Weit mehr als drei Millionen Medizinprodukte werden jedes Jahr in Deutschland implantiert oder kommen bei diagnostischen und therapeutischen Interventionen zum Einsatz. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) e. V. fordert in einer aktuellen Stellungnahme eine verbindliche Regelung für den Umgang mit Explantaten und die Einführung verpflichtender Register für Medizinprodukte hoher Risikoklassen. Der Implantatverbleib ist eine Lücke in der neuen europäischen Medical Device Regulation, deren nationale Umsetzung seit einem Jahr vorbereitet wird.
Wie dies im Interesse der Patienten geschehen kann, haben Experten der AWMF jetzt unter anderem mit Vertretern des Bundesgesundheitsministeriums (BMG), des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und Vertretern der Industrie beraten. Im Mittelpunkt steht das Anliegen, medizintechnische Innovationen wissenschaftlich verlässlich zu prüfen und rasch den Patienten zugänglich zu machen.
Der Einsatz von künstlichen Hüft- und Kniegelenken oder auch Herzklappen gehört zu den erfolgreichsten Eingriffen in der Medizin. Der Erfolg der Operation hängt jedoch von der Qualität des jeweiligen Medizinproduktes ab. Nach dem Brustimplantateskandal 2012 hat die EU die bislang geltende Medical Device Directive zu einer Medical Device Regulation (MDR) weiterentwickelt, die auf nationaler Ebene die Sicherheit und den Nutzen von Medizinprodukten hoher Risikoklassen sicherstellen soll. Diese Richtlinie gilt ab 2019 in Deutschland. Alle Beteiligten müssen nun gewährleisten, dass die MDR nationale Rahmenbedingungen berücksichtigt und ihren Zweck erfüllt. „Auf der einen Seite müssen wir die Innovationsfähigkeit in Deutschland erhalten und fördern, gleichzeitig jedoch Prüfsysteme etablieren, die wissenschaftlich fundiert die Sicherheit und den Nutzen von neuen Medizinprodukten gewährleisten“, erklärt Professor Dr. med. Ernst Klar, Vorsitzender der AWMF-Sektion „Bewertung von Medizinprodukten“ und Chefarzt der chirurgischen Universitätsklinik in Rostock.
Um die Patientensicherheit zu erhöhen, ist es unverzichtbar, Implantate in Registern zu erfassen und den Umgang mit Implantaten, die aus dem menschlichen Körper wieder entfernt werden mussten, zu regeln. „Nur so lassen sich Produktauffälligkeit frühzeitig feststellen und künftige Patienten schützen“, betont Professor Dr. med. Rolf Kreienberg, Präsident der AWMF. Bislang verbleibt das explantierte Implantat im Besitz des Patienten, da es sein Eigentum ist. Künftig soll der Patient entscheiden können, ob er das explantierte Implantat für Prüfzwecke abgibt. Um dies flächendeckend umzusetzen, empfiehlt die AWMF in den behandelnden Einrichtungen eine standardisierte Vorgehensweise zu etablieren. Als auffällig gilt ein Implantat immer dann, wenn es vollständig oder teilweise seine Funktion verliert. Dies kann vielfältige Ursachen haben – unter anderem einen Konstruktionsfehler. „Eine systematische, wissenschaftliche Analyse von explantierten Medizinprodukten durch einen unabhängigen Sachverständigen ist wichtig, um die Produkte künftig besser überwachen zu können“, betont Ernst Klar. Besteht der Verdacht auf einen Produktschaden, muss dies dem Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemeldet werden.
Da derzeit nicht alle Explantate aufzuheben sind, empfiehlt die AWMF dieses Vorgehen für alle Medizinprodukte, die erst seit zwei Jahren auf dem Markt sind. Ist ein Medizinprodukt bereits lange im Einsatz, wird nahezu flächendeckend in einem Register dokumentiert und zeigte bislang keine Auffälligkeiten, ist dies nicht notwendig. „Für die Evaluation und Rezertifizierung von Implantaten müssen zwingend Registerdaten zur Verfügung stehen“, fordert der AWMF-Präsident. Dazu müssten die Finanzierung und die Qualität der Datenerfassung auch seitens des Gesetzgebers gewährleistet werden. Die bereits bestehenden Register der Fachgesellschaften für den Gelenkersatz oder Herzklappen sollten in zentralen Registern wie dem Deutschen Implantateregister des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) berücksichtigt werden. „Die AWMF und ihre Fachgesellschaften haben zum Umgang mit Medizinprodukten eine hohe Expertise aufgebaut, die sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene von den politischen Entscheidern und Gremien aktiv genutzt wird“, freut sich Ernst Klar. In den kommenden Monaten sind die medizinisch-wissenschaftlichen Experten im Nationalen Arbeitskreis für die Implementierung der MDR (NAKI) gefragt, Kriterien für den klinischen Nutzen von neuen Medizinprodukten, aber auch für die „alten“ Produkte festzulegen.
Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) bündelt die Interessen der medizinischen Wissenschaft und trägt sie verstärkt nach außen. Sie handelt dabei im Auftrag ihrer 178 medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Gegründet 1962 mit dem Ziel, gemeinsame Interessen stärker gegenüber dem Staat und der ärztlichen Selbstverwaltung zu positionieren, erarbeitet die AWMF seitdem Empfehlungen und Resolutionen und vertritt diese im wissenschaftlichen und politischen Raum. Die AWMF ist Ansprechpartner für gesundheitspolitische Entscheidungsträger, wie den Gemeinsamen Bundesausschuss, und koordiniert die Entwicklung und Aktualisierung medizinisch wissenschaftlicher Leitlinien in Deutschland. Jede gemeinnützige Fachgesellschaft in Deutschland kann Mitglied werden, sofern sie sich wissenschaftlichen Fragen der Medizin widmet. Die AWMF finanziert sich vorwiegend durch die Beiträge ihrer Mitgliedsgesellschaften und Spenden.
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https://www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Stellungnahmen/Medizinische_Versorgun... Stellungnahme zum Implantatverbleib
Criteria of this press release:
Journalists
Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
transregional, national
Science policy, Transfer of Science or Research
German
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