Wenn sie unbehandelt bleiben, können Hörstörungen dazu führen, dass Menschen im Alter stürzen, vereinsamen oder ihre geistigen Fähigkeiten nachlassen. Eine Pilotstudie, die auf der 89. Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO KHC) in Lübeck vorgestellt wird, hat gezeigt, dass eine Versorgung mit einem Cochlea-Implantat nicht nur die Lebensqualität der Senioren verbessert, sondern auch die kognitiven Leistungen. Über die Studie und die Versorgungsmöglichkeiten bei Schwerhörigkeit spricht die Studienautorin auch auf der Pressekonferenz im Vorfeld der 89. Jahresversammlung am 8. Mai in Lübeck.
Ältere Menschen leiden überproportional häufig unter hals-nasen-ohrenärztlichen Problemen, allen voran unter einer meist beidseitigen Hörstörung, der sogenannten Altersschwerhörigkeit. Jeder dritte Mensch im Alter von 65 Jahren ist davon betroffen. Anfangs bezieht sich die Hörstörung nur auf die hohen Töne. „Die Senioren bemerken, dass sie das Vogelgezwitscher nicht mehr wahrnehmen“, erläutert Privatdozentin Dr. med. Christiane Völter von der Ruhr-Universität Bochum im Vorfeld der 89. Jahresversammlung. „Später fällt es den Betroffenen immer schwerer, anderen Menschen im Gespräch zu folgen“, sagt die Leiterin der Abteilung für Hörrehabilitation an der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde im St. Elisabeth-Hospital.
Häufig werden Hörstörungen im Alter nicht oder erst spät erkannt und behandelt, weil Betroffene den Hörverlust nicht wahrhaben wollen oder auch die Umgebung ihn nicht erkennt. Wird die Hörstörung nicht behandelt, kann dies schwerwiegende Folgen haben: Viele Senioren reagieren auf die Hörbeeinträchtigung mit sozialem Rückzug. Die verminderte Hörfähigkeit belastet nicht nur die Psyche, was sich in der Entwicklung von Depressionen zeigen kann. Auch die geistigen Fähigkeiten können nachlassen. Dr. Völter erläutert: „Langzeitstudien haben gezeigt, dass Menschen mit Hörstörungen häufiger eine Demenz entwickeln. Bei mittelgradigen Hörstörungen steigt das Risiko um das Doppelte, bei einer hochgradigen sogar um das 5-Fache.“
Hörgeräte können dabei helfen, ältere Menschen wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Die heutigen digitalen Geräte sind technisch so ausgereift, dass sie nach einer langsamen Eingewöhnung von den Betroffenen in der Regel auch regelmäßig genutzt werden. „Es ist bedauerlich, dass nach Schätzungen des Bundes für Schwerhörige dennoch weniger als 50 Prozent der mittel- bis hochgradig Schwerhörigen in Deutschland mit einem Hörgerät versorgt sind“, sagt Dr. Völter.
Ein konventionelles Luftleitungshörgerät ist allerdings nicht für alle schwerhörigen Menschen sinnvoll und ausreichend. So kann ein Cochlea-Implantat erforderlich werden, wenn die Innenohrschwerhörigkeit in Richtung einer nahezu vollständigen Ertaubung fortgeschritten ist. Die Geräte, die über ein Mikrofon den Schall aufnehmen und die Signale elektrisch auf den Hörnerv übertragen, wurden ursprünglich für taube Kinder entwickelt. „Inzwischen werden Cochlea-Implantate immer häufiger auch bei älteren Menschen eingesetzt“, berichtet Dr. Völter.
Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die operative Implantation bei älteren Menschen sicher ist. „Unter Beachtung von vorbestehenden Erkrankungen ist die Komplikationsrate bei Älteren mit der von Jüngeren vergleichbar “, sagt Dr. Völter. „Bei den meisten Patienten verbessert sich nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die geistigen Fähigkeiten scheinen von einer solchen Rehabilitation zu profitieren “. Dr. Völter hat dies in einer Pilotstudie mit einer Reihe von Tests untersucht. Die Patienten führten dabei zehn Übungen am Computer vor und nach einer solchen Operation durch, die verschiedene kognitive Bereiche prüfen. „Bereits nach sechs Monaten zeigte sich eine verbesserte Performance im Bereich von Aufmerksamkeit, verzögerter Erinnerung, Impulskontrolle und Arbeitsgedächtnis“, berichtet die Expertin für Hörrehabilitation. Die größten Verbesserungen gab es in den Tests zu exekutiven Funktionen. Diese messen die Fähigkeit zu komplexen Leistungen, wie sie im Alltag benötigt werden. „Ob eine Hörrehabilitation die Entwicklung einer Demenz verzögern kann, muss zum jetzigen Zeitpunkt noch offen bleiben. Sie kann jedoch dazu beitragen, dass ,Altern‘ leichter gelingt“, sagt Dr. Völter.
Auf der Pressekonferenz am 8. Mai anlässlich der 89. Jahresversammlung der DGHNO KHC spricht Privatdozentin Dr. med. Christiane Völter über die Bedeutung der optimalen Versorgung von Patienten mit Altersschwerhörigkeit und die Möglichkeiten der Therapie mit Hörgeräten und Cochlea-Implantaten. „Altern mit allen Sinnen“ ist auch Thema des Rundtischgesprächs am 11. Mai 2018. Dann diskutieren HNO-Experten gemeinsam mit Geriatern, Gerontologen und Ophthalmologen, wie neben dem Hören auch Riechen, Schmecken, Fühlen und Sehen optimal im Alter erhalten bleiben können.
Bei Veröffentlichung Beleg erbeten.
Quellen:
Völter C, Götze L, Falkenstein M, Dazert S, Thomas JP. Application of a computer-based neurocognitive assessment battery in the elderly with and without hearing loss. Clinical Interventions in Aging 2017; 12: 1681-1690
Völter C, Götze L, Käppeler R, Dazert S, Thomas JP. Prospektive Langzeituntersuchung zur Neurokognition nach Cochlea Implantation
Laryngo-Rhino-Otologie 2018; 97(S 02): S270
Völter C, Götze L, Dazert S, Falkenstein M, Thomas JP.
Can cochlear implantation improve neurocognition in the aging population?
Clinical Interventions in Aging 2018, 13:701-712, Published Date: 20 April 2018
Kontakt für Journalisten:
Pressestelle Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde,
Kopf- und Hals-Chirurgie e.V., Bonn (DGHNO KHC)
Stephanie Priester
Postfach 30 11 20
70451 Stuttgart
Tel: 0711 89 31-605/-442
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