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09/22/2003 13:33

Darf nicht gekennzeichnetes Saatgut gentechnische Verunreinigungen enthalten?

Christiane Rathmann Öffentlichkeit und Kommunikation
Öko-Institut e. V. - Institut für angewandte Ökologie

    Öko-Institut e.V. spricht sich für Reinheitsgebot aus / EU-Kommission veröffentlicht heute eine umstrittene Richtlinie / Newsletter Spezial stellt Hintergründe dar

    Darf nicht gekennzeichnetes Saatgut gentechnische Verunreinigungen enthalten? Während die EU-Kommission in Brüssel diese Frage bejaht, lehnt das Öko-Institut e.V. in Freiburg diesen Ansatz entschieden ab. "Wir empfehlen ein Reinheitsgebot für Saatgut", sagt Dr. Beatrix Tappeser. Die Wissenschaftlerin ist Koordinatorin des Bereichs "Biodiversität, Ernährung & Landwirtschaft" im Öko-Institut e.V. in Freiburg. "Das Saatgut sollte maximal 0,1 Prozent gentechnisch veränderte Bestandteile enthalten dürfen. Das ist die technische Nachweisgrenze. Mit diesem Grenzwert ist die Wahlfreiheit der Landwirte gewährleistet, eine gentechnikfreie und ökologische Landwirtschaft zu betreiben", erläutert die Expertin.

    Der Hintergrund: Die EU-Kommission hat am 5. September 2003 einen Vorschlag für eine Saatgut-Richtlinie vorgelegt. Das Gremium vertritt darin die Position, dass Saatgut künftig in Abhängigkeit von der Nutzpflanzenart 0,3 bis 0,7 Prozent gentechnisch veränderter Sorten enthalten kann, ohne dass dies gekennzeichnet werden muss. So sollte Rapssaatgut ab 0,3 Prozent, Maissaatgut ab 0,5 Prozent und Sojasaatgut erst ab 0,7 Prozent gentechnisch veränderter Bestandteile gekennzeichnet werden. Am heutigen Montag (22. September) legt die EU-Kommission diesen Vorschlag dem Ständigen Ausschuss für Saatgut in Brüssel vor, der Mitte Oktober darüber abstimmen soll. Das Öko-Institut bezieht mit einer Spezialausgabe der regelmäßig erscheinenden Gentechnik-Nachrichten in dieser Diskussion Stellung. Der Newsletter berichtet unter anderem über die Hintergründe und Problematik der gentechnischen Verunreinigung von Saatgut (www.oeko.de, Rubrik Pressemitteilungen).

    Aus Sicht der WissenschaftlerInnen im Öko-Institut sprechen mehrere Gründe gegen die neue Richtlinie aus Brüssel:

    >Sie schränkt die Wahlfreiheit der Landwirte sehr stark ein, möglichst gentechnikfrei zu produzieren. Künftig muss von einem nicht gekennzeichneten Anteil gentechnisch veränderten Saatguts ausgegangen werden

    >Zudem werden durch die Zulassung von gentechnisch verändertem Saatgut die Kriterien des ökologischen Landbaus unterlaufen. Beim ökologischen Landbau sind keine transgenen Sorten zugelassen.

    >Befürchtet werden auch Konsequenzen für Lebensmittel. Wenn schon verunreinigtes Saatgut verwendet wird, wird der Schwellenwert für gentechnisch veränderte Bestandteile in Nahrungsmitteln, die eine Kennzeichnung erfordern, schnell überschritten. Der Grenzwert liegt europaweit bei 0,9 Prozent.

    >Die Richtlinie schränkt zudem die Wahlfreiheit der VerbraucherInnen ein, sich bewusst für gentechnikfreie Produkte entscheiden zu können.

    Nach Einschätzung des Öko-Instituts ist ein Reinheitsgebot insbesondere für das Saatgut sehr gut umzusetzen. So nimmt die Saatgutproduktion einen so geringen Flächenanteil ein, dass Abstandsregelungen und die Produktion in gentechnikfreien Gebieten gut durchzusetzen sind. Reines Saatgut entschärft zudem die "Koexistenzproblematik" zwischen Gen-Bauern und Öko-Landwirten. Gleichzeitig sorgt es auch für Entspannung bei der Frage der Abstandsregeln, die in der Diskussion um das "Herüberwehen" von gentechnisch veränderten Pollen verhandelt werden.

    Das Öko-Institut appelliert zudem an die Saatgutindustrie, ihre Kenntnisse und Möglichkeiten bei der Saatgutproduktion so wirkungsvoll einzusetzen, dass auf den einzelnen Landwirt eine möglichst geringe Belastung mit gentechnisch veränderten Organismen zukommt. Nur so sei es möglich, dass der Schwellenwert von 0,9 Prozent für gentechnisch veränderte Lebensmittel eingehalten werden könne.

    Das Öko-Institut e.V. gibt zu Fragen der Gentechnik regelmäßig einen Newsletter heraus. Er berichtet über die aktuellen Entwicklungen, die politischen Entscheidungen und Kontroversen. Dieser Newsletter und die Spezialausgaben können über die Homepage des Öko-Instituts abonniert werden. An dieser Stelle informiert ein Archiv auch über zurückliegende Debatten.

    Das Öko-Institut e.V. ist das führende Umweltforschungsinstitut im Bereich der angewandten Ökologie. Es erstellt Gutachten und berät PolitikerInnen, Umweltverbände, Institutionen und Unternehmen. An den drei Standorten Freiburg, Darmstadt und Berlin beschäftigt das Institut über 100 MitarbeiterInnen, darunter 70 WissenschaftlerInnen.

    Zum Weiterlesen:

    >Gutachterliche Stellungnahme zu den Vorstellungen der EU-Kommission zu Fragen der Koexistenz gentechnisch veränderter, konventioneller und ökologischer Kulturen - Gutachten und Positionspapier (pdf, 784 KB)
    Beatrix Tappeser, Andreas Hermann & Ruth Brauner, April 2003

    >Grüne Gentechnik und ökologische Landwirtschaft - Übergreifende Fragen des Umweltschutzes, in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau Berlin e.V. - Auftraggeber: Umweltbundesamt (pdf, 894 KB) - Bereich Biodiversität, Ernährung & Landwirtschaft

    Im Anhang dieser Pressemitteilung verschicken wir ein schriftliches Interview mit Dr. Beatrix Tappeser zu der Problematik (siehe weiter unten). Ein Foto der Wissenschaftlerin steht auf der Homepage des Öko-Instituts zum kostenlosen Download zur Verfügung.

    Ansprechpartnerin:

    Dr. Beatrix Tappeser, Koordinatorin des Bereichs "Biodiversität, Ernährung & Landwirtschaft" b.tappeser@oeko.de, Telefon 0761/452 95-39

    "Für den ökologischen Landbau sind die Schwellenwerte existenzbedrohend"

    Interview mit Dr. Beatrix Tappeser vom Öko-Institut e.V. in Freiburg zu der heute veröffentlichten Saatgut-Richtlinie aus Brüssel

    Die EU-Kommission hat einen Vorschlag für eine Saatgut-Richtlinie vorgelegt. Darin ist vorgesehen, dass Saatgut künftig 0,3 bis 0,7 Prozent gentechnisch veränderter Sorten enthalten kann, ohne dass dies gekennzeichnet werden muss. Was haben diese Werte für konkrete Konsequenzen für die konventionelle und ökologische Landwirtschaft?

    Dr. Beatrix Tappeser: Es wird eine große Verunreinigung gleich zu Beginn der Produktionskette akzeptiert.. Durch diese Grundverunreinigung würde es sowohl für den konventionellen wie auch für den ökologischen Landbau schwieriger, gentechnikfrei zu produzieren. Die Prozesskette von Produktion und Verarbeitung wird zudem für zusätzliche Verunreinigungen sorgen, wenn nicht vollständig getrennte Ernte-, Transport- und Verarbeitungswege eingehalten werden. Damit würde es immer schwieriger werden, unterhalb der Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Bestandteile in Lebensmitteln zu bleiben, die bei 0,9 Prozent liegt. Speziell für die ökologische Landwirtschaft sind die Schwellenwerte existenzbedrohend. Denn die ökologische Landwirtschaft hat sich verpflichtet, keine transgenen Sorten anzubauen oder zu verarbeiten. Mit dieser Aufweichung der Kennzeichnungspflicht würde der ökologische Landbau vor gravierende Probleme gestellt.

    Welche Auswirkungen hat die Richtlinie auf die VerbraucherInnen?

    Die Wahlfreiheit der VerbraucherInnen ist dadurch ebenfalls deutlich eingeschränkt. Es wird in Zukunft schwieriger werden, gentechnikfreie Produkte zu erhalten. Es kommt ein ökonomisches Problem hinzu. Wenn Brüssel zu Beginn der Produktionskette beim Saatgut eine Verunreinigung zulässt, resultieren durch die eben angesprochenen Produktions- und Transportketten enorm viele gentechnisch verunreinigte Produkte. Die Kontrollen und Stichprobengröße müssten massiv ausgeweitet werden, was hohe Kosten nach sich zieht. Unter dem ökonomischen Blickwinkel heißt das: lieber 5 Tonnen Saatgut kontrollieren als 5 Millionen Tonnen Produkte kontrollieren und kennzeichnen. Es ist außerdem zu befürchten, dass die Kosten für die engmaschigen Kontrollen und die Kennzeichnung der Produkte auf die VerbraucherInnen übertragen werden.

    Gibt es Studien, die die gesundheitlichen Risiken für Menschen und Tiere anhand dieser Schwellenwerte untersuchen?

    An diesen Fragen wird intensiv geforscht. Es gibt Fütterungsstudien mit bt-Mais, also insektenresistentem Mais, die Hinweise darauf geben, dass es Auswirkungen auf Nichtzielorganismen gibt. Die langfristigen Folgen dieser Eingriffe ins Ökosystem sind komplex und lassen zum jetzigen Zeitpunkt noch keine eindeutige ökologische Bewertung zu. Es besteht allerdings der Verdacht, dass sich gentechnische Verunreinigungen nachteilig auswirken. Daher muss die Option auf Gentechnikfreiheit unbedingt erhalten bleiben. Und da ist es sowohl ökologisch als auch ökonomisch wirkungsvoller, beim Saatgut mit der größtmöglichen Reinheit anzusetzen

    Wer kontrolliert und sanktioniert die Schwellenwerte bzw. deren Überschreitung?

    Das muss mit dem Gentechnik-Gesetz festgelegt werden, das gerade diskutiert wird. Wahrscheinlich werden Institute der Lebensmittelüberwachung und Aufsichtsämter die Kontrolle und Kennzeichnung übernehmen. Auch diese zusätzlichen Kapazitäten müssen natürlich finanziert werden.

    Welche Position vertritt das Öko-Institut in dieser Debatte?

    Wir empfehlen ein Reinheitsgebot für Saatgut. Das bedeutet konkret, dass Saatgut maximal 0,1 Prozent gentechnisch veränderte Bestandteile enthalten darf. Das entspricht der technischen GentechnikNachweisbarkeitsgrenze. Mit diesem Grenzwert ist die Wahlfreiheit der Landwirte gewährleistet, eine gentechnikfreie und ökologische Landwirtschaft zu betreiben. Wir wollen ökologischen Landbau. Und der hängt entscheidend an den kennzeichnungspflichtigen Schwellenwerten. Damit erhalten wir auch die Wahlfreiheit der VerbraucherInnen, sich bewusst für gentechnikfreie Produkte entscheiden zu können. Wir wollen auch für die Zukunft eine gentechnikfreie Option.


    More information:

    http://www.oeko.de


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    Criteria of this press release:
    Biology, Chemistry, Environment / ecology, Information technology, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Oceanology / climate, Zoology / agricultural and forest sciences
    transregional, national
    Research results, Science policy
    German


     


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