ein aussagekräftiges (qualifiziertes) Arbeitszeugnis aus.

    • 60 % der Befragten bekamen im Anschluss an das Praktikum eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit angeboten (z. B. Anfertigung einer Abschlussarbeit, Werksstudenten-tätigkeit) • Nur etwas mehr als die Hälfte der Praktikanten (57 %) erhielten am En-de des Praktikums ein ausführliches Abschlussgespräch samt Leistungs-beurteilung.

    • Mehrheitlich wurde im Anschluss an das Praktikum der Kontakt seitens der Unternehmen nicht aufrechterhalten. So gaben 50 % der Praktikanten an, dass kein persönlicher Kontakt (z.B. via Telefon, E-Mail usw.) gehalten wurde. Auch unpersönliche Kontaktwege (z.B. Newsletter) wurden bei 71% nicht eingesetzt.


    Weiterhin hat die Auswertung folgende interessante Einzelbefunde ergeben:

    • Bezahlung: Die Zahlung bzw. die Höhe einer Praktikumsvergütung hat keinen Einfluss auf die Zufriedenheit der Praktikanten mit ihrem Praktikum (in der Untersuchung erhielten immerhin 36 % der Befragten keinerlei Vergütung!),

    • Fachgebiete: Wirtschaftswissenschaftler sind mit ihrem Praktikum in deutlich geringeren Umfang „sehr zufrieden“ bzw. „zufrieden“ als Studierende der Ingenieur- oder Sozialwissenschaften. Auch bei der Einschätzung, ob das Praktikum „hilfreich für die fachliche Entwicklung“ war, zeigt sich dieses Gefälle. Ungeklärt muss dabei bleiben, ob Wirtschaftsstudenten kritischer sind oder die Praktika in diesem Bereich tatsächlich eine schlechtere Qualität aufweisen,

    • Praktikumsdauer: Bei einer Praxisphase von vier bis fünf Monaten empfanden die Befragten den größten Nutzen hinsichtlich der persönlichen und fachlichen Weiterentwicklung.

    Schlüsse:

    1. Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere die Gesprächskontakte zwischen Unternehmen und Praktikanten verbesserungswürdig sind. Wichtige Einführungs-, Feedback- und Abschlussgespräche werden oftmals nicht bzw. unzureichend geführt. Die Folge ist, dass die betroffenen Praktikanten keine/wenig Unterstützung bei der Reflexion ihrer Erfahrungen erhalten und systematische, konstruktive Hinweise zur persönlichen und fachlichen Weiterentwicklung oft ausbleiben. Da studentische Praktika vornehmlich Lernzwecken dienen, sind gerade diese Punkte entscheidend für den Erfolg der Praxisphasen. Deshalb sollten während eines Praktikums folgende Gespräche mit dem zuständigen Betreuer obligatorisch sein und systematisch und regelmäßig geführt werden:

    1. Einführungsgespräch
    • Hier sollten die Ziele und Erwartungen miteinander abgestimmt werden, um mögliche Zielkonflikte und/oder überzogene Erwartungshaltungen frühzeitig zu erkennen und auszuräumen.
    • Bereits vorhandene (und fehlende) Erfahrungen, Qualifikationen und spezielle Interessen des Praktikanten sollten zwecks Feinsteuerung des Praktikums detailliert besprochen werden.

    2. Feedbackgespräche
    • Sie dienen einerseits der Rückmeldung der Angemessenheit des Arbeitsverhaltens und eventuell notwendiger Korrekturen und andererseits von Stärken und Schwächen. Letzteres ist auch für die spätere Wahl des Arbeitsgebiets von hoher Bedeutung (Orientierungsfunktion!).
    • Sie sollten erstmalig kurzfristig nach der Übernahme eigener Aufgaben durch den Praktikanten stattfinden, danach regelmäßig in Abständen von sechs bis acht Wochen.

    3. Abschlussgespräche
    • Der zentrale Themenschwerpunkt liegt auf der gemeinsamen Reflexion über die Erfahrungen im Praktikum. Vielfach macht erst eine solch strukturierte Aufarbeitung die Lernerfahrung zu einem dauerhaften Lernerfolg.
    • Wichtiger Bestandteil ist auch die abschließende ehrliche Beurteilung des Praktikanten, um eine zutreffende Selbsteinschätzung zu unterstützen und künftige Entwicklungsfelder zu definieren.
    • In einem Nebenziel dienen sie dem Unternehmen auch der Erfolgskontrolle und liefern Ansatzpunkte für künftige Verbesserungen bei Praktikumsstruktur und -ablauf (Controllingfunktion).

    2. Dass fast die Hälfte der Praktikanten über Aufgabenleerlauf und/oder langweilige Aufgaben klagte, ist ein Zeichen dafür, dass es bei der Aufgabenplanung/-gestaltung teilweise erhebliche Defizite gibt. Insbesondere von den Wirtschaftswissenschaftlern wurde dies beanstandet. Ein Praktikum sollte die Studierenden fordern und möglichst frei von Leerlaufzeiten sein. Aus diesem Grund ist es unabdingbar, dass die Aufgabenfelder und Tätigkeitsinhalte der Praktikantenstellen samt zeitlichen Strukturen im Vorfeld geplant werden. Besonderes Augenmerk ist auf eine angemessene zeitliche Auslastung und einen angemessenen Schwierigkeitsgrad der Tätigkeiten zu legen. Die Erstellung eines schriftlichen (Basis)Praktikumsplans seitens des Unternehmens muss obligatorisch sein. Dieser kann dann im Gespräch mit dem Praktikanten feinjustiert werden und an dessen persönliche Vorerfahrungen, besondere Interessen und Leistungsfähigkeit angepasst werden. Praktikumspläne geben dem Praktikum Struktur, verhindern Leerlauf und steigern so die Motivation und Aufgabenakzeptanz bei den Studierenden. Auf dieses Instrument wird in den Unternehmen bisher nur unzureichend zurückgegriffen.

    3. In der Fußballersprache ist zu monieren, dass die Unternehmen mit der Bereitstellung von interessanten Praktika zwar oft ein gutes Dribbling über den gesamten Platz hinlegen, aber dann vergessen, den Ball ins Tor zu schießen. Unter Rekrutierungsaspekten ist es kaum verständlich, dass die Kontaktpflege durch die Unternehmen im Anschluss an die Praktika oft unzureichend ist. Gerade in Zeiten des schon existierenden oder sich abzeichnenden Nachwuchskräftemangels muss die Möglichkeit einer frühzeitigen Bindung der Praktikanten durch fortgesetzte Kontakte nach dem Praktikum konsequent genutzt werden. Stattdessen dominiert offensichtlich die Haltung „aus den Augen aus dem Sinn“. Bei auftretenden Vakanzen wird dann zeit- und kostenaufwendig rekrutiert, obwohl man eigentlich bei einer potenziellen künftigen Arbeitskraft über das Praktikum schon in einer Pole-Position war. Zumindest wenig aufwendige Maßnahmen wie die Zustellung eines Newsletters, die Zusendung der Werkszeitschrift oder auch die Einladung zu Betriebsfesten sollten als Bindungsmaßnahmen realisiert werden. Für besonders interessante Praktikanten könnte man regelmäßige persönliche Kontakte, Stammtischeinladungen, fallweisen Einbezug in betriebliche Fortbildungsveranstaltungen oder Projektarbeiten etc. prüfen. Was begeistert, bindet auch.

    Sebastian Schirbe, Prof. Dr. Klaus Watzka

    Kontakte:
    Sebastian Schirbe (Bachelor of Arts): schirbe@gmx.de
    Prof. Dr. Klaus Watzka (Professor für Allgemeine Betriebswirtschaft, insbesondere Personalwirtschaft): klaus.watzka@t-online.de


    More information:

    http://www.eah-jena.de


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    Criteria of this press release:
    Business and commerce, Journalists, Scientists and scholars, Students, Teachers and pupils, all interested persons
    interdisciplinary
    transregional, national
    Research projects, Research results
    German


     

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