Deutsch-österreichische Forschungsgruppe zu europäischen Vergesellschaftungsprozessen abgeschlossen.
Oldenburg. Von wegen Europamüdigkeit: Gut die Hälfte aller EU-Bürgerinnen und Bürger fühlt sich mit einem anderen europäischen Land besonders verbunden – meist durch persönliche Erfahrungen wie Reisen, einen Studierendenaustausch oder Online-Freundschaften. Das ist ein Ergebnis der Forschungsgruppe „Europäische Vergesellschaftungsprozesse. Horizontale Europäisierung zwischen nationalstaatlicher und globaler Vergesellschaftung“, die offiziell am 30. September endet. Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) geförderte Gruppe forschte insgesamt sechs Jahre gemeinsam und wurde von dem Oldenburger Soziologen und Europaforscher Prof. Dr. Martin Heidenreich koordiniert.
Zunehmende Verflechtungen
Unter dem Schlagwort „Horizontale Europäisierung“ verstehen die Soziologen zum Beispiel organisatorische, wirtschaftliche, politische und soziokulturelle Verflechtungen über nationale Grenzen hinweg, aber auch veränderte individuelle Einstellungs- und Verhaltensmuster der Bürger Europas. Der europäische Integrationsprozess hat nach Erkenntnis der Gruppe die sozialen Beziehungen und die Lebenssituation vieler Menschen auf dem Kontinent tiefgreifend verändert. „Wir leben nicht mehr nur im nationalen Kontext, sondern lieben und reisen, studieren und arbeiten zunehmend grenzübergreifend“, berichtet Heidenreich.
Für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stand die Frage im Mittelpunkt, wie sich die europäische Integration auf den Alltag der Menschen auswirkt. So beschäftigten sie sich unter anderem mit der Frage, wie Asylverwaltung heute in Europa organisiert ist oder ob es Hinweise für eine europäische Solidarität gibt. Im Oldenburger Teilprojekt „Europäisierung sozialer Ungleichheit“ zeigte sich, dass die sozialen Verhältnisse in Europa derzeit nach jahrzehntelanger Angleichung wieder auseinanderdriften.
Das Armutsrisiko für Benachteiligte steigt
Das Oldenburger Team verglich unter anderem Einkommensverhältnisse, Arbeitslosenzahlen und den Zugang zur Gesundheitsversorgung in verschiedenen Ländern. Dafür nutzten sie Daten aus einer europaweiten Statistik zu Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC). „Wir beobachten gerade in der Eurozone eine doppelte Dualisierung: zwischen Zentrum und Peripherie auf der einen Seite und zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen wie etwa Höher- und geringer Qualifizierten, Einheimischen und Migranten, Jungen und Älteren, Alleinerziehenden und Kernfamilien auf der anderen Seite“, berichtet Dr. Jenny Preunkert, die zusammen mit Martin Heidenreich das Projekt leitet. Generell habe sich das Armutsrisiko vor allem für ohnehin schon benachteiligte Gruppen wie Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte erhöht.
Ein zentrales Ergebnis des Gesamtprojektes: „Auch wenn der Nationalstaat nach wie vor wichtig ist, beobachten wir doch Europäisierungsprozesse in allen untersuchten Bereichen. So gibt es Anzeichen von europäischer Solidarität zwischen den Bürgern, aber auch transnationale Ungleichheitsmuster“, sagt Heidenreich. Der Soziologe ist Professor für Sozialstrukturanalyse und Leiter des Jean Monnet Centre for Europeanisation and Transnational Regulations. An der von ihm koordinierten Forschungsgruppe waren Fachkollegen aus Friedrichshafen, Berlin, Linz, Magdeburg und Siegen beteiligt.
Dr. Jenny Preunkert, Tel.: 0441/798-2355, E-Mail: jenny.preunkert@uol.de
Criteria of this press release:
Business and commerce, Journalists, Scientists and scholars, Students, Teachers and pupils, all interested persons
Politics, Social studies
transregional, national
Research projects, Research results
German
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