105/98 13. Mai 1998
"Schluckimpfung ist süß - Kinderlähmung ist grausam". Auch mit diesem Slogan, in zahllosen Werbebotschaften immer wieder in die Öffentlichkeit gebracht, ist es gelungen, die Kinderlähmung oder Poliomyelitis weltweit zurückzudrängen. Dennoch ist die Schluckimpfung in Verruf geraten und soll durch eine andere Art der Impfung abgelöst werden. Statt des Zuckerstückchens eine Injektion, empfiehlt die für ganz Deutschland tätige Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO) in Berlin. Bei Eltern, aber selbst bei Impfärzten habe dies zu erheblicher Verunsicherung geführt, glauben Ärzte im Institut für Virologie und im Zentrum für Kinderheilkunde am Universitätsklinikum in Essen. "Aktuelles zu Impfungen im Kindesalter" hieß deshalb eine Fortbildungsveranstaltung, zu der die Ärzte des Klinikums niedergelassene Kinderärzte und Allgemeinmediziner der Region eingeladen hatten. Neben der neuen Impfstrategie gegen die Poliomyelitis gehörten auch die Perspektiven für HIV-Impfungen, Hepatitis A- und B-Impfungen, Impfungen zur Vorbereitung von Fernreisen mit Kindern sowie die Möglichkeiten einer endgültigen Bekämpfung von Masern zu den Themen. In einem Pressegespräch aus Anlaß des Symposiums erläuterten die Professoren Dr. Michael Roggendorf, Direktor des Instituts für Virologie, und Dr. Thomas Voit, Direktor der Abteilung für Allgemeine Pädiatrie, gestern (Mittwoch, 13. Mai) die Hintergründe.
Bei der Schluckimpfung (OPV) gegen die Kinderlähmung wird ein Impfstoff verabreicht, der vermehrungsfähige, abgeschwächte Polioviren enthält. In seltenen Fällen kann dadurch eine vollkommene, nicht mehr heilbare Lähmung ausgelöst werden, eine Vakzineassoziierte Paralytische Poliomyelitis (VAPP). Das wurde in der Öffentlichkeit so lange nicht als Problem wahrgenommen, wie die eigentliche Bedrohung von einer durch Polio-Wildviren ausgelösten Polio-Epidemie ausging. Heute ist diese Gefahr weitgehend gebannt. In Deutschland wie in vielen anderen Ländern sind Polio-Wildviren vollständig eliminiert, und wo sie noch vorkommen, sind sie entschieden zurückgedrängt. So erklärt es sich, daß in Deutschland im Jahre 1991 von 14 gemeldeten Polio-Erkrankungen nur zwei auf aus Indien bzw. Ägypten eingeschleppte Viren zurückzuführen sind, zwölf aber als VAPP registriert wurden. Mit erhöhter Aufmerksamkeit nahmen die Ärzte deshalb zur Kenntnis, daß in einigen europäischen Ländern auch unter Verzicht auf die Schluckimpfung eine vollständige Eliminierung der Poliomyelitis gelungen war. Hier hatte man einen Impfstoff eingesetzt, der nicht vermehrungsfähige Polioviren enthält und folglich kein VAPP-Risiko birgt. Dieser Impfstoff - IPV - muß injiziert werden.
Er wird, der Empfehlung der Ständigen Impfkommission entsprechend, seit Beginn des Jahres auch in Deutschland eingesetzt, denn er sei sicher und wirksam, verursache keine VAPP und könne risikolos auch Menschen verabreicht werden, die an einer Immunschwäche leiden, stellte die STIKO fest. Diese Einschätzung teilen die Ärzte am Essener Universitätsklinikum.
Eine gründliche Aufklärung der Bevölkerung über Impfrisiken und Impfstrategien halten Roggendorf und Voit für besonders wichtig. Deutschland sei in Bezug auf Impfungen ein Entwicklungsland. Die Diskussion über die Vermeidung von Impfschäden oder die Furcht von Impfärzten vor möglichen Regreßansprüchen blockiere häufig die Einsicht in die Notwendigkeit von Impfungen, erklärten die Ärzte und hatten dafür auch ein überzeugendes Beispiel bereit: Die weltweite Ausrottung der Masern ist zur Zeit ein vorrangiges Ziel der Weltgesundheitsorganisation. Fast erreicht ist es in Finnland; Anwärter auf einen Platz in dieser Spitzengruppe sind Großbritannien, Schweden, die Tschechische Republik und Ungarn. Im Mittelfeld liegen Länder wie Norwegen, Slowenien und Weißrußland. Deutschland gehört - zusammen mit den von Kriegen und Umwälzungen betroffenen Ländern Polen, Rumänien und Rußland, aber auch mit seinen Nachbarn Frankreich, Österreich und den Niederlanden - zu den Schlußlichtern, weil zu wenige der Kinder im 2. Lebensjahr eine Erstimpfung erhalten haben.
Redaktion: Monika Rögge, Telefon: (02 01) 1 83-20 85
Weitere Informationen: Dr. Melanie Fiedler, Telefon: (02 01) 7 23-35 50
Criteria of this press release:
Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
transregional, national
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German
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