Wie sich die Musikinstrumentenkunde dank Datenmanagement neu aufstellt.
Eigentlich kann es keinen gemeinsamen Nenner zwischen Logistik und der wissenschaftlichen Erforschung historischer Musikinstrumente geben. Denn während im Greifenberger Institut für Musikinstrumentenkunde in der Nähe des Ammersees oft noch sehr traditionelle Handwerkstechniken zum Einsatz kommen, um wertvolle und äußerst seltene Tasteninstrumente wie z.B. Hammerflügel bis zum Jahr 1800 zu analysieren und nachzubauen – forschen junge Wirtschaftswissenschaftler an der Hochschule Augsburg an Einsatzmöglichkeiten für IT-basierte Dokumentationssysteme, die in der Industrie angewendet werden, um große Datenmengen und Logistikströme zu managen.
Doch was zeichnet nun die Win-win-Situation aus, die die Geschäftsführer des Greifenberger Instituts für Musikinstrumentenkunde, Helmut Balk und Dr. Margret Madelung, mit jungen Wirtschaftswissenschaftlern von der Hochschule Augsburg unter der Leitung von Prof. Dr. Peter Richard, Fakultät für Wirtschaft, auf den Weg gebracht haben? Was steckt alles in dem maßgeschneiderten Datenmanagementprogramm, das nach einer von den Master of Applied Research Studierenden Matthias Bestle und Sarah Zerle durchgeführten Testphase am 21. November 2018 dem laufenden Betrieb übergeben wurde?
In erster Linie das Know-how von drei Professoren und acht wissenschaftlichen Mitarbeitern, die in der Fakultät für Wirtschaft an der Hochschule Augsburg 2010 die Forschungsgruppe für optimierte Wertschöpfung – kurz HSA_ops – gegründet haben und in jedem Semester gemeinsam mit Studierenden Lösungen für verschiedenste Fragestellungen aus der regionalen und überregionalen Wirtschaft entwickeln. „Das ist angewandte Forschung pur, wenn wir Projekte von der Konzepterstellung bis zur Umsetzung begleiten. Und das begeistert uns alle immer wieder, den Studierenden zu ermöglichen, ihr theoretisches Wissen zur Lösung von ganz praktischen Unternehmensfragen einzusetzen,“ sagte Prof. Peter Richard anlässlich der Abschlusspräsentation. Klingen die Projektnamen mitunter noch sehr theoretisch – die Arbeiten für das Greifenberger Institut firmieren unter „Historische Produktion und Dokumentation“, kurz HisProDoc – so sind die Projektergebnisse eine wertvolle Unterstützung zur Optimierung des Tagesgeschäfts.
Eine ganz besondere Welt – die Werkstatt der Musikinstrumentenkunde
Wer die Werkstatt des Greifenberger Instituts betritt, aus dem hektischen Alltag, aus unserer modernen Welt kommend, der hat den Eindruck, dass hier etwas anders ist. Auf den ersten Blick könnte auch die Zeit stehen geblieben sein. Hier werden musikalische Raritäten originalgetreu nachgebaut, wie es bei der Faksimile Rekonstruktion oder auch beim Reverse Engineering üblich ist. Dabei werden die historischen Instrumente mit Werkzeugen handgefertigt, wie sie teilweise um 1800 schon zum Einsatz kamen. So werden Bauteile millimetergenau per Hand zurecht gehobelt, dass sich die Späne auf dem Boden nur so kringeln. Zugleich wähnt man sich in einem Testlabor. Denn die Musikinstrumentenbauer in Greifenberg setzen auch hochpräzise Verfahren aus der industriellen Technik wie Video-Mess-Endoskope oder Koordinaten-Messsysteme zur berührungsarmen CAD-Dokumentation ein. Dies dient alles dem Ziel, aufzuzeigen, wie viel Technik und Präzisionsarbeit in historischen Musikinstrumenten steckt – das Hauptanliegen des Greifenberger Instituts, das seit Gründung im Jahre 2007 auf dem Gebiet der Musikinstrumentenkunde für die Forschung einen wichtigen Beitrag leistet und sich nun für die Zukunft neu aufgestellt hat. „Im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen sowohl die Rekonstruktion historischer Handwerkstechnik und Verfahrensweisen im Tasteninstrumentenbau, als auch die Aufbereitung des zeitgenössischen musikalischen Kontextes,“ so Helmut Balk.
Angewandte Forschung – komplexe Prozesse vereinfachen
Folgende Ausgangssituation treffen die Augsburger Logistiker in Greifenberg an: In der Werkstatt der Musikinstrumentenkundler summieren sich die gewonnenen Erkenntnisse in Form von Notizzetteln, Skizzen, technischen Zeichnungen, Fotos, schriftlichen Aufzeichnungen, Tabellen etc. Die Messdaten werden in wachsendem Umfang auf unterschiedlichen PCs abgelegt.
An der Hochschule Augsburg geht es vergleichsweise theoretischer zu. Die jungen Wissenschaftler an der Fakultät für Wirtschaft sondieren Logistik-Prozesse und testen IT-Lösungen für unterschiedliche Anwendungsfälle. Sie wurden vom Greifenberger Institut angefragt, die wissenschaftliche Dokumentation der Forschungsergebnisse zur historischen Instrumentenbau-Technik so zu konzipieren, dass die Forscher künftig ein maßgeschneidertes Datenmanagementsystem bereits im Tagesgeschäft einsetzen können. Hierzu sollen die unterschiedlichen Arbeitsvorgänge in der Werkstatt sowie auch die gewonnenen Forschungsergebnisse zeitnah und unaufwändig dokumentiert werden – im besten Falle von jedem Mitarbeiter schon während des jeweiligen Arbeitsschrittes, da Zeit und personelle Ressourcen in Greifenberg knapp bemessen sind.
Zur Lösung dieser Aufgabenstellung machten sich die Augsburger Studierenden im Rahmen des Projekts HisProDoc ans Werk: Welches Datenmanagementsystem eignet sich für die speziellen Anforderungen des Greifenberger Instituts am besten, um die verwendeten Materialien, Konstruktionen, Bauteile und Bauweisen sowie die Erkenntnisse über die Handwerkskunst zahlenmäßig und visuell zu erfassen?
Ganz besondere Highlights – die Geschichten dahinter
Aber auch all die Besonderheiten wie die Geschichten dahinter gilt es festzuhalten: So wird von den Greifenbergern oftmals im ersten Schritt das eingesetzte Material analysiert. Stellt es sich beispielsweise heraus, dass es sich bei einem kleinen Filz auf dem Klavierhammerkopf um Biberhaar handelt, ist dann zu recherchieren, ob dieses Material heute noch erhältlich ist. Diese Recherche endete erfolgreich: Ausgewählte Hutmacher wie das Haus Borsalino haben diesen speziellen Filz vorrätig.
Die Symbiose von Theorie und Praxis – ein maßgeschneidertes Datenmanagementsystem
Die Zusammenarbeit zwischen der Hochschule Augsburg und dem Greifenberger Institut begann im Oktober 2017 mit 16 Studierenden, die in den vier Gruppen IT, Stammdaten, Personal und Qualitätsmanagement im Wintersemester 2017/18 das Anforderungsprofil des Instituts erstellten. Die jungen Wissenschaftler wählten nach sorgfältiger Prüfung der gewünschten Anforderungen das sogenannte Enterprise Resource Planning-System, kurz ERP-System, in der Version Dynamics Navision von Microsoft. Dieses kommt in der Industrie zum Einsatz und kombiniert die Darstellung von Arbeitsprozessen und Materiallisten.
In weiteren neun Monaten – während des Sommersemesters 2018 und des Wintersemesters 2018/19 – ging es darum, aus der Vielzahl von Planungs- und Dokumentationswerkzeugen, die das Programm anbietet, eine sinnvolle Auswahl für die erforderlichen Arbeitsschritte in der Musikwerkstatt zu treffen. Darauf aufbauend wurden die notwendigen Programmierarbeiten vorgenommen. In einer mehrwöchigen Testphase pflegten die Mitarbeiter des Greifenberger Instituts ihre jeweiligen Arbeitsergebnisse in das System ein. Dabei identifizierte Schwachstellen wurden in den weiteren Projektschritten berücksichtigt und angepasst. Als erfahrener Anwender von ERP-Systemen, begleitete Frank Schröder, Head of IT bei der RENK AG, einem weltweit führenden Hersteller von Spezialgetrieben, Antriebselementen und Prüfsystemen, das Projekt und diskutierte mit den Studierenden besondere Detailfragen.
Im Ergebnis archivieren die Forscher des Greifenberger Instituts nun neben den Messdaten auch Bilder und CAD-Zeichnungen der jeweiligen Arbeitsschritte sowie die Geschichten dahinter, so dass damit alle gewonnenen Informationen zu den einzelnen Analyseprozessen der historischen Instrumente jederzeit im Dokumentenmanagementsystem abrufbar sind. „Trotz anfänglicher Skepsis gegenüber dem Einsatz eines ERP-Systems in unserer Werkstatt, macht mir die Eintragung und Erfassung der Daten mittlerweile großen Spaß und ich ertappe mich dabei, wie ich bei den alltäglichen Arbeitsprozessen bereits in der ERP-Struktur denke,“ sagte Dr. Margret Madelung bei der Abschlusspräsentation am 21. November 2018.
Die Hochschule Augsburg und das Greifenberger Institut für Musikinstrumentenkunde sind der Beweis: Es gibt einen gemeinsamen Nenner zwischen Logistik und der wissenschaftlichen Erforschung historischer Musikinstrumente.
Prof. Dr. Peter Richard
Hochschule Augsburg
Fakultät für Wirtschaft
Telefon +49 821 5586-2931
peter.richard@hs-augsburg.de
https://www.hsaops.org/ Forschungsgruppe für optimierte Wertschöpfung
http://www.greifenberger-institut.de/ Greifenberger Institut für Musikinstrumentenkunde
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Art / design, Economics / business administration, Information technology, Music / theatre
transregional, national
Research projects, Transfer of Science or Research
German
You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.
You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).
Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.
You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).
If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).