Was gestern noch in aller Munde war, ist heute schon vergessen. Die Zeitspanne, in der die Gesellschaft ihre Aufmerksamkeit einem Thema widmet, wird immer kürzer. Das zeigt ein Forscherteam der Technischen Universität Berlin, des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung (MPIB), des University College Cork und der Technical University of Denmark (DTU). Die im Journal Nature Communications veröffentlichte Studie untermauert somit die These einer „sozialen Beschleunigung“.
Die negativen Auswirkungen der sozialen Medien und des ständigen Nachrichtenstroms auf unsere Aufmerksamkeit wurden in den letzten Jahren immer wieder diskutiert. Soziolog*innen, Psycholog*innen und Lehrer*innen warnen, dass die ständigen Eilmeldungen, Push-Benachrichtigungen sowie die Angst, etwas zu verpassen, zu einer „sozialen Beschleunigung" führen. Doch fehlten bisher empirische Daten, um diese These zu untermauern.
Nun konnte ein Forscherteam von der Technischen Universität Berlin, des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, des University College Cork und der Technical University of Denmark zeigen, dass die Aufmerksamkeitsspanne unserer Gesellschaft für ein einzelnes Thema tatsächlich immer kürzer wird.
Die Wissenschaftler haben verschiedene Medien analysiert und untersucht, wie lange ein Thema, ein Hashtag oder auch ein bestimmter Film besonders beliebt waren. Die Daten dazu stammen aus Büchern der letzten 100 Jahre, aus Kinokartenverkäufen der letzten 40 Jahre, aus wissenschaftlichen Publikationen der letzten 25 Jahre sowie von Twitter, Google Trends, Reddit und Wikipedia aus verschiedenen Zeitspannen der 2010er-Jahre. Besonders gut lässt sich die immer stärkere Verkürzung der Aufmerksamkeitsspanne anhand der sozialen Medienplattform Twitter erklären. Während 2013 ein Hashtag durchschnittlich 17,5 Stunden in der Top-50-Liste war, blieb er dort 2016 nur noch durchschnittlich 11,9 Stunden.
Auch wenn man sich gesuchte Begriffe bei Google und die Anzahl der Kommentare auf einzelne Reddit-Posts anschaut, lässt sich der Effekt über die Jahre feststellen. Die Zeitspanne, die ein Begriff besonders oft gesucht oder ein Post auf Reddit stark diskutiert wird, wird immer kürzer. „Unsere Daten zeigen, dass die Dauer, in der die Öffentlichkeit Interesse an einzelnen Themen und Inhalten zeigt, immer kürzer wird. Gleichzeitig springt das Interesse immer schneller von einem Thema zum nächsten“, sagt Philipp Lorenz-Spreen, Erstautor der Studie und Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.
Auch in der Offline-Welt lässt sich der Effekt beobachten. Die Forscher haben über Google Books häufig genutzte Wortgruppen in Büchern und die Verkäufe von Kinokarten von Hollywood-Blockbustern analysiert. „Es scheint so, dass das Maß der Aufmerksamkeit in unserer Gesellschaft gleich bleibt, was sich jedoch verändert, ist, dass die Themen und Inhalte, die um diese Aufmerksamkeit konkurrieren, immer dichter verpackt werden. Das bedeutet, dass es tatsächlich immer schwieriger geworden ist, auf dem Laufenden zu bleiben", sagt Sune Lehmann, Co-Autor und Professor an der Technical University of Denmark (DTU). Nur bei Wikipedia und bei wissenschaftlichen Publikationen zeigt sich dieser Trend nicht. Vermutlich weil diese Medien eher mit Wissen statt mit Neuigkeiten arbeiten.
Der Grund für die verkürzte Aufmerksamkeitsspanne lässt sich anhand eines mathematischen Modells erklären, das die Wissenschaftler auf Hashtags genauso wie auf Kinokartenverkäufe anwandten. „Für unsere Modellierung haben wir uns vorgestellt, dass sich jedes Thema von der begrenzten kollektiven Aufmerksamkeit ernährt. Wenn immer mehr Themen ein Stück von der Aufmerksamkeit haben wollen, bleibt für ein einzelnes Thema weniger übrig", sagt Philipp Hövel, Co-Autor und Dozent für angewandte Mathematik am University College Cork.
Während diese Studie zeigt, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Gesellschaft als Ganzes sinkt, wäre der nächste Schritt, genauer zu untersuchen, ob die Informationsflut auch die Aufmerksamkeitsspanne jedes Einzelnen verkleinert.
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Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung wurde 1963 in Berlin gegründet und ist als interdisziplinäre Forschungseinrichtung dem Studium der menschlichen Entwicklung und Bildung gewidmet. Das Institut gehört zur Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., einer der führenden Organisationen für Grundlagenforschung in Europa.
Lorenz-Spreen, P., Mønsted, B., Hövel P., & Lehmann S. (2019). Accelerating Dynamics of Collective Attention. Nature Communications. https://doi.org/10.1038/s41467-019-09311-w
https://www.mpib-berlin.mpg.de/de/presse/2019/04/mit-der-informationsflut-sinkt-...
Criteria of this press release:
Journalists
Information technology, Media and communication sciences, Psychology
transregional, national
Research results
German
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