Welchen Einfluss ein einzelnes Wort auf den Sprachgebrauch von Lesern und ihre Einschätzung von Suizid haben kann, zeigt eine empirische Studie.
Selbstmord, Freitod oder Suizid – welches Wort in der Berichterstattung über Suizid verwendet wird, hat einen entscheidenden Einfluss darauf, wie Suizid von Lesern wahrgenommen und in weiterer Folge bewertet wird. Das bestätigt erstmals eine empirische Studie, die Dr. Florian Arendt vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU gemeinsam mit seinem früheren Kollegen Dr. Sebastian Scherr (inzwischen Leuven School for Mass Communication Research in Belgien) und Forschern der Medizinischen Universität Wien gemacht hat. Sie erscheint aktuell im Fachjournal Social Science & Medicine.
An der Studie nahmen 451 Personen teil, die in drei Gruppen aufgeteilt wurden. Sie lasen mehrere kurze Zeitungstexte über Suizide, die sich nur in der Wortwahl für Suizid unterschieden („Suizid“, „Selbstmord“ oder „Freitod“). Jede Person las in den Texten immer nur einen der drei Begriffe. Anschließend wurden die Teilnehmer gebeten, das Gelesene mit eigenen Worten zusammenzufassen, einen Lücken-Text zu ergänzen sowie einige Fragen zu ihren Ansichten über Suizid zu beantworten. „Es zeigt sich ganz klar ein Effekt. So verwendeten etwa Teilnehmer überdurchschnittlich häufig jenes Wort, das sie zuvor in den Texten gelesen haben“, sagt Florian Arendt.
Zudem liefert die Studie erstmals Hinweise darauf, dass die drei Begriffe unterschiedliche Assoziationen bei Lesern wecken. So zeigten Probanden, die das Wort „Freitod“ gelesen hatten, größeres Verständnis für den Suizid unheilbar Kranker und befürworteten diesen. Dabei wird genau dieser Begriff aus Sicht von Suizidexperten kritisch gesehen: „Der Begriff ‚Freitod‘ impliziert, dass Betroffene eine freie rationale Entscheidung treffen. Die Forschung zeigt jedoch, dass suizidale Personen typischerweise eine verengte Sicht auf sich selbst, ihr Leben und ihre Umwelt haben – in etwa vergleichbar einem emotionalen Tunnelblick. Das macht es äußerst schwierig, ihre Entscheidung als ‚frei‘ und ‚rational‘ zu bezeichnen“, sagt Arendt.
In einer früheren Publikation konnte der Kommunikationswissenschaftler zeigen, dass deutschsprachige Medien am häufigsten den Begriff „Selbstmord“ verwenden, „Suizid“ jedoch inzwischen fast ebenso häufig verwendet wird. Aber auch der Begriff „Freitod“ wird in der Berichterstattung regelmäßig verwendet. Der Begriff „Selbstmord“ gilt als nicht empfehlenswert, da dieser einen vermeintlichen Bezug zu Kriminalität herstellt. „Freitod“ gilt als problematisch, da er die Assoziation einer freien, rationalen Entscheidung auslöst. Im Deutschen wird für die Berichterstattung der neutrale Begriff „Suizid“ empfohlen.
„Unsere Studie unterstreicht, welche wichtige Rolle Medien bei der Prävention von Suiziden einnehmen können. Für eine verantwortungsvolle Berichterstattung sollte auf eine möglichst neutrale Wortwahl geachtet werden“, sagt Arendt. Die Wortwahl sei allerdings nur „ein einzelner Baustein einer verantwortungsvollen Suizid-Berichterstattung, von der die empirische Forschung gezeigt hat, dass diese Suizide verhindern kann“. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention veröffentlichten Medienempfehlungen für eine umfangreiche verantwortungsvolle Suizid-Berichterstattung.
Publikation:
Florian Arendt, Sebastian Scherr, Thomas Niederkrotenthaler, Benedikt Till: The role of language in suicide reporting: Investigating the influence of problematic suicide referents. In: Social Science & Medicine 2018
Kontakt
Dr. Florian Arendt
Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU
Tel.: +49 (0) 89/2180-9413
E-Mail: florian.arendt@ifkw.lmu.de
Criteria of this press release:
Journalists
Media and communication sciences, Social studies
transregional, national
Research results
German
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