Qualitätsstandards für den effektiven Umgang mit den Humankapitalressourcen in der Region - Gelsenkirchen-Forum im Institut Arbeit und Technik diskutierte über "Qualität und Kosten der Ausbildung im internationalen Vergleich"
Gewerkschaften und Arbeitgeber in Nordrhein-Westfalen wollen in Zusammenarbeit mit dem Institut Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen) eine Weiterbildungsinitiative auf den Weg bringen, die Ordnung in den unüberschaubaren Dschungel von betriebsinternen und -externen, staatlichen und arbeitsmarktpolitischen Angeboten zur beruflichen Qualifizierung bringt. Das wurde am Donnerstag auf dem Gelsenkirchen Forum im Institut Arbeit und Technik angeregt. Auf dem Forum, das vom IAT in Kooperation mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund NRW und der Landesvereinigung der Arbeitgeberverbände organisiert wurde, diskutierten Vertreter aus Wirtschaft, Gewerkschaften und Wissenschaft über "Qualität und Kosten der Ausbildung im internationalen Vergleich".
Wie der nordrhein-westfälische DGB-Landesvorsitzende Walter Haas erläuterte, könnten in einer solchen Weiterbildungsinitiative Grundlinien für die berufliche Qualifizierung festgelegt und Qualitätsstandards für Weiterbildungsangebote vereinbart werden, wobei auch bereits existierende Qualitätsmaßstäbe, die vereinzelt von Kammern und anderen Bildungsträgern entwickelt wurden, zusammengeführt werden sollten. Dr. Hans-Georg Döpp, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände NRW, sprach sich gleichermaßen für einen "Anschub" in der beruflichen Qualifizierung aus, der auch vom Staat flankiert und befristet finanziell unterstützt werden sollte. Er warnte jedoch vor einer "Weiterbildungs-Ordnung" wie bei der beruflichen Erstausbildung, gesetzliche Reglementierungen würden positive Qualifizierungsansätze, die die Wirtschaft in Eigeninitiative entwickelt hat, gefährden. IAT-Präsident Prof. Dr. Franz Lehner regte an, sich zunächst einmal über vernünftige Qualitätsstandards zu einigen und erst dann darüber zu entscheiden, inwieweit diese gesetzlich oder über Vereinbarungen der Tarifpartner abgesichert werden sollten.
Daß die Wirtschaft in Eigeninitiative selbst hochwertige Aus- und Weiterbildungskonzepte entwickeln und umsetzen kann, zeigte Wolfgang Strinz, Vorstandsmitglied der Adam Opel AG und ehemaliger Leiter der Opel-Werke Bochum an Beispielen aus dem international operierenden Konzern. Von der Ausbildung von 1150 Azubis in 15 Berufen in Deutschland und das Internationale Technische Entwicklungszentrum ITEZ in Kaiserslautern über die Zusammenarbeit mit Fachhochschulen und Universitäten bis hin zur virtuellen GM-University, die im Konzern für weltweiten Wissenstransfer und Managementausbildung sorgt, wird die "Ressource Mensch" in den Mittelpunkt gestellt.
Die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten eines solchen "Global Players" wie Opel haben allerdings die wenigsten Unternehmen. Rund 92 Prozent der Unternehmen in NRW beschäftigen unter hundert Mitarbeiter, haben also kaum die Möglichkeit, eigene aufwendige Qualifizierungskonzepte umzusetzen. Sie sind angewiesen auf allgemeine Qualifizierungsangebote. Mehr Transparenz und Effektivität der Weiterbildung könnte die angestrebte Qualifizierungsinitiative NRW bieten.
Daß Qualifikation ein immer wichtigerer Standortfaktor betrieblicher und regionaler Innovationen ist, ist unumstritten. Nordrhein-Westfalen hat einen Rückstand in der Weiterbildung im Vergleich zu anderen Regionen aufzuholen, wie Prof. Dr. Gerhard Bosch, Vizepräsident des IAT, darlegte (s. Grafik). Die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung lag 1994 in NRW bei 19 Prozent, dagegen beim Spitzenreiter Baden-Württemberg bei 29 Prozent, wobei allerdings Struktureffekte eine Rolle spielen. Sektoren mit hohen Anteilen von An- und Ungelernten sind in NRW stärker vertreten als in anderen Bundesländern und der Zugang zum betrieblichen Lernen ist vielen versperrt z.B. durch Arbeitslosigkeit oder die vergleichsweise geringere Frauenerwerbstätigkeit.
Hauptproblem der beruflichen Weiterbildung bleibt jedoch, daß ihre Effizienz sich kaum messen läßt, so Dr. Edgar Sauter vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB/Berlin). Als Kriterium werden deshalb meist die Ausgaben für Qualifizierung herangezogen, doch je nach Abgrenzung des Bereichs "Weiterbildung" - von "Learning on the Job" bis zu teuren Lehrgängen bei externen Anbietern - und jeweiliger Erfassung oder notfalls Schätzung der Kostenbestandteile kommen die wissenschaftlichen Studien zu einer Schwankungsbreite von 30 bis 120 Milliarden DM, die jährlich in Deutschland für Weiterbildung ausgegeben werden.
Siegfried Bleicher, Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der IG Metall, setzte sich für eine integrierte Qualifizierungs- und Arbeitsmarktpolitik ein. Der "Standortfaktor Qualifikation" muß im Beschäftigungssystem verankert werden, vom System der Erstausbildung, das auch vom Ausland als hervorragend anerkannt wird, müssen Brücken zur Weiterbildung geschlagen werden. In der Politik müsse jetzt die Entscheidung fallen, ob die berufliche Weiterbildung "zur vierten Säule des Bildungssystems und zum Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit wird, oder ob weiter wie bisher verfahren wird, Weiterbildung ins Belieben des einzelnen Unternehmens gestellt und Dilettantismus vor Professionalismus gestellt wird".
"In der Weiterbildungsdebatte gibt es zwar großen Konsens über die Notwendigkeit beruflicher Qualifizierung, aber keiner zahlt gerne die Zeche", so IAT-Präsident Prof. Dr. Franz Lehner. Weiterbildung muß sich konkret auch lohnen, für den Betrieb wie auch für den einzelnen Beschäftigten, der nach Vorstellungen von Döpp wegen eigener Vorteile eine von sechs Urlaubswochen für die Weiterbildung opfern könnte. "Ein integriertes Finanzierungssystem ist hier nötig, die Weiterbildungsinitiative müßte auch überlegen, wie sich berufliche Qualifizierung sinnvoll und effektiv finanzieren läßt", meinte Lehner.
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