idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
11/27/2017 11:54

Politik gegen hohen Leistungsbilanzüberschuss praktisch machtlos

Mathias Rauck Kommunikation
Institut für Weltwirtschaft (IfW)

    Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss bleibt auf absehbare Zeit sehr hoch. Die deutsche Politik kann dem kaum entgegenwirken. Einzelne Maßnahmen, die Deutschlands Leistungsbilanzsaldo reduzieren würden, können aufgrund von politischen oder technischen Hemmnissen kaum im nötigen Umfang durchgeführt werden.

    Um den deutschen Leitungsbilanzsaldo nachhaltig zu reduzieren und von heute rund 8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) unter die von der Europäischen Kommission geforderte Marke von 6 Prozent zu bringen, hat die heimische Politik kaum Mittel und Wege. Eine vielerorts geforderte schuldenfinanzierte Erhöhung der öffentlichen Ausgaben hätte ebenso nur einen begrenzten Effekt wie nicht gegenfinanzierte Steuersenkungen. Dies geht aus einem Gutachten mit dem Titel „Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik: Wirkungen auf die deutsche Leistungsbilanz“ (https://www.ifw-kiel.de/pub/wipo/volumes/wipo11.pdf) hervor, welches das Institut für Weltwirtschaft (IfW) im Auftrag des Bundesfinanzministeriums erstellt hat. Es ist heute in der Schriftenreihe Kieler Beiträge zur Wirtschaftspolitik erschienen.

    „Wollte man den deutschen Leistungsbilanzsaldo mit einer einzelnen Maßnahme bis 2021 unter den von der EU-Kommission geforderten Zielwert drücken, wären Schulden und Steuererleichterungen in unrealistischer Größenordnung nötig“, sagte Stefan Kooths, Leiter des IfW-Prognosezentrums und Mitautor der Studie. „Die öffentlichen Investitionen beispielsweise müssten schuldenfinanziert um jährlich etwa 90 Mrd. Euro erhöht werden, ein Anstieg um 150 Prozent, der eine Schuldenaufnahme in Höhe von 3 Prozent des BIPs nötig machen würde. “

    Acht Szenarien durchgerechnet

    Ein Maßnahmenbündel mit etwas realitätsnäherer Ausgestaltung könnte laut Gutachten den Leistungsbilanzsaldo bis 2021 um gut einen Prozentpunkt reduzieren. Dazu müssten die öffentlichen Investitionen schuldenfinanziert um 15 Mrd. Euro jährlich erhöht und die Unternehmenssteuern in einem Volumen von ebenfalls 15 Mrd. Euro gesenkt werden, was jeweils etwa 0,5 Prozent des BIP entspricht. Somit wären jährlich rund 30 Mrd. Euro neue Schulden nötig. Außerdem müssten Liberalisierungen im Dienstleistungshandel umgesetzt werden.

    Handelsliberalisierungen per se und Maßnahmen außerhalb des direkten Einflussbereiches der deutschen Politik, etwa eine Erhöhung der Nominallöhne in Deutschland, eine Leitzinserhöhung durch die Europäische Zentralbank oder eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit anderer EU-Mitgliedsländer, könnten den deutschen Leistungsbilanzsaldo nicht spürbar reduzieren und ihn je nach Annahmen sogar erhöhen.

    In ihrem Gutachten spielen die Forscher des IfW acht Szenarien in ihrer Wirkung auf den deutschen Leistungsbilanzsaldo bis zum Jahr 2021 durch. Die größte Wirkung im Sinne einer Reduzierung hätte demnach ein schuldenfinanziertes Absenken der Unternehmenssteuern. Nationale Ersparnisse würden absorbiert, die heimische Konjunktur durch Investitionen angekurbelt und die Importe würden steigen.

    Bei gegenfinanzierten Maßnahmen verpufft der Effekt schnell

    Eine Steuersenkung im Umfang von 1 Prozent in Relation zum BIP würde den deutschen Leistungsbilanzsaldo demnach um 1,2 Prozentpunkte reduzieren. „Die Steuersenkung entspräche mit einem Volumen von rund 30 Mrd. Euro einer Reduktion der Gewerbesteuersätze um etwa 2/3, eine solch drastische Absenkung ist politisch wohl nur schwer umsetzbar“, sagte Kooths. Für einen Rückgang des Leistungsbilanzsaldos um 2 Prozentpunkte müsste das Entlastungsvolumen verdoppelt werden; dies entspräche einer ersatzlosen Abschaffung der Gewerbesteuer zuzüglich einer Halbierung des Steuersatzes in der Körperschaftsteuer.

    Würde der deutsche Staat schuldenfinanziert in einem Umfang von 1 Prozent des BIPs seine Investitionen erhöhen, würde dies den Leistungsbilanzsaldo nur um 0,7 Prozentpunkte reduzieren. Eine Steigerung der Konsumausgaben brächte eine Minderung um 0,6 Prozentpunkte, eine Steuerentlastung für private Haushalte nur noch 0,4 Prozentpunkte.

    Werden die Maßnahmen gegenfinanziert, verringert sich die Wirkung auf den Leistungsbilanzsaldo allerdings merklich, so die Forscher. „Alle Maßnahmen hätten nur eine temporäre Wirkung, nämlich für den Zeitraum, für den sie schuldenfinanziert werden“, so Kooths.

    Unabhängig von den Ergebnissen des Gutachtens halten es die Konjunkturforscher des IfW nicht für angemessen, die Leistungsbilanz als wirtschaftspolitische Zielgröße zu betrachten. „Bislang sind die Ursachen für den Leistungsbilanzüberschuss nicht hinreichend geklärt und es ist fraglich, ob und in welcher Höhe überhaupt Korrekturbedarf besteht“, sagte Kooths. „Wirtschaftspolitische Maßnahmen sollten nicht alleine deshalb ergriffen werden, weil sie den Leistungsbilanzüberschuss senken könnten.“

    Zum Gutachten: Kieler Beiträge zur Wirtschaftspolitik, „Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik: Wirkungen auf die deutsche Leistungsbilanz“ https://www.ifw-kiel.de/pub/wipo/volumes/wipo11.pdf

    Fachlicher Ansprechpartner:
    Prof. Dr. Stefan Kooths
    Leiter Prognosezentrum IfW
    T +49 431 8814-579 (Büro Kiel)
    T +49 30 2067-9664 (Büro Berlin)
    stefan.kooths@ifw-kiel.de

    Medienansprechpartner:
    Mathias Rauck
    T +49 431 8814-411
    mathias.rauck@ifw-kiel.de

    Institut für Weltwirtschaft
    Kiel Institute for the World Economy
    Kiellinie 66 | 24105 Kiel, Germany
    www.ifw-kiel.de


    Images

    Criteria of this press release:
    Business and commerce, Journalists, Scientists and scholars
    Economics / business administration, Politics, Social studies
    transregional, national
    Transfer of Science or Research
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).